NICK CAVE AND THE BAD SEEDS - No More Shall We Part
Mehr über Nick Cave And The Bad Seeds
- Genre:
- Post-Punk/Songwriter Music/Orchestraler Pop
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Mute/PIAS
- Release:
- 02.04.2001
- As I Sat Sadly By Her Side
- And No More Shall We Part
- Hallelujah
- Love Letter
- Fifteen Feet Of Pure White Snow
- God Is In The House
- Oh My Lord
- Sweetheart Come
- The Sorrowful Wife
- We Came Along This Road
- Gates To The Garden
- Darker With The Day
Liebe, Religion, Verstoßene: NICK CAVE AND THE BAD SEEDS thematisieren Weitläufiges mit großer Geste in orchestraler Besetzung.
Nick Cave hat sich in seiner Karriere schon an so manchem versucht - mit stets eindrucksvollem Ergebnis, versteht sich. Mit Mick Harvey gründete er die BOYS NEXT DOOR, aus denen THE BIRTHDAY PARTY hervorging, und produzierte herrlich kaputte Musik, die mit (selbst)zerstörerischer Performance einherging und nachhaltig verstörende Meister(sturz)werke wie 'Nick The Stripper' oder 'Release The Bats' hinterließ; Musik, die hinter dem Provokationspotential von Albentiteln wie "Prayers On Fire" und "Drunk On The Pope's Blood" sich nur den Leidensfähigen als solche offenbarte, und die teilweise wirklich so klang, als sei sie auf einem "Junkyard" entstanden. Als die Band im Orwelljahr 1984 zerbrach, nicht an Big Brother, sondern an internen Spannungen, da erwuchs aus der bösen Saat bereits das nächste Bandprojekt Caves: Gemeinsam mit Mick Harvey, Blixa Bargeld (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN) und Barry Adamson, der heute soundtrackbeeinflusste Musik produziert, wagte sich Cave in zunehmend glattere, schwelgerischere, nach und nach opulenter ausstaffierte Gefilde der Musik - doch blieb dabei der düsteren bis kryptischen Thematik seiner Songs treu. Noch abgründigere Erwägungen über die menschliche Seele lebte er nun zudem in der Literatur aus, wo er ebenfalls bittere Plots aus den oft nahezu untrennbaren Elementen Gewalt, Sexualität, Religion schuf und Machtfragen aufwarf. Schließlich kehrten mit dem Ableger GRINDERMAN wieder rustikalere Töne in seine Musik ein, wenn auch längst nicht mehr so brutal und kompromisslos im Klang wie noch in der Frühphase des Ehrendoktors.
Im Jahre 2001 hatte Cave eigentlich nichts mehr zu beweisen, gab sich in dieser Schaffensperiode demgemäß auch auf der Bühne schon längst als versierter Routinier, und doch perfektionierte er zu dieser Zeit einen inzwischen deutlich formalisierten Stil, von dem die Abkehr mit GRINDERMAN schließlich nur konsequent war, denn was hätte da noch kommen sollen? 1996 hatten die siebenköpfigen NICK CAVE AND THE BAD SEEDS mit zahlreichen Gästen die weithin bekannten "Murder Ballads" veröffentlicht, welche in einigen Aspekten bereits ähnlich angelegt waren, im Jahr darauf folgte zwar ein reduzierter instrumentiertes Album ("The Boatman's Call"), doch mit "No More Shall We Part" sollte 2001 schließlich die Krönung orchestraler Opulenz im erweiterten Rockbandformat folgen; wobei man hier stilistisch betrachtet eigentlich kaum noch von Rockmusik sprechen kann. Als nach dem wieder etwas wurzeligeren Album "Nocturama" Blixa Bargeld ausstieg, spielte Nick Cave mit der Band zunächst noch das Doppelalbum "Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus" ein, verpasste sich dann aber erst die Blues-Kur "Grinderman", bevor er mit seiner Stammband auch wieder als NICK CAVE & THE BAD SEEDS rockte: "Dig!!! Lazarus Dig!!!" hieß es dann, doch darum soll es hier nicht gehen.
