LORNA SHORE - I Feel The Everblack Festering Within Me
Mehr über Lorna Shore
- Genre:
- Death Metal / Deathcore
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Century Media Records / Sony Music
- Release:
- 12.09.2025
- Prison Of Flesh
- Oblivion
- In Darkness
- Unbreakable
- Glenwood
- Lionheart
- Death Can Take Me
- War Machine
- A Nameless Hymn
- Forevermore
Grenzenlose Freiheit errungen bei gleichzeitig willkommener Entzauberung.
Seit Will Ramos 2021 den Gesangsposten bei LORNA SHORE übernahm, legte das Deathcore-Quintett aus New Jersey einen kometenhaften Aufstieg hin, der in seiner Beispiellosigkeit zuletzt nur vom modern-progressiven Outfit SPIRITBOX erreicht wurde. Als hätte es die vorangegangenen zehn Jahre Bandgeschichte nicht gegeben, wurde medial vor allem Ramos' extreme Gesangsleistung hervorgehoben, erst danach die tatsächlich selten so gelungene Verquickung von kompromisslosem Deathcore mit symphonischen Death- und Black-Metal-Elementen. Mit Album Nr. 5 will sich die Truppe laut eigener Aussage konsequent weiterentwickeln und das bisherige musikalische Korsett bewusst sprengen. Zunächst kein ungewöhnlicher Ansatz nach dem beachtlichen Erfolg des Vorgängers "Pain Remains", der in erster Linie für eine Konsolidierung des bisherigen Sounds stand.
Und "I Feel The Everblack Festering Within Me" ist, das sei bereits verraten, tatsächlich der mit Abstand abwechslungsreichste Output der Deathcore-Gipfelstürmer bislang. Die Anzahl an stilistischen Einflüssen ist beinahe verwirrend, und am Ende dieses gut einstündigen Parforce-Rittes ist man kaum in der Lage, das eben Gehörte und Erlebte (oder Überlebte?) zu sortieren. Von vorne: Gleich zu Beginn zerlegt der Fünfer bei 'Prison Of Flesh' mit unfassbarem High-Speed-Gedresche sämtliche Erwartungen an Eingängigkeit, welche durch die beiden Vorab-Singles 'Oblivion' und 'Unbreakable' geweckt wurden; die unschematische Songstruktur und die boshaften Gewalteruptionen, vergleichbar vielleicht mit WHITECHAPELs Extrem-Deathcore-Rückbesinnung "Hymns In Dissonance", müssen erst einmal verdaut werden. Es folgt das eben genannte 'Oblivion', ein nunmehr schon als klassische LORNA SHORE-Hymne einzusortierendes Opus, das mit ebenso schlichten wie genial-eingängigen symphonischen Melodien und der entwaffnenden Ernüchterung angesichts des nicht zu bändigenden menschlichen Zerstörungspotentials für maximale Gänsehaut sorgt.
Doch die neu erlangte musikalische Freiheit wird erst im weiteren Verlauf umfassend ausgenutzt. Es folgt 'In Darkness', ein symphonischer Todesblei-Banger mit einem majestätisch getragenen Ohrwurmrefrain, in beeindruckender Ausgewogenheit Deathcore mit melodisch-hymnischem Death-Metal verbindend. Die zweite Single 'Unbreakable' darf wiederum ohne Spott als melodische Power-Metal-Nummer mit Death-Metal-Vocals bezeichnet werden. Stellt euch hier mal das Falsett eines Timo Kotipelto anstelle Ramos' bestialischen Geschreis vor – die Nummer würde immer noch perfekt funktionieren (und gab es da nicht mal ein 'Unbreakable' von STRATOVARIUS?). Aber es kommt noch überraschender: Mit 'Glenwood' dürften viele Ur-LORNA SHORE-Fans ihren PARKWAY DRIVE-Moment haben, wenn die Band hier plötzlich bedächtig einleitet und eine Stadion-Rock-Hymne aus dem Hut zaubert, die im Effekt einem 'Vice Grip', damals als Kontrast zum früheren extremen Bandschaffen der Australier, in Nichts nachsteht. 'Death Can Take Me' wiederum erinnert mich positiv an frickelige Tech-Death-Vertreter wie INFERI, während in 'War Machine' rifftechnisch sehr cool der Bay Area und ihren Heroen gehuldigt wird.
