IHSAHN - Das Seelenbrechen
Auch im Soundcheck: Soundcheck 11/2013
Mehr über Ihsahn
- Genre:
- Prog
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Candlelight
- Release:
- 21.10.2013
- Hiber
- Regen
- NaCl
- Pulse
- Tacit 2
- Tacit
- Rec
- M
- Sub Ater
- See
Hier spielt die Zukunft des Prog.
Wer sich beklagt, dass im Prog nichts mehr wirklich Neues und Innovatives geschieht, dass sich im Prog immer wieder zum Erbrechen auf die alten Helden besonnen wird, dass im Prog instrumentale Fähigkeiten nicht in die Bahn bahnbrechender Erneuerungen gelenkt werden, wer dies beklagt, der soll IHSAHN hören!
IHSAHN ist ein Musiker, der noch nie Grenzen kannte, sei es als Entwickler und Innovator des norwegischen Black Metal in den Neunzigern, sei es als magischer Mixer schwarzmetallischer Düsternis mit Strömungen des modernen Metal und des neuen Artrock in diesem Jahrtausend.
An IHSAHN scheiden sich deswegen die Geister. Ganz besonders bei "Das Seelenbrechen" wird vor allem die Fraktion, die Neuartiges fordert (alle anderen legen das Ding schnell weg), sich der großen Herausforderung stellen müssen, dieses Neuartige auch zu verstehen und zu verdauen. Dazu muss man Erwartungshaltungen ausblenden, die möglicherweise durch die Historie des Musikers entstanden sein könnten. Man muss sogar noch viel mehr aufgeben. Wer "Das Seelenbrechen" mit Genuss hören und verstehen will, sollte die sich vom Aufbau und der Struktur eines Rocksongs und auch dem eines alten, wohligen Progsongs loslösen. Und von Stilen.
IHSAHN kennt vieles, kann vieles und benutzt es je nach Belieben als Mittel zum Zweck, und der Zweck ist...was eigentlich? Der Song? Nö. Die Klangreise? Schon eher. Und schon kommen wir an den Punkt, bei dem es schwierig wird, überhaupt zu definieren, was genau IHSAHN ausdrücken will. Das Album heisst "Das Seelenbrechen", ein sehr düsterer Titel, der Gewalt, Verzweiflung und Resignation in sich birgt, alles Elemente, die seine extreme Musik auch 2013 überbringt. Mir liegen leider keine Infos zum Konzept vor, doch es scheint so, als ob IHSAHN in den ersten vier Songs erst einmal die Facetten dieser komplexen Seele aufzeichnen will. Der Opener 'Hiber' ist schon verschlungen und sperrig, durchzogen von wuseligen Keyboard-Läufen und jeder Menge Breaks und Melodien, die ein wenig an 'The Devils Orchard' von OPETH erinnern. Die Seele ist nicht mit sich selbst im Reinen, zerfasert bisweilen. Im zarten Piano von 'Regen' droht sie dann zu versinken. Ich meine, Mikael Akerfeldt singen zu hören, verhalten und voller Melancholie, doch schwere, bombastische Akkorde bauen eine unheilvolle Stimmung auf, IHSAHNs Keifstimme thront über ihnen wie ein Meister der Boshaftigkeit und danach entsteht eine Symphonie an Gänsehautschauern mit mächtigen, sakralen Chören. Die Seele ist auf einmal stark und erscheint unbesiegbar.
Bei 'NaCl' schwelgt sie dann in fast alternativ-proggigen Sphären und blickt verträumt-hallend in die Ferne. 'Pulse' entfernt sich dann komplett vom Progmetal, die Seele entspannt sich bei ambient-elektronischen Klängen irgendwo zwischen OSI, ULVER oder gar ARCHIVE, noch treffender wäre der Vergleich zum schwedischen Solokünstler KRISTER LINDER. Einfach wunderschön! Die Seele ist jetzt mit sich komplett im Reinen, doch von nun an wird sie bestraft und gebrochen. Dazu wählt IHSAHN das Stilmittel der Improvisation. 'Tacit2' ist das komplette Gegenteil zum entspannt-harmonischen 'Pulse', die Schlagzeugschläge wirken wirr und unkoordiniert, IHSAHN verkörpert durch sein Schreien die Geister, die an der Seele zerren, gespenstische Sounds ziehen wie Nebelschwaden durch spinnenwebenbehangene dunkle Korridore und bei 'Tacit' wird das Ganze zu einem undurchdringbaren Labyrinth, in dem man erst den Weg und dann sich selber verliert. Dieses Klanggespenst wird bei jedem Spin genialer, doch wenn die schrägen Bläser einsetzen, werden sich so einige Hörer nach Konventionellem sehnen.
Es folgen drei weitere Stücke, die in einem ausgefallenen Mix aus OPETH-Melancholie ('Rec'), wabernder Psychedelia und düster-schwelgerischem Prog 'n' Artrock ('M', 'Sub Ater') pendeln, und allesamt den Pfad des Metal komplett verlassen. Für wen das kein Problem ist, der kann das hier komplett grandios finden. Der zweite, endgültige Seelenbrecher ist 'See', eine erst verhalten flackernde, strukturlose Klangkollage, zu der IHSAHN dunkle Worte flüstert. Das türmt sich dann zu einem rhythmisch völlig freien Horrortrip auf, der einen am Ende verstört zurücklässt. Schade, dass IHSAHN damit endet. Jetzt noch ein traditioneller Black-Metal-Knaller am Schluss, und es wäre hier vielleicht die Höchstnote dringewesen.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Thomas Becker