Vielleicht sollte man diesen Hintergrund aber doch wenigstens kurz verhandelt haben, um sich "No More Shall We Part" in seiner vollen Tiefe widmen und diese einzigartige, bitterzartschmelzende Momentaufnahme im Schaffen des Herrn Cave voll und ganz auskosten zu können. Was erwartet einen dann? Zunächst einmal 'As I Sat Sadly By Her Side'. NICK CAVE AND THE BAD SEEDS warten hier mit einem Eröffnungsstück auf, das sachte aber klar konturiert daherkommt und Nicks Stimme weich über verhaltene, doch nachhaltig prononcierte Klavierlinien fließen lässt. Hinzutretende Streicher hüllen das Stück schließlich vorsichtig ein, geleiten den Hörer langsam in die ihm noch bevorstehende Opulenz und nach und nach sich steigernde Intensität des Albums. Das sehnsüchtig sinnierende, wie Nostalgie vorwegnehmend klingende Titellied 'And No More Shall We Part' stellt Caves Stimme in den Vordergrund. Es sowie das schwelgerische und nur langsam sich bis zur choralen, traurigen Gospeltravestie im Finale steigernde 'Hallelujah' und die verzärtelt pathetische Ode an den 'Love Letter' sind allesamt Langsambrenner.
Von vorneherein ergreifend ist 'Fifteen Feet Of Pure White Snow'. Sein jazziges Spiel und die, wie es scheint, jederzeit anschwellen wollenden Fluten von Rock im Hintergrund halten sich hier die Waage und bilden doch nur die Kulisse für Nick Caves expressiven, latent düster anmutenden Klargesang. Die stets unterschwellig gehaltene Dynamik ist so mächtig wie die Gezeiten, einfach unglaublich. Ein emotionaler Wetterwechsel braut sich da zusammen, der Text des Songs wird auch im Ton erspürbar und scheint sogar insgeheim durch die Musik motiviert, wie ein scheinbar von der Naturkulisse erzwungener Plot in einem shakespearschen Drama. Doch bleibt es bei der Ankündigung eines Umbruchs, dessen Nahen dadurch nur um so bedrohlicher im Raum stehen bleibt.
Geradezu behutsam geht es dann mit dem wie schuldlos intonierten, dabei jedoch von einem bitter ironischen Unterton durchzogenen 'God Is In The House' weiter. So ähnlich, allerdings nicht so voller Farbe, stelle ich mir den Film "Das weiße Band" vor, den ich leider immer noch nicht gesehen habe. Indes schickt sich diese Anspielung dennoch, denn zusätzlich zu seinen literarischen und musikalischen Ambitionen verwirklicht sich Cave seit über zwanzig jahren auch im Genre der Filmmusik. Das hier besprochene Stück Musik jedoch bedarf keiner weiteren Bilder als jener, die Gesang und Musik ohnehin im Kopf des Hörers hervorbringen. Dies ist zweifelsohne ein Glanzlicht des Albums, und es kommt mitunter Leonard Cohen, einem der erklärten Vorbilder Nick Caves, nahe, nur dass hier dank seiner Band dabei doch noch so viel mehr mitschwingt. Grandios! Auch das voller resignativer (und schließlich doch noch aufschäumender) Verzweiflung steckende Klagelied 'Oh My Lord' zählt zum besten, was diese Künstler je geschaffen haben: Zum Niederknien schön.
Doch auf "No More Shall We Part" gibt es kein einziges Stück, das für sich genommen nicht zumindest sehr gut wäre. Wenn beim sehnsüchtigen Leisetreter 'Sweetheart Come' die Streicherklänge in den Vordergrund treten, dann trägt das ebenso zur vereinnahmenden Stimmung bei, wie das eindringliche Pianospiel bei 'The Sorrowful Wife', dessen Anschlag von samtig weich bis gläsern hart reicht und schließlich im feurig auflodernden Finale des Stückes in wohlgeordnetem Noise untergeht. Und wohlgeordnet sind sie alle, die Stücke dieses Albums: Ob partieller Duettgesang zum folkloristisch gefärbten Klavier von 'We Came Along This Road' oder zum Thema "Die Letzten werden die Ersten sein" in der traurigen aber versöhnlichen Ballade 'Gates To The Garden'; hier wurde auf jedes Detail achtgegeben, nichts mehr dem Zufall überlassen, sondern bis in die kleinste Nuance feingeschliffen, alles aufeinander abgestimmt und dann noch einmal neu ausbalanciert, bis eine Zeitlosigkeit erreicht wurde, die in der zeitgenössischen Populärmusik wohl kaum zu übertreffen ist. Die im lyrischen Sprechgesang von 'Darker With The Day' szenisch vorgetragene, traumartige Geschichte bildet da selbstverständlich den angemessenen Abschluss, zu einer abermals cineastisch anmutenden Abspannmusik.
"No More Shall We Part" ist perfekt.
Sollte ich dennoch einzelne Anspieltipps hervorheben, so wären dies:
'Fifteen Feet Of Pure White Snow',
'God Is In The House',
'Oh My Lord',
'Darker With The Day'.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz