DREAM THEATER - The Astonishing
Mehr über Dream Theater
- Genre:
- Progressive Metal
- Label:
- Roadrunner Records (Warner)
- Release:
- 29.01.2016
- Descent Of The NOMACS
- Dystopian Overture
- The Gift Of Music
- The Answer
- A Better Life
- Lord Nafaryus
- A Saviour In The Square
- When Your Time Has Come
- Act Of Faythe
- Three Days
- The Hovering Sojoum
- Brother, Can You Hear Me
- A Life Left Behind
- Ravenskill
- Chosen
- A Tempting Offer
- Digital Discord
- The X Aspect
- A New Beginning
- The Road To Revolution
- 2285 Entr'acte
- Moment Of Betrayal
- Heaven's Cove
- Begin Again
- The Path That Divides
- Machine Chatter
- The Walking Shadow
- My Last Farewell
- Losing Faythe
- Whispers On The Wind
- Hymn Of A Thousand Voice
- Our New World
- Power Down
- The Astonishing
Eine neue Seite der Prog-Könige.
Ein neues Werk von DREAM THEATER wird immer sehnlichst erwartet. Dieses Mal trieb die Truppe die Erwartungshaltung aber durchaus in neue Höhen. Die Ankündigung, dass "The Astonishing" ein 130 Minuten langes Konzeptalbum werden würde, die häppchenweise Enthüllung von Details auf der Webpage, die Vorabsingle 'The Gift Of Music', die Ankündigung, das komplette Album auf der Tour zu spielen, all das hat sicher bei einigen Fans für ordentlichen Glückshormonschübe gesorgt.
Zwei Dinge werden schon bei den ersten Durchgängen klar. Zum einen, dass "The Astonishing" sicher das Album ist, dass sich am weitesten vom typischen DREAM THEATER-Sound entfernt. Natürlich erkennt man immer noch flott, wer hier musiziert, dennoch klingt "The Astonishing" ganz anders als alle Vorgänger. "The Astonishing" ist tatsächlich eine Rock-Oper. Hier gehen Orchester und Band Hand in Hand und verschmelzen über die mehr als zwei Stunden zu einer absoluten Einheit. Und zum zweiten ist "The Astonishing" wirklich harte Arbeit. Natürlich war es auch früher immer schon komplex, aber es gab immer auch genügend Hooks und Melodien, die den Hörer durch die meist doch sehr unterschiedlichen Songs geführt hat. "The Astonishing" hingegen fließt viel mehr, die Abgrenzung einzelner Kompositionen fällt mir enorm schwer, was natürlich dazu führt, dass ich gerade zu Beginn etwas orientierungslos nach Enterhaken gesucht habe, diese aber eben nicht sofort fand. Wo "Scenes From A Memory" - dieser Vergleich kann einfach nicht ausbleiben - sofort auf Song- und Konzeptebene funktioniert hat, ist dies zumindest für mich bei "The Astonishing" nicht der Fall. Nein, hier ist konzentriertes Hören erforderlich, am Besten mit Story, Texten, einem Glas Wein und sonst absoluter Ruhe. Dafür muss man eine gewisse Muße haben, was in der heutigen Zeit fast kaum noch vorstellbar ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist "The Astonishing" auch ein extrem mutiges Album geworden.
Grundsätzlich geht es hier um eine dystopische Zukunftsvision, in der jede Form der menschlich erstellten Kunst verboten ist. "Musik" wird nun nur noch von den NOMACS, den Noise Machines, gemacht und sorgt so für eine Apathie bei den Menschen, bis eines Tages ein junger Mann im kleinen Dorf Ravenskill sein musikalisches Talent entdeckt, damit das Bewusstsein der Menschen erweckt und eine Rebellion anzettelt. Oder so ähnlich.
Nun habe ich hier mit der vorab zur Verfügung gestellten Musik den Nachteil, dass ich keine Texte, nur eine kleine Zusammenfassung der Geschichte und - zu Gunsten der Aktualität - nur begrenzt Zeit habe, um hier eine Meinung vertreten zu können. Alles Punkte, die sich nicht positiv auf eine Bewertung von "The Astonishing" auswirken können und eine solche auch etwas unfair erscheinen lassen. Deshalb gibt es auch noch keine absolute Bewertung in Form einer Note. Doch kommen wir endlich zur Musik selbst.
