MOONSORROW - Verisäkeet
Mehr über Moonsorrow
- Genre:
- Epic Pagan Metal
- Label:
- Spikefarm
- Release:
- 07.02.2005
- Karhunkynsi
- Haaska
- Pimeä
- Jotunheim
- Kaiku
Weite nordisch-raue Landschaften mit verträumten Seen und majestätischen Wäldern haben viele Geschichten zu erzählen. Ihre Mythen beschäftigen sich mit tapferen Nordmännern, mit ihren klirrenden Schwertern, ihrem wilden Stolz - und ihrem Blut, das der karge Boden in unzähligen Kämpfen aufgesogen hat. MOONSORROW aus Finnland scheinen auf ihrem vierten Album ganz genau in ihre Heimat und ihre Sagenwelt hineingehorcht zu haben. Denn "Verisäkeet" ist ein Werk von epischer Dimension, ein nordisches Meisterstück in der Tradition der trotz Songschreiber Quorthons Tod unvergessenen BATHORY, eine Hymnensammlung in Erinnerung an längst vergangene Zeiten.
MOONSORROW wurden 1995 von dem Bruderpaar Ville Seponpoika Sorvali und Henri Urponpoika Sorvali gegründet. Seitdem sorgten sie mit ihren CDs - das Debüt "Suden Uni" erschien 2001 - für Furore unter den Pagan-Metal-Verehrern der Welt. Doch immer schon standen sie im Schatten ihrer Landsleute von FINNTROLL und ENSIFERUM. Ob sich das mit der neuen Scheibe ändern wird, sei dahingestellt. Doch klar ist in jedem Fall, dass die äußerst breit angelegte Musik von MOONSORROW mehr über die finnische Seele erzählt, als dies bei kurzen und knackigen Humppa-Melodien überhaupt möglich ist. So ist "Verisäkeet" vor allem eine Album über die dunklen und melancholischen Seiten Finnlands. Diese werden majestätisch ausgebreitet, kein Song dauert weniger als zwölf Minuten.
Die Scheibe beginnt mit Vogelgezwitscher, eine Geige gesellt sich dazu. Dann dröhnt eine Gitarre und 70 Minuten Lehrstunde im Fach "Epik" nehmen ihren Lauf. 'Karhunkynsi' besitzt ein folkiges Riff, das jedoch niemals so penetrant fröhlich klingen will wie viele FINNTROLL-Stücke. Die immer wieder einsetzende Geige bringt noch ein paar Spuren Melancholie dazu. Und dann ist da noch die Stimme von Sänger Ville: Aggressiv klingt seine Kreischstimme, aggressiv und kämpferisch. Schnell setzen sich Bilder im Kopf fest: Nordmänner im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, mit dem Stolz, entweder zu siegen oder doch zumindest kämpfend unterzugehen. Dieser durch die Musik erzeugte Phantasiefilm erhält durch die markerschütternden Schreie von Ville immer wieder neue Nahrung: Dieser Sänger wähnt sich wohl selbst im angestrengten Käftemessen mit seinen Feinden. Währenddessen ist der Charakter von 'Karhunkynsi' immer mehr in Richtung eines kriegerischen Marsches gewechselt, der mit abwechslungsreichen Gitarren, erhabenen Keyboardteppichen und heroischen Männerchören die vorrückenden MOONSORROWschen Armeen begleitet. Da plötzlich ein Break, Ville entweicht ein unmenschlicher Schrei und das Chaos bricht los: Black-Metal-Raserei in Reinkultur, hier spätestens nun entscheidet sich für vergangene Helden eine Schlacht im Nahkampf, von Angesicht zu Angesicht mit ihren Gegnern. Ville schreit erneut. Gänsehäute kriechen nur so den Körper entlang, als Chöre in das Chaos einstimmen und die ersten Seelen ins Jenseits leiten. Was für ein Song, welche Kraft und Macht... Wind bläst am Ende des Stücks über das Feld ...
... dazu klirren im Hintergrund Schwerter. Eine Akustik-Klampfe läutet 'Haaska' ein, das mit diesem Hammer-Riff auch auf BATHORYs Wunderplatte "Hammerheart" gepasst hätte. Doch MOONSORROW erweitern die Arbeit von Quorthon. So spielt bei 'Haaska' ein Akkordeon traurige Melodien. Und immer wieder bricht sie hervor, die klagend-kriegerische Stimme von Ville, die in dieser Form in Finnland gänzlich einmalig sein dürfte. Wer etwa findet, dass Varg Vikernes von BURZUM eine geiles Organ hat - und dass der verrückte Typ trotz seiner Untaten singen kann, ist wohl unbestritten - wer diese Stimme also kennt, der wird die kämpferische Weltverachtung aus dem Mund von Ville ebenfalls lieben. Tja, und auch nach mehr als zehn Minuten ist 'Haaska' wie schon 'Karhunskynsi' in keiner Sekunde durchschnittlich. Jede Note klingt bedeutungsschwanger und webt aus dem Song eine weitere Ode an die Krieger des Nordens. Der Pathos, der hier um sich greift, wird von der druckvollen Produktion weiter unterstützt - fast möchte man selbst das nächstbeste Holzschwert greifen, an den örtlichen Baggersee gehen und dort Schlachten nachspielen.