Bei 'Lionheart' weiß ich nicht, was die Band eigentlich genau will; irgendwie episch klingen und dabei die eigene monströse Brutalität nicht preisgeben, sicherlich, nur diesmal gelingt diese typische Herangehensweise nicht ganz. Auch die High-Speed-Attacke 'A Nameless Hymn' ermüdet mich bislang mehr, als dass sie mitzureißen vermag. Das elegisch-getragene 'Forevermore' als Abschluss stimmt mich aber wieder versöhnlich: Die epische Größe, die man von LORNA SHORE mittlerweile erwarten darf, wird hier in stimmiger Balance zwischen Bombast und Zerstörungswut aufgespannt und mit einer tragischen Note veredelt.
Wie ist "I Feel The Everblack Festering Within Me" nun einzuordnen? Es wird Stimmen geben, die das Album als weiteren Meilenstein der Fusion aus extremem modernem Death Metal und schwarz-symphonischem Todesstahl feiern werden. Es wird Fans geben, denen die Entgrenzung des etablierten Bandsounds zu weit geht und die 'Unbreakable' und 'Glenwood' – zurecht – als Bewerbungsschreiben für Festival-Headliner-Slots kritisieren werden. Um Objektivität bemühte Schreiberlinge wie unsereins werden bei aller zweifellos vorhandener musikalischer Qualität die Frage stellen, ob LORNA SHORE stilistisch den Bogen nicht überspannt hat, wenn hier selbst die "Of Truth And Sacrifice"-Experimente von HEAVEN SHALL BURN vom Umfang her in den Schatten gestellt werden.
Bei aller Ergebnisoffenheit bleibt für mich die Erkenntnis – auf die Gefahr hin, bei Die-Hard-Fans für Empörung zu sorgen –, dass LORNA SHORE mit der Orientierung hin zu konventionellem symphonischem Death Metal den richtigen Weg eingeschlagen hat. Da ist eine gewisse Erdung nicht abstreitbar; gerade diese Ausflüge in etabliertere Death-Metal-Bereiche lassen in Zukunft noch rundere Kompositionen und durchweg packende Momente mit den US-Amis erwarten (wobei auch mir bei 'Glenwood' der Stadion-Rock-Kitsch zu dick aufgetragen wurde). Ja, ausgerechnet die klassischen Deathcore-Elemente, also die teuflischen Vollbremsungen und die zusammengegrunzten Breakdowns, wirken auf diesem Album eher obligatorisch und zerstören oft den Fluss, das packende Moment mehrerer Songs. Ganz ehrlich: Wegen mir kann das weg, in den meisten Fällen. Ob man so weit gehen wird, die alten Wurzeln wie anno dazumal AS I LAY DYING zugunsten klassisch-metallischer Songstrukturen endgültig über Bord zu werfen, bleibt abzuwarten.
Vorübergehendes Fazit: LORNA SHORE zementiert mit "I Feel The Everblack Festering Within Me" die absolute Ausnahmestellung der Band in der Extrem-Metal-Szene, liefert mehrere hitverdächtige Kompositionen – darunter mit 'Oblivion' vielleicht meinen Song des Jahres – ab, zeigt sich experimentierfreudig ohne Ende, auch auf die Gefahr hin, mit der bemerkenswerten Stiloffenheit das treue Publikum zu überfordern. Will Ramos & Co. können offenbar alles. Gemeinsam mit einer nochmaligen Verbesserung im Sound, nämlich weg vom sterilen Geklirre früherer Alben, wird "I Feel The Everblack Festering Within Me" in vielen Jahresbestenlisten um den Spitzenplatz mitmischen. Ich persönlich bin allerdings kein Freund plötzlicher Mainstream-Anbiederungen – besagtes 'Glenwood' kann ich da nicht nur als Ausrutscher einsortieren – und finde in stilistisch klarer abgegrenzter Musik meist mehr Langzeithörpotential, daher trotz zweifellos großer kompositorischer Qualität, furchtloser Experimentierfreude und weiterhin bestechender musikalischer Fertigkeiten nur 8,5 Punkte von meiner Seite. Enttäuschung sieht selbstredend anders aus.
Anspieltipps: Oblivion, Death Can Take Me, War Machine, A Nameless Hymn
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Timon Krause