GENEVA - Weather Underground
Mehr über Geneva
- Genre:
- Art Rock / (Post) Brit Pop
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Nude Records / Sony Music
- Release:
- 03.04.2000
- Dollars In The Heavens
- If You Have To Go
- Killing Stars
- Museum Mile
- Amnesia Valley
- Morricone
- Guidance System
- Cassie
- Rockets Over California
- A Place In The Sun
- Have You Seen The Horizon Lately?
Poesie der Postmoderne.
Wer schwelgerischen Rock mag, der mittels Melodien, nicht Rhythmik oder Härte, nach Schönheit strebt, und wer kein Problem mit hohem männlichen Gesang hat, wird bei GENEVA fündig. In puncto vertonte Sehnsucht erinnert "Weather Underground", gerade auch stimmlich, an die langsamsten und schwelgerischsten Stücke von SUEDE. Das ist großformatige Inszenierung von Gefühligkeit. Ein Kino der Emotion. Harmonisch und opulent im Klang, unter Einbeziehung auch von Akustikgitarre und dezenten Effekten, die sich fast orchestral mit dem klassischen Rockinstrumentarium verbinden und einen eleganten, einheitlichen Fluss der Musik zelebrieren, greift GENEVA anno 2000 aber auch schon einigem vor, wofür COLDPLAY schließlich bekannter werden wird. Das sacht gespielte Schlagzeug, das in 'Museum Mile' sanft und verschlafen den Takt misst, über dem ungebrochen die alles erfüllende Stimme schwebt, durch die die übrigen Instrumente nur aus dem Hintergrund hindurchschimmern und glitzern - das ist Romantik pur. Dazu im Sommer unter dem Sternenhimmel im Feld liegen und mit offenen Augen träumen und sich von großen Gefühlen ergreifen lassen.
Klar wie reinster Folk klingt "Weather Underground" bisweilen, mit seinem in die menschliche Stimme als Leitmedium gesetzten Urvertrauen, und doch wird dabei der allpräsente technische Aspekt der Moderne nicht ausgeblendet oder als irrelevant verleugnet. Im traurigen 'Amnesia Valley' rührt einen die Metapher "eyes like windows 99", kommt die Sprache auf "cocaine conversations", und doch hat das Stück etwas mystisches. Zwischen melodramatische Popseligkeit und behutsam technisiertes Folkrockglitzern mischen sich gar Triphopanleihen, Streichersamples und eine Prise Postrock in 'Morricone'. Zwischen Soundtrackscapes und Britpop ergeht sich GENEVA dabei stets in Wohlklang, egal ob ein angeblich von Schönheit erfülltes 'Guiding System' zum persönlichen Leit-, wenn nicht gar Augen-Stern ausgerufen wird oder nach dem abrupt endenden verweltlichten Gospel 'Cassie' 'Rockets Over California' in prä-apokalyptischer Heilserwartung scheinbar geradezu herbeigesehnt werden. "It's headed for San Francisco..." - eingebettet in mildes elektrisches Zirpen, träges Hippiegedächtnistambourine, freundlich perlendes Pianospiel und nachgerade friedlichen Hintergrundgesang.
Der elfte September des Folgejahres würde es noch deutlicher machen, was hier in der Musik an Wahrheit mitschwingt: Manchmal dringt selbst Existentielles nur gefiltert durch mediale Erfahrungen in unser Bewusstsein und die eigene Wahrnehmung wird unwirklich "...like a Schwarzenegger movie". Einen feinen Sinn für Ironie und einen hintersinnig daherkommenden schwarzen Humor haben diese fünf Musiker aus Schottland ganz offenbar. Parallelen zu SIGUR RÓS' 'Viðrar Vel Til Loftárása' ("Ágætis Byrjun", 1999) zu ziehen liegt da nahe. Das Understatement, mit dem "Weather Underground" elegant an Abgründigem entlangschlendert, die Doppelbödigkeit von Zeilen wie "tonight we're killing stars" oder Titeln wie dem hymnisch angelegten 'Dollars In The Heavens' wird durch GENEVAs zurückhaltende musikalische Herangehensweise, die gleichzeitig über den durch Bands wie SUEDE mitbegründeten und schließlich durch OASIS & Co. vulgarisierten '90er-Jahre-Britpop weit hinausweist, noch verstärkt.
Das Album ist wie gemacht für Fortschrittsskeptiker, die sich ihre innerste Seelenruhe dessen ungeachtet, und auch ein Stück Romantik - trotz prinzipiell rationaler Erkenntnisfähigkeit - bewahren wollen. Dezente Ironisierung hilft, den Humor nicht zu verlieren, und in kleinen Dosen wird hier sogar psychedelisiert.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz