ENSLAVED - Riitiir
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/2012
Mehr über Enslaved
- Genre:
- Progressive Black Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Nuclear Blast (Warner)
- Release:
- 28.09.2012
- Thoughts Like Hammers
- Death In The Eyes Of Dawn
- Veilburner
- Roots Of The Mountain
- Riitiir
- Materal
- Storm Of Memories
- Forsaken
Sie fordern den Fan, aber sie überfordern ihn nicht!
Gerade für uns Fans der ersten Stunden ist es immer wieder eine Herausforderung, sich einem neuen ENSLAVED-Album zu stellen. Nicht unbedingt, weil die Band sich von Album zu Album besonders extrem entwickeln würde, weil sie massive Stilbrüche begehen würde, oder weil sie sich kompositorisch schroff und abweisend geben würde. Nein, die Norweger haben nach den doch drastischen Schritten gegen Ende der Neunziger durchaus ihren Stil gefunden, aber trotzdem ist eine neue ENSLAVED niemals nur die erwartete Kost.
Grutle, Ivar und ihre Mitstreiter fordern ihre Fans, indem sie immer wieder unerwartete Schritte wagen, ohne dabei aus ihrem stilistischen Revier auszubrechen. Auch bei "Riitiir", dem mittlerweile zwölften vollständigen Studioalbum der Bergener, begegnen wir wieder der ureigenen Mixtur aus sanften, anmutigen, manchmal schwelgerischen Passagen, die kaum mehr Metal sind, aus garstigen, keifenden und geifernden Ausbrüchen, welche die Welt zum Einsturz bringen möchten, und aus entrückten, floydigen Anflügen, welche die Seele über den eben erst aufgerissenen Abgrund tragen.
Das Fordernde ist somit vor allem die Vielfalt, die sich in fast jedem der acht Stücke auf "Riitiir" findet. Bis auf das relativ kurze Titelstück sind die Lieder allesamt mit Überlänge zwischen knappen sieben und starken elf Minuten Spielzeit gesegnet, und wer ENSLAVED kennt, der weiß, dass die Band solche Spielzeiten mit spannenden Kniffen, unerwarteten Twists und geschickten Variationen mantrischer Themen füllen kann, ohne dabei Langeweile zu verbreiten.
Wo der Opener 'Thoughts Like Hammers' vor allem sphärische Passagen mit klaren, sanften und verträumten Vocals kurzen und massiven harten Ausbrüchen konfrontiert, da begegnet uns das folgende 'Death In The Eyes Of Dawn' im Einstieg mit einem epischen und durchaus eingängig wirkenden Motiv, bevor das Stück in progressive Rhythmik, etwas verpeilte elektronische Sounds und entrücktem Gesang umschlägt, die in ihrer verdrehten Epik auch HAWKWIND gut zu Gesicht stünden. Ähnlich verhält es sich mit dem herrlich trippigen 'Materal'.
Sehr auffällig ist auf "Riitiir" der nochmals verstärkte Anteil am Gesangsrepertoire, den inzwischen Herbrand Larsens klare Stimme einnimmt. So schön Herbrand singen kann, so sehr fürchte ich manchmal, dass Grutle zu sehr in den Hintergrund gerät. Dabei ist das großartige 'Veilburner' ein feines Beispiel dafür, wie gut es die Band versteht, den Klargesang auch in instrumental sehr harten und schnellen Passagen einzusetzen, so dass der Freund härterer Klänge nicht befürchten muss, die Band komplett an alternativ-progressive Gefilde zu verlieren.
Klar ist dennoch: Black Metal im Sinne der fünf Scheiben aus den Neunzigern gibt es von ENSLAVED anno 2012 einfach nicht zu hören. Wo "Isa" oder "Ruun" noch hier und da Stücke aufboten, die schwarzmetallische Gelüste befriedigen konnten, da lässt sich diese Herkunft auf "Riitiir" über weite Strecken kaum mehr erahnen. Sicher finden sich auch bei Songs wie dem trotz seiner relativen Kürze extrem epischen Titelstück Riffs im Gitarrenbereich oder Gesangspassagen des Herrn Kjellson, welche die Herkunft der Band zweifelsfrei verraten, aber im Gesamtbild des Werkes spielen diese eine solch untergeordnete Rolle, dass man dem Black-Metal-Fan zum Kauf des Albums nur raten kann, wenn er ein sehr offenes Ohr für progressive, psychedelische, ja, sogar alternativ rockende Einflüsse hat.
Wer sich jenseits der Schubladen wähnt und diese Band von denselben losgelöst betrachten kann, der wird indes auch auf "Riitiir" das meiste von dem finden, was ENSLAVED immer ausgemacht hat: Ein ausgeprägter Hang zum unkonventionellen Songwriting, zu komplexen Strukturen und zu wilden instrumentalen Abfahrten (hört euch nur die Soli von Bass und Gitarre in 'Roots Of The Mountain' an), die jedoch immer wieder einen sicheren Hafen in einschmeichelnden Melodien, unkitschig umgesetzter Dramatik und der erhabenen Epik der harschen wie zarten Hooks des Gesangs findet. Auch die komplexen, instrumental und gesanglich extrem vielschichtigen Arrangements und die herrlich transparente Produktion tragen ihren Teil dazu bei, dass der Hörer in "Riitiir" sehr lange viel Neues entdecken wird. Vor allem natürlich, wenn ein Song wie der elfminütige Rausschmeißer 'Forsaken' von allem etwas aufbietet, das ENSLAVED über die Jahre ausgemacht hat, und dabei trotzdem wie aus einem Guss wirkt.
So bleibt einmal mehr die Feststellung, dass die Band den Bogen einfach heraus hat, und mit "Riitiir" sicher kaum einen Fan verlieren wird, der über "Blodhemn" hinaus bei der Stange geblieben ist. Wer ENSLAVED bisher mochte, wird an diesem Album seine Freude haben, da bin ich mir absolut sicher.
Mehr zu diesem Album:
Soundcheck 9/12
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- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle