NAPALM DEATH - Utilitarian
Auch im Soundcheck: Soundcheck 02/2012
Mehr über Napalm Death
- Genre:
- Grindcore
- ∅-Note:
- 8.75
- Label:
- Century Media (EMI)
- Release:
- 24.02.2012
- Circumspect
- Errors In The Signals
- Everyday Pox
- Protection Racket#
- The Wolf I Feed
- Quarantined
- Fall On Their Swords
- Collision Course
- Orders Of Magnitude
- Think Tank Trials#
- Blank Look About Face
- Leper Colony#
- Nom De Guerre
- Analysis Paralysis
- Opposites Repellent
- A Gag Reflex
...Very british! Eine typische NAPALM DEATH!
"Don’t fuck with their heads" verlautbarte Barney Greenway, der symphatische Frontmann von NAPALM DEATH, jüngst in einem Interview. Natürlich wollte der selbsternannte Gesellschaftskritiker damit sein altbekanntes Statement zur sozialen Kälte in der Gegenwartskultur abgeben. Auf "Utilitarian" hat er dies nun thematisch und musikalisch umgesetzt. Erneut versteht sich das Album als eine poetische Anklage vieler soziokultureller Missstände. Der Albumtitel selbst, der für eine – laut Greenway – im Kapitalismus verankerte Weltanschauung steht, wurde dementsprechend auch zum Thema passend gewählt. Damit bewegt sich der Birminghamer Vierer auch anno 2012 im Genre politisch links orientierter Lyrik. Ursprungstreue in Reinform, so wie wir die Band halt kennen, schätzen und lieben.
Das gute Stück, das übrigens bei Century Media nach einigen Geburtsschwierigkeiten erst 2012 das Licht der Welt erblickte, dröhnt mit 16 Tracks eine dreiviertel Stunde aus den Boxen und haut dem Hörer NAPALM DEATH pur um die Ohren! Shane, Barney & Co. sind sich selbst treu geblieben, ohne dabei stehen zu bleiben. Jeder weiß, dass sich bei den englischen Grindurgesteinen in den letzten 30 Jahren musikalisch einiges getan hat. Nach drastischen Line Up-Wechseln und Abstechern in das musikalische Gefilde des "Morri-Sounds" ("Harmony Corruption" (1990)) haben sie schließlich gegen Mitte der 90er in nahezu konstanter Besetzung (R.I.P. Jesse) eine stimmige Verkettung ihrer Hardcore/Grind-Wurzeln mit dem Spirit des Death Metals kreiert. Deathgrind nennt sich dieses englische Exportprodukt und ist nichts Geringeres als ein guter Mix aus Hardcore-lastigen Breaks, Midtempo Death Metal und Grindgeballer. Die gesunde Mischung macht bei NAPALM DEATH eben den kleinen Unterschied aus. "Utilitarian" reiht sich nahtlos in diesen seit "Fear, Emptiness, Despair" (1994) praktizierten und erprobten Stil ein. Und trotzdem konnte sich der britische Vierer von den beiden Vorgängerscheiben, "Smear Campaign" (2006) und "Time Waits For No Slaves" (2009), etwas lösen. Stillstand heißt ja schließlich Tod …und das ist NAPALM DEATH noch lange nicht! Schon allein die Produktion, für die erneut Russ Russel verantwortlich war, ist wesentlich strukturierter, aber auch etwas trockener, als auf den letzten Alben. Russel hat alle Instrumente differenziert in Szene gesetzt und die Scheibe überaus druckvoll gemastert.
Die neue Klarheit ist zugegeben für Fans des typischen, leicht verwaschenen Sounds der Birminghamer etwas gewöhnungsbedürftig, macht aber beim mehrmaligen Hören richtig Spaß. Doch nicht nur das Soundkorsett von "Utilitarian" hat andere Wege eingeschlagen, auch musikalisch betrat man teilweise neue Sphären. Die Strukturen sind komplexer, wenn nicht sogar experimenteller als sonst. Anders als auf der "Smear Campaign" (2006) gehen die Songs nicht mehr direkt ins Ohr. Nun gut, NAPALM DEATH war noch nie einfache Kost, aber "Utilitarian" braucht schon zwei oder drei Durchläufe, um hängen zu bleiben. Die groovigen Midtempoelemente sind etwas reduziert worden und das gesamte Album ist grindlastiger. Auch fette Breakdowns wie bei 'Silence Is Deafening' ("The Code Is Red …Long Live The Code" (2005)) oder bei 'Hung' ("Fear, Emptiness, Despair" (1994)), eigentlich ein Markenzeichen der Band, findet man kaum. Lediglich beim letzten Song der Langrille, 'A Gag Reflex', kommt eine Low&Slow-Stimmung auf. Gut gelungen sind dagegen die musikalischen Rückverweise bei 'Errors In The Signals' auf das an 'Weltschmerz' ("Smear Campaign" (2006)) erinnernde Intro 'Circumspect'. Das Blastbeatgeballer verstummt hier jeweils für einen kurzen Moment und der Song erhält ein zwielichtig düsteres Ambiente. 'Everyday Pox' erzeugt selbiges durch schräge Saxophonsoli, die kein Geringerer als John Zorn eingespielt hat. Der Track erinnert eindeutig an 'Osaka Bondage', die wohl schrägste Nummer von Zorns Projekt NAKED CITY. Insgesamt wurde beim Songwriting auf eine äußerst schwermütige und dunkle Grundstimmung geachtet. Oktavgriffe, die zum festen Repertoire der Band gehören, treten deshalb mehr als sonst in den Vordergrund und sorgen für eine drückende postapokalyptische Atmosphäre. Trotz dieser experimentellen Einschläge besitzen die Stücke dennoch jene rohe Gewalt, für die NAPALM DEATH seit Dekaden mit gutem Namen steht. Nicht zuletzt sorgt dafür das präzise Drumming von Danny Herrera, der sich auch auf "Utilitarian" als der unverwechselbare Blastbeatgott zeigt. Aber auch das Riffing von Mitch Harris verleiht der Scheibe ein außerordentliches Aggressionspotential. Besonders heftig schieben die doomigen Parts bei 'Protection Racket' und das punkige Leadriff von 'The Wolf I Feed'.
Bei Letzterem offenbart sich aber leider auch die größte Schwäche des Albums, der Hintergrundgesang. Anstatt auf die zerrenden Shrieks von Mitch zu setzen, hat man das Hintergrundgekreische zugunsten von Fear Factory oder Mnemic-artigen gesprochenen Vocals ersetzt. Auch bei 'Blank Look About Face' und 'Leper Colony' tritt dieser an Burton C. Bell erinnernde Sprechgesang auf und zerstört ein bisschen das Flair dieser ansonsten richtig geilen Songs. Ein erneuter Gastauftritt von Jello Biafra wie bei 'The Great And The Good' ("The Code Is Red …Long Live The Code" (2005)) wäre mir an diesen Stellen lieber gewesen. Trotz der musikalischen Nuancen ist und bleibt "Utilitarian" eine typische NAPALM DEATH und bietet Deathgrind at it’s best. Für Fans der Britten ein absoluter Muss, der allerdings erst beim mehrmaligen Durchhören seine Qualitäten offenbart.
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Michael Sommer