DISILLUSION - Gloria
Mehr über Disillusion
- Genre:
- Progressive Metal
- Label:
- Metal Blade
- Release:
- 20.10.2006
- The Black Sea
- Dread It
- Don't Go Any Further
- Avalanche
- Gloria
- Aerophobic
- The Hole We Are In
- Save The Past
- Lava
- Too Many Broken Cease Fires
- Untiefen
Wahnsinn! DISILLUSION sind ja nun mal nicht das, was man als konventionell bezeichnen würde, aber kurz bevor die Truppe aus Deutschland die zweiten APOKALYPTISCHEN REITER wurden, machten sie eine Wende. Beziehungsweise fuhren einmal im Kreis, um dann gleich noch mal zu Wenden. Denn die neueste Scheibe "Gloria" enthält nichts, was man als Melodic Death oder artverwandt bezeichnen könnte. Dafür aber Mut, Genialität und Songmaterial, das einen in ein Wechselbad der Gefühle eintaucht.
DISLLUSION haben beim Staubwischen den Computer entdeckt. Und die passenden Programme dazu. Und als ob das nicht genug wäre, haben sie sich noch total in das Zeug verliebt und filtern Gitarren, Stimmen und sogar Chöre so oft durch den PC wie es sonst nur Chemiker bei hochkomplizierten Experimenten machen. Bei der Herstellung von Coca-Cola zum Beispiel. Um gleich bei der Wissenschaft zu bleiben, was man dann zum Hören der Platte braucht, ist ein Archäologiestudium. Unter den ganzen verzerrten und veränderten Elementen befinden sich Geheimnisse, Melodien, seltsames bis hochgeniales Textwerk und eine Experimentierfreude, wie es sie nur bei den oben angesprochenen Freunden aus den Coca-Cola-Werken in Atlanta geben kann.
Fangen wir also mit den Schichten im Einzelnen an. Wir haben Gitarren, die manchmal so dermaßen verzerrt, verdreht und verspielt aus den Sprechern dröhnen, das Doom-Gitarristen schon ihre ersten Spione ausschicken, um das Geheimnis zu knacken. Und durch die Genreliste wird dabei auch gleich geschliddert wie ein Eisläufer nach dem Brechen der ersten Kufe. Astreines Death- und Black-Geschredder, etwas aus der Hardcore- und Alternative-Ecke, Rock, Industrial und sowieso. Da kann es natürlich ab und zu vorkommen, dass die eine oder andere Gitarrenmelodie sich gleich mit ins Gehirn fräst ('Avalanche').
Dann haben wir den Gesang, natürlich auch mit dem PC versehen, aber auch mit einer neuen Note. Gebrüll ist gleich mal nach Hause gegangen und hat die Schicht dem Bruder Sprechgesang gegeben. Denn, und das wird Gesangsfetischisten nicht gefallen, ausgefallene Tauchstunden in die Höhen und Tiefen der menschlichen Stimme gibt es nicht. Dafür trotzdem Melodien, die aus dem gesamten Text zuweilen schon ein Refrain machen ('Don't Go Any Further').
Zusätzlich zu dem üblichen Schmu hat es dann wie gesagt auch der PC auf die gute alte M.S. "Gloria" geschafft. Zusammen mit klassischen, gut versteckten Keyboardstreichern, gibt er häufig den Beat vor, der in der Tanzbude um die Ecke sicher die Massen anheizen könnte. Wären da wie gesagt nicht die bösen, bösen Gitarren drüber. Und als Abschluss haben wir die Chöre. Oh mein Gott, alle Stücke mit Chören oder anderen Gesangspartnern drin sind des Odins Werk (wahlweise auch Gott, Satan oder Allah). So unglaublich kraftvoll, so versteckt unter den Arrangements und trotzdem eingängig und energiegeladen, einfach der Hammer (Thors, wenn ihr wollt). Da können sich die Chorfetischisten von RHAPSODY OF mir-doch-wurscht gleich eine Scheibe abschneiden, denn frisch und unverbraucht klingt das nämlich auch noch.
Und so sind es 'The Black Sea', 'Don't Go Any Further', 'Dread It' und das Titelstück, die mit eingestreuten fremdartigen Gesangsparts die Herzen des Musikfans erobern. Aber auch Stücke mit eingängigen Refrains, wie 'Save The Past' oder die "Ballade" 'Untiefen' kriechen sich in das Gehör, und bringen einen dazu, den ganzen Tag im Kopf nur noch eine CD zu hören (passierte mir zuletzt bei Queensryche's "Operation: Mindcrime"). Natürlich im Shuffle-Modus.
Kommen wir zu dem Nachteiligen: Diese CD ist ungewöhnlich. Extrem. Bis man das auch nur ansatzweise in Schubladen gestopft hat oder weiß was man damit anfangen soll, vergeht Zeit und viele Rotationen im Compact-Disc-Abspielgerät. Wahlweise auch MPEG-Audio-Layer-3-Abspielgerät. Aber die Belohnung, oh, diese süße Belohnung. So begeistert mitgefiebert hatte ich zum letzten Mal, als EMPERORs "Prometheus - The Discipline Of Fire And Demise" bei mir mit voller Wucht einschlug. Jede Textzeile wird mitgefühlt, jede Gesangslinie dirigiert, und die Musik fließt nur so durch den Körper. Der andere Nachteil: das Instrumental 'Aerophobic'. Ein kleines bisschen zu langweilig, kaum etwas zu entdecken. Schade, besonders in der Disziplin wäre etwas herauszuholen gewesen.
So, beenden wir das. Diese CD ist mein neuer Liebling, das Baby, das ich selber nie bekommen werde. Und wer von komplexen, unkatalogisierbare und schlichtweg geniale Musik eine Körperstoffausschüttung bekommt, sich beim Hören keine Schranken auferlegt und sich nicht mit Werwolfkrallen an den ersten Werken von DISILLUSION krallt, wird spätestens nach dem 10. Durchlauf sagen: "Verdammt genial, das Teil."
Anspieltipps: The Black Sea, Don't Go Any further, Dread It, Gloria, Save The Past, Untiefen
- Redakteur:
- Lars Strutz