MARILLION - An Hour Before It's Dark
Mehr über Marillion
- Genre:
- Progressive Rock
- ∅-Note:
- 8.75
- Label:
- earMUSIC (Edel)
- Release:
- 04.03.2022
- Be Hard On Yourself
- Reprogram The Gene
- Only A Kiss
- Murder Machines
- The Crow And The Nightingale
- Sierra Leone
- Care
Zwei vergangene Jahre, in Musik gegossen.
Zwei Jahre, zwei schwierige Jahre. Wie würden sich diese zwei Jahre der Pandemie, der Ungewissheit, der Unsicherheit auf die Musik meiner Lieblingsband niederschlagen, fragte ich mich bereits bei der Ankündigung des 18. Studioalbums (wenn man, sowie ich, beide Teile von "Happiness Is The Road" als eines zählt). Immerhin hatte man zuletzt, also vor fünf Jahren, ein Konzeptalbum in bester Achtziger-Manier veröffentlicht und damit zum Einen gezeigt, dass man weiterhin die ganz großen Epen zu komponieren imstande ist, und zum Anderen, dass man sich keinen Deut um den Zeitgeist schert und sein Ding durchzieht.
Nun also "An Hour Before It's Dark". Nach "F.E.A.R." war es sicher kein leichtes Unterfangen, einen Nachfolger zu basteln, aber MARILLION hat sich in der Bandgeschichte mehrfach neu erfunden, so 1988, 1994 und 2004 nochmal. Der gepflegte, britische Art Rock, der als Fundament dient, wurde beinahe in jede Richtung ausgelotet. Was kann da noch kommen? Nun, das ist eine Frage, die man so guten Musikern, Komponisten und vor allem Steve Hogarth als Texter nicht stellen muss, denn bis auf wenige Alben, die ich nur mittelmäßig finde, haben die Fünf immer großes Kino abgeliefert. Deswegen ist es sicher nicht überraschend, wenn ich behaupte, dass MARILLION mit "An Hour Before It's Dark" wieder höchste Qualität abgeliefert hat.
Das neue Album ist kein Konzeptalbum, aber ein wenig Konzept klingt dann doch durch, wenn der Albumtitel im ersten und prominent im letzten Lied im Text auftaucht, und doch sind die Themen breit gefächert und nur durch eine allgemeine Anklage an den Zustand der Welt verbunden, aus der nicht einmal das eigentlich positive 'Sierre Leone" auszubrechen vermag. Tatsächlich scheint es mir, als stände bei dem aktuellen Album noch mehr als sonst die Lyrik des Sängers Hogarth im Vordergrund. Es gibt weniger ausladende Instrumentalpassagen und die Gesangsmelodien sind nicht so eingängig, wie es die Band sonst zu komponieren vermochte. Stattdessen klingen manche Stücke wie die Vertonung eines Gedichtes, einer Poesie, die sich auch gerne mal der üblichen Metrik sanft entzieht. Die Entdeckungsreise von "An Hour Before It's Dark" sollte mit dem Hören und gleichzeitigen Mitlesen der Texte beginnen, die anno 2022 besonders intensiv ausgefallen sind.
Musikalisch ist natürlich gerade für Fans mit den vier langen, mehrfach unterteilten Stücken bereits beim Anschauen der Songliste alles im grünen Bereich. Das unerwartet rockige 'Be Hard On Yourself', das ungewöhnlich poppig und direkt beginnt, dann in das ganz großes Drama abtaucht, eröffnet das Album, der "kurze Longtrack" 'Reprogram The Gene' nimmt den Ball auf und bleibt erstmal rockig, erst mit 'Sierra Leone' kommt dann wieder das ganz große Epos. Wobei mich dieser Song nach einigen Durchläufen weniger packt, dafür aber das abschließende 'Care' umso mehr. Es stellt den Höhepunkt des Albums dar und gebiert gegen Ende eine dieser unsterblichen Textzeilen, die zuerst Fish und dann Steve Hogarth so unnachahmlich schreiben können: "The angels in this world are not in the walls of churches" und als abschließenden Satz "An angel here on earth came down to carry me home". Natürlich, die Pandemie hat deutliche Spuren in den Texten hinterlassen.
Nicht erwähnt habe ich die zwei Stücke, die nicht in verschiedene Parts unterteilt sind, nämlich das eingängige 'Murder Machines' und 'The Crow And The Nightingale', das für mich schon beim ersten Hören ein musikalischer, wohliger Heimathafen war und so deutlich wie kein anderes Lied auf "An Hour Before It's Dark" nach MARILLION klingt. Und damit per se natürlich ein sofortiges Highlight darstellt. Ja, es geht auch ohne Kapitel ohne jeglichen Qualitätsverlust.
Das neueste MARILLION-Album nimmt den Hörer mit auf eine Reise, die einzelnen Lieder an sich wirken auch und vor allem durch den Albumkontext, und erst, wenn man mit dem ganzen Werk vertraut ist, entfalten sie ihre ganze Wirkung. So gesehen folgt "An Hour Before It's Dark" dem Vorgänger "F.E.A.R." passend nach, ohne wirklich ein offensichtliches Konzept zu haben, stattdessen wurde mit Klang und Komposition ein Bogen gebildet und ein Album geschaffen, das danach verlangt, am Stück genossen zu werden. Dabei reiht sich 2022 nicht ein in die oben genannten Neuerfindungen, denn tatsächlich zeigt "An Hour Before It's Dark" trotzdem eine Kontinuität in der der Bandgeschichte, die aktuell einen Pfad parallel zu ihrem Schaffen der letzten zwei Jahrzehnte beschreitet, ohne dabei die Richtung zu wechseln, aber auch, ohne sich selbst zu kopieren. Klasse.
Zu 'Murder Machines' gibt es auch ein Video:
Aber wenn man mitsingen möchte, ist 'Be Hard On Yourself' noch besser...
... doch der Höhepunkt ist 'Care':
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Frank Jaeger