DISTURBED - Ten Thousand Fists
Mehr über Disturbed
- Genre:
- Heavy Metal
- Label:
- Reprise (Warner)
- Release:
- 19.09.2005
- Ten Thousand Fists
- Just Stop
- Guarded
- Deify
- Stricken
- I'm Alive
- Sons Of Plunder
- Overburdened
- Decadence
- Forgiven
- Land Of Confusion
- Sacred Lie
- Pain Redefinied
- Avarice
Woran erkennt man das Album des Jahres 2005? Richtig, es steht DISTURBED vorne drauf und hört auf den Namen "Ten Thousand Fists"!
Aber ganz so einfach wollen wir es uns mal nicht machen, wenngleich die nachfolgenden Argumente keinen anderen Schluss zulassen.
Wenn eine Band ihr neustes Album "Ten Thousand Fists" betitelt, muss man einfach davon ausgehen, das diese Arsch in der Hose und Zähne in der Fresse hat. Noch schöner ist es, wenn diese Band einen dann nicht lügen straft. So geschehen bei DISTURBED, die mit ihrem nunmehr dritten Studioalbum auferstehen wie Phönix aus der Asche! Ganze drei Jahre war es still gewesen um die Band von David Draiman. Lediglich durch die Trennung von Bassist Fuzz war ein kurzer Ausschlag auf der Richterskala zu verzeichnen. Und nun das: Nach dem geisteskranken Geniestreich "The Sickness" wurde das Album "Believe" zwar noch besser verkauft, doch sprachen die Kritiken eine andere Sprache. Zu glatt rasiert schien plötzlich nicht nur die Kopfhaut vom Frontmann, sondern auch die Musik. "Ich will singen!" tönte Draiman nach dem Debüt, tat's und erschuf damit eine völlig neue Richtung im DISTURBED-Sound, mit der ein großer Teil der durch das rohe Debüt gewonnenen Fans nicht zurecht kam. Komplettiert wurde das durch seine fast übertriebene Eingängigkeit quasi zum Erfolg verdammte Zweitwerk durch einige Rückschritte im instrumentalen Bereich. Melodie und Gitarrenverzerrung klangen nun unterschwellig nach künstlicher, liebloser Retorte, irgendwo in einem sterilen Keller am Reißbrett nach Formel E (wie "Erfolg") zusammengeschustert. Dass es so klang, lag aber sicherlich auch daran, dass die gesamte Abmischung des Albums keinerlei Höhen hatte. Einheitsbrei durch Sicherheitsalbum, mal krass ausgedrückt. Die Realität sieht erfreulicherweise nicht so trostlos aus. Dass "Believe" dennoch ein Platin-Album ist, liegt vor allem an der Qualität der Band und dies ließ Zuversicht aufkeimen im Hinblick auf das neue Album.
Zur Freude aller hebt bereits das erste Lied einen Großteil aller Befürchtungen auf. Noch bevor David Draiman sein unglaubliches Organ entfalten kann, taucht man den Kopf des Hörers in einen Wasserfall aus frischem, klarem Drumsound. "Survivor!" schreit Draiman unnachahmlich in die Länge gezogen und stellt sicher, dass DISTURBED weit mehr als das sind! Sie überleben nicht nur, sie gewinnen!
Der Titeltrack als Opener ist trotz der Mischung aus Erleichterung und beginnender Begeisterung bei weitem nicht der beste Track des Albums. Mit seiner an der Schmerzgrenze balancierenden Eingängigkeit ist er ideal, um den Übergang in die Welt von DISTURBED so angenehm wie möglich zu gestalten.
Wirkliche Qualität folgt mit 'Just Stop' als einem der stärksten Tracks der Scheibe! Zunächst rockend mit, man höre und staune, markanter Doublebass, entfaltet er nach kurzer Zeit eine Hookline von einem Refrain, wie sie die Welt dieses Jahr noch nicht gehört hat und der man sich unmöglich entziehen kann. Hinzu kommt noch eine Bridge, mit dunkler rauer Stimme gesungen, an die nahtlos der Refrain, isoliert von fast allen Instrumenten, anschließt.
