IN LOVE YOUR MOTHER - The Greatest Hits
Mehr über In Love Your Mother
- Genre:
- Mathcore / Dadacore / Chaoscore
- Label:
- Eigen
- Release:
- 26.05.2018
- 8.4 She
- 9.3 Monsieur Le Bär
- 8.8. En Bom, Zwo Böm
- The Incredible Exploding Frosch Experience
- 10.1 The Painter
- 8.5 The Artist
- 8.7 The Chair
- Chase
Verstörende Konsequenz
Die Züricher Chaoscore-Truppe IN LOVE YOUR MOTHER geht ihren Weg mit einem Selbstverständnis, das bei allem Befremden, welches ihre Musik auslösen kann, von einer schwer zu überbietenden Konsequenz gekennzeichnet ist. Begonnen hatte alles 2014 mit "The Great Ape Project", einem anarchisch-durchgeknallten Mathcore-Geschoss mit Ur-SYSTEM OF A DOWN-Anleihen und dadaistisch konfuser Lyrik. "The Great Ape Project" wirkte bei allem Chaos und dem selbstgewählten Blödelanstrich wie aus einem Guss und entwickelte sich bei mir zu einem echten Grower, beinhaltete gar einige regelrechte "Hits" – ja! Der Nachfolger "Dada For Your Mada" wirkte sperriger, bewusst unbequemer, metallisch-schwerer - die Schweizer Mütterfreunde schienen plötzlich ernst machen zu wollen und gaben dafür die unbeschwerten Albernheiten des Vorgängers ein Stück weit auf.
Und nun folgt das mit "The Greatest Hits" betitelte Drittwerk, das einen noch viel gewaltigeren Sprung in Richtung Anarchie und akustischem Dadaismus darstellt. Der Proberaumcharakter der Aufnahmen (die das Trio gemeinsam und komplett analog aufgenommen hat), der scheinbar willkürliche Wechsel zwischen Englisch und Dütsch, die offenkundig frei improvisierten Lärmparts der meisten Nummern - IN LOVE YOUR MOTHER löst endgültig alles auf, was die Band bislang noch an Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Kapellen bot. Postcore-Fetzen werden Freestyle-Jazz-ähnlich mit Noise-Geschrammel und strukturlosen Mathcore-Rhythmen zusammen geworfen und scheinbar willkürlich verquickt, bis von Musik nur noch in entfernterem Sinn gesprochen werden kann. Und auch wenn mit 'The Chair' zumindest ein Song geboten wird, der so etwas wie eine dramaturgisch nachvollziehbare Kurve aufweist und 'Chase' als friedlicher akustischer Ausklang nochmal völlig neue Akzente setzt, ist "The Greatest Hits" (das natürlich kein Greatest-Hits-Album darstellt) Dadaismus in Reinform, der KNORKATOR wie ungehobelte Kindergartenknirpse und THE HIRSCH EFFEKT wie eine Schnittmuster-Radio-Rock-Combo erscheinen lässt. Meist beherrscht chaotischer Lärm unterschiedlichster Geräuschquellen die Szenerie, der Gesang besteht fast ausschließlich aus quengeligem Geschrei und lässt den corigen Biss, den Valentin Baumgartner auf den ersten beiden Alben an den Tag legte, vermissen. Die Eidgenossen destrukturieren ihren bisherigen Sound mit Nachdruck und erschaffen ein verstörendes, aberwitziges Kunstungetüm, das selbst Avantgarde-Vereinnahmungen praktisch unmöglich macht. "The Greatest Hits" ist Anarchie pur, genial hässlich, durchweg anstrengend und einem breiteren Publikum absolut nicht zumutbar. Ich vermute, damit spricht man IN LOVE YOUR MOTHER ein Kompliment aus, das sich die durchgedrehten Schweizer gerne auf ihre Fahnen schreiben werden.
Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wohin die Reise dieses gänzlich unkonventionellen Trios noch gehen soll. Bereiteten mir die ersten beiden Platten nach etwas Einarbeitungszeit noch tierisch Freude, ist "The Greatest Hits" wahrlich alles andere als ein Hörvergnügen. Entsprechend entzieht sich der Achttracker, dem Fans konventionellerer Rockmusik wahrscheinlich keinen einzigen Punkt geben und Kunstliebhaber womöglich die Höchstwertung verleihen würden, einer objektiven Bewertung. Ich für meinen Teil hoffe zwar, dass IN LOVE YOUR MOTHER demnächst wieder zur einer nuanciert zugänglicheren Gangart zurückkehrt (- dass ich das eines Tages so schreiben würde, hätte ich nach dem Erstkontakt mit "The Great Ape Project" im Leben nicht gedacht! -), feiere die Truppe aber dennoch dafür, mit "The Greatest Hits" wirklich sämtliche musikalische und künstlerische Konventionen in bester Dadaistentradition mit einem aberwitzigen Arschtritt auf den Müllhaufen der Kunstkritik befördert zu haben.
- Redakteur:
- Timon Krause