Den Anfang dürfen die NOMACS machen, die auf 'Descent Of The Nomacs' ihre spröde Kakophonie aufführen und für etwas Verwunderung beim Hörer sorgen, bevor die 'Dystopian Overture' das Stück echt eröffnet. Nicht so offensichtlich vertrackt und der Geschichte vorgreifend wie einst 'Overture 1928' zeigt sich bereits hier wie harmonisch Orchester und Band miteinander agieren. Genau das bleibt eine Stärke, die sich durch das gesamte Album zieht. Sowohl in puncto Produktion, Konzeption und Arrangements ist das hier alles auf allerhöchstem Niveau.
Das Aber folgt auf dem Fuss. Die oben beschriebene Orientierungslosigkeit im Labyrinth des Erstaunlichen weicht nur langsam einer gewissen Sicherheit. Die allesamt von James LaBrie gesungenen Charaktere (darunter drei Frauen und ein Kind!) sind ohne Booklet nur an wenigen Stellen wirklich unterscheidbar. Natürlich, zwischen Hauptcharakter Gabriel und den aggressiven Bösewichten ist das kein Problem, aber welche der Frauen oder wann das Kind singt, ist mir bislang verborgen geblieben. Vielleicht wäre es doch keine so schlechte Idee gewesen, da zumindest stellenweise auf Gastvocals zu setzen. So büsst das Werk ein wenig an möglicher Atmosphäre ein, weil LaBrie eben doch immer nach LaBrie klingt, und es hilft eben auch nicht dabei, in die Welt von Ravenskill und The Great Northern Empire einzutauchen.
Und so sind die ersten Höhepunkte dort zu finden, wo LaBrie erfolgreich mit seiner Stimme spielt und man tatsächlich das Gefühl hat einer Oper beizuwohnen. Die Vorstellung des 'Lord Nafaryus' ist dabei ein gutes Beispiel, auch das mit feinen Ruddess-Mätzchen versehene 'Three Days' darf als Hochlicht bezeichnet werden. Hier lebt LaBrie auch die diversen Charaktere, eben so wie man sich das wünscht.
Mit der Zeit aber kristallisieren sich auch andere Songs heraus. 'A Life Left Behind' ist zum Beispiel eine wunderschöne, ganz und gar nicht pathetische Ballade, die zudem mit einem überraschenden Beginn punkten kann, aber im Kontext erst ein wenig untergeht, denn das zuvor vor Pathos triefende 'Brother, Can You Hear Me' und das folgende, sehr ruhig beginnende 'Ravenskill' helfen anfangs nicht, die Komposition ins rechte Licht zu rücken.
Was mir aber auch nach mittlerweile zehn Umdrehungen immer noch fehlt, ist die Spannung, die "Scenes From A Memory" einst so famos aufbauen konnte. Ich meine, es ist immerhin eine Geschichte um Rebellion, die eben auch zu einer Art Kampf führt. Die Dramatik und Spannung, die die Story hier mitbringen müsste, spiegelt sich in meinen Ohren nur unzureichend wider. Ob man hier die Gitarre oder das Orchester hätte in den Vordergrund schieben können, um diese zu erzeugen, ist eigentlich zweitrangig. Fakt ist, dass ich bislang nicht das Gefühl habe, hier auf das Finale einer Rebellion vorbereitet zu werden. Dafür ist "The Astonishing" insgesamt zu harmonisch. Die harschen, kämpferischen Momente fehlen mir ein bisschen, 'A Tempting Offer' deutet dies zum Ende des ersten Aktes zwar an, doch wird daraus nicht mehr. Gerade der abschließende Titeltrack zeigt dies. Verzeiht den erneuten Vergleich mit "Scenes From A Memory", aber wo 'Finally Free' vor Spannung zu bersten scheint, ist dies hier weder im Finale noch in den vorhergehenden 'Hymn Of A Thousand Voices' (nein, nicht episch) noch in 'Our New World' der Fall.
Wie gesagt, für eine abschließende Bewertung ist es hier - gerade unter den oben beschriebenen Umständen - sicher noch viel zu früh. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich "The Astonishing" nicht zu meinem neuen Liebling in der DREAM THEATER-Diskografie mausern wird, bin mir aber auch absolut sicher, dass ich mir noch viel Zeit nehmen werde, um es weiter wachsen und gedeihen zu lassen. Die ersten Knospen gehen hier schon auf, bis zur vollen Blüte wird es aber noch dauern.
- Redakteur:
- Peter Kubaschk