Was nun folgt, ist eine Dichte an Qualität und Niveau, wie sie seit SYSTEM OF A DOWN's "Toxicity" nicht mehr erreicht wurde. Es gibt kein Lied auf dem Album, das nicht zur Single taugen würde. Allen voran das bereits erwähnte 'Just Stop'. Dabei verfolgen DISTURBED gar kein so undurchschaubares Erfolgsrezept, wie man vielleicht annehmen könnte. Das Wissen um gute Musik wurde lediglich optimal umgesetzt! Die Lieder verfolgen zumeist einen ähnlichen Ablauf mit "Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Brigde/Solo-Refrain" und obwohl dieser klassische Ablauf das Älteste vom Ältesten ist, erscheint es heute erfrischend neu. Dabei setzt man auf einen eingängigen Refrain und Überleitungen, die sich im Gehör festbeißen. Umso besser der Refrain, umso eingängiger das Lied. Umso genialer die Brigde, umso tiefer frisst sich das Lied im Gehirn, Abteilung "Suchtbefriedigung", fest. Am besten klappte das eindeutig bei 'Sons Of Plunder'! Das Lied ist definitiv der Zenit des Albums und zwingt zum Mitsingen und Auswendiglernen. Gleichzeitig zeigt man damit dem ganzen Mist, den die Musikindustrie momentan hervorbringt, und gegen den DISTURBED ganz und gar klassisch wirken, die Zähne! Dass "Ten Thousand Fists" und speziell das Lied selbst das beste Beispiel für die Überlegenheit sind, schließt den Kreis der Intention.
So sehr mir mein eigenes Geschwärme auf den Sack geht, DISTURBED haben einfach so gut wie keinen Fehler an diesem Album gemacht, und das Geld für "Ten Thousand Fists" ist mit Abstand das am besten angelegte für Musik in diesem Jahr. Man kriegt dafür ein Album, ohne Faxen wie Hidden Tracks, geräuschlose Lieder oder überflüssige Intros. Dennoch kommt es auf eine Laufzeit von fast einer Stunde, was in der heutigen Welt schon einen Preis verdient hätte! Man kriegt Balladen, Wutausbrüche, eine der geilsten Stimmen der Welt, und das alles so gut in der Playlist gemischt, dass man nie das Gefühl von Wiederholungen hat.
Wenn man überhaupt etwas kritisieren will, dann die Lieder wie 'Guarded' und 'Stricken', die scheinbar ein unsichtbares Band zum Vorgängeralbum bilden und ihren Tiefgang erst bei Kenntnisnahme der Texte offenbaren. Überhaupt bleibt die lyrische Leistung kaum hinter der instrumentalen und gesanglichen Abwechslung zurück. Sei es die romantische Ader über die dunkle, verletzende Seite der Liebe in den bereits erwähnten 'Guarded' und 'Stricken', der Befreiungsschlag des eigenen Individuums im leicht überproduzierten 'I'm Alive' oder der Faustschlag gegen die eigene Regierung in dem mächtigen 'Deify' und 'Sacred Lie'. Jener Schlag fällt bei DISTURBED auch weniger plump aus als bei vielen Landsleuten. Scheinbar hat man endlich verstanden, dass nicht Anthrax-Pakete die Ursache für die Probleme im eigenen Land sind.
Zu guter Letzt sei 'Land Of Confusion', dem GENESIS-Klassiker, mit dem man der Tradition des Debüts folgt, als man den TEARS FOR FEARS-Hit 'Shout' coverte, noch mit einigen Worten bedacht. Man kann von Covern halten, was man will, in den meisten Fällen sind sie überflüssig oder schlicht schlechter als das Original. Im Falle von DISTURBED wurde sehr ehrenvoll mit dem Lied umgegangen. Statt den Verstümmelungen von Bands wie SIX FEET UNDER oder EVERGREEN TERRACE zu folgen, wurde an dem Original kaum etwas geändert. Etwas härter und dunkler ist es ausgefallen, aber ohne Schmerzen zu verursachen. Seinen Reiz erhält es auch aus ganz anderer Quelle, denn es zeigt wie kein anderes Lied, eben durch die unveränderte Struktur, die Qualitäten von David Draiman als einem der signifikantesten Sänger überhaupt. PHIL COLLINS sollte stolz sein, denn Draiman ist einfach nur eine Klasse für sich! Und verdammt, eine Band, die solch ein grandioses Album herausbringt, darf das einfach!
Kommen wir also zurück zum Anfang. Das Jahr ist noch nicht um und uns erwarten noch eine Schwemme überflüssiger Best-of-Alben und ein überteuertes Halb-Album von SYSTEM OF A DOWN. Deshalb wird das Folgende wieder mal niemand gerne hören wollen, und ich sage es trotzdem: Weil es das soundtechnisch am besten abgemischte Album seit langem ist, weil die Musik den Hörer an mehr Haken (Hooklines) aufhängt als Val Kilmer in "Mindhunters", weil strukturell und lyrisch der Spagat zwischen Eingängigkeit, Tiefgang und Eigenständigkeit mit Bravour geschafft wurde und weil man nicht den Zahn der Zeit an sich nagen ließ, sondern die Zeichen der Zeit erkannte und den Nerv der Zeit traf … deshalb ist "Ten Thousand Fists" das Album des Jahres 2005!
Anspieltipps: Just Stop, Stricken, Sons Of Plunder, Land Of Confusion, Pain Redefined
- Redakteur:
- Michael Langlotz