Diese geistigen Anwandlungen stoppen auch bei 'Pimeä' nicht, das mit Uhu-Rufen im Wald beginnt. Die Nacht wird von einem weiteren druckvollen Riff aus dem MOONSORROWschen Klangkabinett durchstoßen, Sänger Ville verendet hier gleich beim ersten Schrei. Im Hintergrund des Midtempo-Gestampfes verzaubern wunderschöne Akustik-Gitarren, dazu kommen noch geheimnisvoll wabernde Keyboards. Im Verbund mit den Schreien von Ville zeichnet sich ein fast erdrückendes Gemälde über eine gar nicht friedliche Nacht im Wald zwischen Hoffen und Bangen, rastlos scheint ein Trupp Nordmänner sich zwischen den Bäumen hindurchzukämpfen. Ihre Hoffnung geben sie dabei nie auf, eher scheinen sie einer Art irrem Freudenkoller zu erliegen, darüber froh, hier für sich und ihre Familien das Schwert führen zu dürfen. Woher solche Assoziationen kommen? MOONSORROW haben wahrscheinlich vor dem Komponieren von "Verisäkeet" jede Menge Filmsoundtracks von heroischen Streifen der Marke "Der Herr der Ringe" oder "Braveheart" inhaliert - denn die Dramatik ihres Sound gleicht der Musik der großen Hollywood-Produktionen. Nur dass im Falle von MOONSORROW eben noch dieser einmalige finnische Touch dazukommt, der schon Bands wie den frühen AMORPHIS oder den frühen SENTENCED ihren magischen Charakter gab (und den diese später leider ablegten) ...
Das Bewusstsein für die eigene Heimat zeigen MOONSORROW auch in einem anderen Aspekt: Sämtliche Texte sind in Finnisch gehalten - dank der Sprachbarriere hat der Hörer also gar keine andere Chance, als in die Songs Krieg und Verderben hineinzuinterpretieren. Oder, wie im Fall von 'Jotunheim', die Erklärung in der Trauer um gefallene Kameraden zu suchen. Todunglücklich spielen hier eine Akustikgitarre und eine Flöte miteinander und messen sich darin, welches Instrument von beiden nun tragischer klingt. Ein Sieger steht auch dann nicht fest, als wiederum eine mächtige Gitarrenfront das Idyll auflöst und ein neues episches Kapitel im Midtempo-Stil anschließt. Männerchöre sind wieder zu hören, mystische Keyboards allemal. Inzwischen sind schon gut 50 Minuten zu Ende, und die Scheibe ist zu keiner Sekunde abgeflacht, die emotionalen Höhepunkte laufen immer noch wie auf einem akustischen Fließband am Ohr vorbei. Dies tun sie übrigens nun schon seit einer Woche - bis jetzt lief die CD fünfzigmal am Ohr des verblüfften Schreiberlings vorbei, ohne auch nur einen Funken ihrer Magie einzubüßen. Dies jedoch nur als verwunderte Feststellung am Rande.
Denn ob das künstlerische Genius von MOONSORROW vom im NIGHTWISH-Wahn befindlichen Metal-Mainstream gewürdigt wird, bleibt trotzdem fraglich. Dafür sind die Songs zum Teil einfach zu schwermütig, zu vertrackt, zu abwechslungsreich. Warum sich tiefgründig mit etwas auseinandersetzen, wenn andere finnische Bands doch viel einfacher zu konsumieren sind. Ich kann mich irren, aber große Hoffnung habe ich nicht. Oder doch?! Die Art wie Ville singt, ist eigentlich der Beweis, dass Verzweiflung zwar immer und zu jeder Zeit angebracht ist, aber nur als Motivation, dass der Kampf gegen was auch immer weitergehen muss. Und so vermittelt auch das letzte Stück 'Kalku' - eine finnische Lagerfeuer-Hymne zum Nachspielen auf der eigenen Klampfe - ein seltsames Zwischending aus Trauer und der Hoffnung auf bessere Zeiten, aus Melancholie und dem Streben, aus dem Leid auszubrechen. Dies ist wohl auch letztendlich die optimistische Quintessenz von "Verisäkeet", einem Album, an dem BATHORYs verstorbenes Mastermind Quorthon seine helle Freude gehabt hätte. Für mich jedenfalls steht nun schon einmal fest, wo ich dieses Jahr meinen Urlaub machen will und wen ich dabei möglichst live spielen sehen möchte. Hach, schön wenn ein Album so inspirieren kann ...
Anspieltipps: Haaska, Karhunkynsi
- Redakteur:
- Henri Kramer