KNORKATOR - Sieg der Vernunft
Mehr über Knorkator
- Genre:
- Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Tubareckorz / Rough Trade
- Release:
- 07.10.2022
- Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war
- Sieg der Vernunft
- Der Hofstaat
- Ihr habt gewonnen
- One Way Or Another
- Milliardäre
- Tut uns leid
- Es lebe der Tod
- Menschenfleisch
- Knurrkater
- Augen zu
Politik und Scheiße.
"Sieg der Vernunft" ist doch tatsächlich schon das zehnte Studioalbum der Wirrköpfe aus Berlin-Köpenick, die sich 1994 den Kollektivnamen KNORKATOR gaben und seitdem (von der kurzen Auflösungspause mal abgesehen) durch die deutsche Musiklandschaft pesen. Waren anfangs die beiden Pole Chaos und Anarchie noch taktgebend, wurde Deutschlands meiste Band der Welt über die Jahre immer aufgeschlossener auch für ernste Töne und durchdachte Komposition. Im Jahre 2022 angekommen, in einer Zeit, in der fast jeder Satz auch eine politische Tragweite hat, wird auch direkte Gesellschafts- und Untergangspolitik immer mehr zum Thema für die lustigen Dödel aus der Hauptstadt, die so viel mehr im petto haben als der normale Durchklicker sich ausmalen könnte.
Mit dem letzten Album kündigte sich dies schon etwas an, auf "Sieg der Vernunft" gibt es mit Songs wie 'Milliardäre', 'Der Hofstaat' oder 'Tut uns leid' tatsächlich sehr direkte politische Texte. Die sind zum Glück nicht tagesaktuell, sondern werden vermutlich "leider" auch in 20 Jahren noch verstanden, wenn sich nicht bald etwas am Weltkapitalismus ändert (siehe dazu auch unser Interview mit Alf Ator). Auch das wunderschöne 'Ihr habt gewonnen' oder 'Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war', in dem der Rohstoffmarkt um Öl, Gold oder Gas durch Scheiße ergänzt wird, haben eine klare gesellschaftskritische Schlagseite. Da fällt das etwas lieblose BLONDIE-Cover 'One Way Or Another' beinahe sehr stumpf aus dem Raster. Ist zum Glück auch das einzige Cover auf dem Album.
Mancher Takt bei 'Milliardäre' zum Beispiel stößt mir etwas sauer auf, weil die Gesangslinie nicht ganz sauber im Rhythmus ist oder die Wortwahl nicht so ganz ins Reimschema passt. Aber diese Kleinigkeiten gehen schnell unter, weil sich uns Alf mit seinen Kompositionen dieses Mal wirklich mit allem Ruhm bekleckert hat. Hier treffen feinsinnige Keyboardmelodien auf Gitarren-Brutalismus, progressive Songaufbauten auf pure Eingängigkeit und kleine Hintergrundfantasien auf In-Die-Fresse-Anarchismus. 'Tut uns leid' etwa wirkt unterm Kopfhörer noch einmal ganz anders, wenn man jedes Geräusch auch wirklich hört.
Dazu kommt, dass KNORKATOR auch das wieder zulässt, was über die Jahre etwas abhanden gekommen ist. Damit meine ich Blödsinns-Experimente wie 'A' oder 'Konflikt' oder 'Verflucht und zugenäht' aus den Anfangstagen. So wartet auf Menschen, die diese kleine Säule des KNORKATOR-Sounds ebenso wie ich vermisst haben, auf den epischen Breitwandbanger 'Es lebe der Tod' (den ich sehr liebgewonnen habe) mit 'Menschenfleisch' und 'Knurrkater' ein echter Nostalgietrip. Zum Abschluss gibt's mit 'Augen zu' dann noch eine waschechte Hymne, die die Hand blitzschnell zum Repeat-Knopf führt.
Insgesamt ist "Sieg der Vernunft" also ein sehr rundes Ding geworden. Viel runder als "Widerstand ist zwecklos", das nach der ersten langen Euphoriephase in meiner Gunst ziemlich abgebaut hat. Stumpen singt selbstverständlich immer noch toll, Alf auch mal wieder so gut wie nie zuvor, Buzz Dee spielt seine Gitarre irgendwie, Rajko groovt seinen Bass dazwischen und der neue Drummer Philipp Schwab bringt hörbar etwas mehr Metal mit als sein Vorgänger. Da gibt's also auch nicht zu meckern. Ein ganz famoses Album.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Marius Luehring