DREAM THE ELECTRIC SLEEP - Beneath The Dark White Sky
Auch im Soundcheck: Soundcheck 07/2016
Mehr über Dream The Electric Sleep
- Genre:
- Progressive/Alternative/Art Rock
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Mutiny Records/OMN/Rough Trade
- Release:
- 22.07.2016
- Drift
- Let the Light Flood In
- Flight
- We Who Blackout the Sun
- Hanging By Time
- Culling the Herd
- The Last Psalm to Silence
- The Good Night Sky
- Headlights
- Black Wind
- All Good Things
Vanille-Eis am Holocaust-Mahnmal oder: was kann Kunst bewegen?
Da investiert man regelrechte Missionarsarbeit, um die Leute zu überzeugen, dass DREAM THE ELECTRIC SLEEP (DTES) eine funkelnder neuer Stern am Prog-Himmel ist und organisiert sogar die gar nicht so billig zu erwerbenden Alben "Lost And Gone Forever" und "Heretics" für den POWERMETAL.de-Shop. Nur: keinen interessiert’s. Die Dinger sind hier Ladenhüter. Doch dem Hörensagen nach hinterließ die Band live beim Night Of The Prog-Festival 2015 mächtig Eindruck und man konnte für den Drittling "Beneath The Dark Wide Sky" einen zupackenden Promodeal ergattern. Und siehe da, sehr zu meiner Freude begeistert die Musik selbst Kollegen, von denen ich das nicht so sehr erwartet hätte. Nur zwei Objekte kämpfen mit der neu gewonnenen Catchyness, die Bandleader Matt Page in seine anspruchsvolle kunstvoll ausgearbeitet Musik integriert hat, und das sind mein linkes und mein rechtes Ohr.
"Heretics" war ein eher sound- und konzeptorientiertes Album voller unterschwelliger Schönheit, voller sorgfältig aneinandergereihter Momente, oft intim und zerbrechlich aber mit großartigen, bombastischen Steigerungen. Ein Album, auf dem ich mich beim Wiederhören mehr an seiner Gesamtheit erfreue, und eher Klang und die besondere Harmoniefolge der Star war als der einzelne Song. Dies mag vielleicht erklären, dass ich bei der Neuen zunächst verblüfft, ja sogar irritiert bin, wie einfach es dem Hörer gemacht wird, die Musik zu erfassen. Gleich das mega-fluffige 'Let The Light Flood In' kann man fast schon beim ersten Hören mitsingen.
Und so unsicher ich mir bin, ob ich das gut oder schlecht finde, so selbstsicher kann ich das Album für seinen wiederum erstklassigen Klang loben. Selten habe ich einen Mix gehört, der so viel Raum ausfüllt und einen trotzdem nicht überfordert. In ihm wird vor allem dem Gesang sehr viel Entfaltungs-Spielraum gegeben und spätestens jetzt sollte jedem klar werden, was für ein toller Sänger Matt Page ist. Verblüffenderweise finde ich jedoch erst mit dem Instrumental 'We Who Blackout The Sun' so richtig in das Album hinein. Episch-flächig flauscht die Musik sich ins Ohr, tiefe Akkorde und postrockiges Tremolo-Picking wühlen das Gemüt auf und Matts Soli sorgen für ein Gefühl mächtiger Erhabenheit. Noch besser ist jedoch der Killer-Refrain vom folgenden 'Killing By Time', der sich nach einiger Zeit wundervoll im Großhirn festnagelt. Parallelen zu der leider zur Musikgeschichte zählenden Band OCEANSIZE sind hier definitiv nicht von der Hand zu weisen. Auch 'Culling The Herd' mit seinem kuscheligen Riff und fast euphorischen Vocals entfaltet einen großen Reiz, und sollte DREAM THE ELECTRIC SLEEP in die Herzen aller spielen, die sich im kreativen Dreieck der Moderne zwischen Prog- Art- und Alternative Rock wohl fühlt.
Wer sich schonmal näher mit der Band beschäftigt hat, weiß, dass sich Matt Page sehr intensiv mit Kunst beschäftigt (er ist Senior Lecturer an der University of Kentucky im Bereich Kunstgeschichte und digitale Medien). Und auch auf "Beneath The Dark Wide Sky" widmet er sich der nicht so ganz trivialen Frage, wie sich Kunst auf das gesellschaftliche Leben auswirken und gegebenenfalls dieses auch verändern kann. Als Inspiration hierfür dienen ihm diesmal Dorothea Langes Fotografien der sogenannten "Staubschüssel" (Dust Bowl); verheerende Staubstürme in der zwangsurbanisierten Prärielandschaft Zentralamerikas standen in den Dreißigerjahren als Symbol für die Auswirkungen der Wirtschaftskrise ("Great Depression") und Umweltverschmutzung.
Doch was bewirken solche Bilder? Schaffen sie mehr als nur eine individuelle Reaktion, ein kurzfristiges Gefühl für Ungerechtigkeit oder lässt sich durch solche Kunst tatsächlich auch politisch/sozial/gesellschaftlich etwas verändern? Das ist Matt Pages großes Thema, dass sich durch alle DTES-Alben zieht. Und dafür klingt - ja wir sind zurück bei der Musik - ein Song wie 'The Good Night Sky' mit seinem AOR-mäßigen Refrain in meinem Ohr fast schon zu locker-flockig. Hier denke ich eher an einen netten sonnigen Stadtspaziergang mit einem Vanille-Eis in der Hand als an den bedrückenden Gang durch das Holocaust-Mahnmal, um mal bei Kunst zu bleiben, die an politisches Unrecht erinnern soll. Das Gefühl der Schwere ist jedoch beim auch lyrisch düsteren 'Black Wind' wieder präsent, eher das Album mit dem süß-sauren 'All Good Things' langsam ausfadet.
Ihr merkt es schon am langen Text, ein finales Fazit zu diesem Album fällt mir noch schwer, doch ich verstehe so nach und nach, was mir Matt Page hiermit sagen will. Die Lyrics sind eng mit der Musik verflochten und ich ertappe mich dabei, machmal ganz genau das zu denken, was dann tatsächlich auch in den Texten steht. Davon abgesehen ist "Beneath The Dark Wide Sky" sicher das DTES-Album, welches für Neueinsteiger am zugänglichsten sein wird. Mit voluminösem Klang, tollem Gesang und wirklich sehr eingängigen, kantenfreien Arrangements wird DTES eine sicherlich deutlich breitere Hörerschaft anziehen, Ich persönlich vermisse ein wenig den RADIOHEAD’schen Experimentier-Geist und die Gegenüberstellung von Kontrasten, was "Heretics" zu einem insgesamt launischeren aber dauerhaft spannenden Album machte. Heuer ist mir die eine oder andere fluffige Wohlgefälligkeit zu viel im Sound. Daran, das DTES aber - wie auch LISERSTILLE - eine der herausragendsten Bands der epischen Moderne ist, habe ich auch weiterhin keinen Zweifel. Ich werde das Album noch sehr oft hören!
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Thomas Becker