NIGHT IN GALES - Shadowreaper
Mehr über Night In Gales
- Genre:
- Melodic Death Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Apostasy Records
- Release:
- 06.12.2024
- Into The Evergrey
- The Horrors Of Endlessness
- Open The Sun
- The Nihilist Delta
- Spirals
- Dead Inside
- Window To The End
- Sculptured And Defleshed
- Walk Of Infinity
Dichter, oldschooliger und unheimlich fesselnder Melodic-Death-Brocken.
Wer in deutschen Landen "Melodic Death Metal" sagt, der muss auch zwingend den Namen NIGHT IN GALES in den Mund nehmen, immerhin ist der Fünfer bereits seit 1995 eine echte Institution in der hiesigen Szene. Gerade seit dem Wechsel zu Apostasy Records und dem Album "The Last Sunset" aus dem Jahr 2018 erlebt die Truppe aus dem Ruhrgebiet für mich persönlich eine kleine Renaissance, wobei der vorläufige Höhepunkt mit dem noch aktuellen Album "The Black Stream" aus dem vergangenen Jahr erreicht wurde, das bis heute wacker und immer wieder seine Runden in meinem Player dreht. Und auch wenn die Scheibe noch gar nicht so viele Monate auf dem Buckel hat, legt NIGHT IN GALES nun schon wieder nach und serviert uns mit "Shadowreaper" den neunten Langspieler der Bandgeschichte.
Wer nun aber denkt, dass die Mannen um Fronter Christian Müller auch wegen des kurzen zeitlichen Abstands direkt beim starken Vorgänger ansetzen, für den hat der Schattensensenmann ein paar Überraschungen im Gepäck. Die auffälligste ist dabei wohl die Produktion des Silberlings, für den niemand Geringeres als Frederik Nordström hinter den Reglern Platz genommen hat, der schon absolute Klassiker des Genres wie "Slaughter Of The Soul" von AT THE GATES oder "Whoracle" von IN FLAMES veredelt hat. Für "Shadowreaper" hat Mr. Nordström dabei aber einen ungewohnt erdigen und natürlichen Sound im Gepäck, der für moderne Ohren durchaus eine Herausforderung darstellen könnte. Besonders deutlich wird die ungewohnte Herangehensweise dabei bei den Gitarren, die zumeist strikt im Klangbild getrennt werden, sodass immer klar zu hören ist, was Frank und Jens Basten da an den Sechsaitern zaubern. In Zeiten moderner Breitwandproduktionen, bei denen normalerweise alles solange aufgedoppelt wird, bis die Gitarren schon teils unangenehmen Druck versprühen, könnte das durchaus ein paar Hörern und Hörerinnen ungewohnt vorkommen. Mir persönlich gefällt die ungewohnte Klanglandschaft aber sehr gut, weil sie vor allem ungeahntes Live-Feeling ins heimische Wohnzimmer transportiert und damit perfekt zur musikalischen Ausrichtung passt, die ebenfalls ihren Blick zu den Wurzeln des melodischen Todesstahls schweifen lässt.
Anstatt nämlich den von den letzten Alben bekannten Mix aus melodischen Leads und knüppelharten Gitarren auf gleiche Weise zu zelebrieren, geht man heuer einen Schritt weiter zurück und kommt beim AT THE GATES-Frühwerk vor dem "Slaughter Of The Soul"-Meilenstein an, bei dem Riffs und Melodie noch viel enger und untrennbarer miteinander verwoben wurden. Verstärkt wird die Nähe zu den Genre-Urvätern noch von Christians herrlich heiseren und wuchtigen Screams, mit denen er teils so dicht an Tompa Lindberg und sein legendäres Organ heranreicht, dass ich wirklich nachschauen musste, ob der Schwede hier nicht doch einen Gastauftritt hat. Abgerundet wird der durchaus finstere, aber auch atmosphärisch geladene Sound von einer Prise Schwarzmetall, die immer wieder in der durchweg treibenden Gitarrenarbeit durchscheint. Und so überzeugt der Silberling insgesamt mit einer unheimlich fesselnden Stimmung, in die man hervorragend abtauchen kann.
Mit der Dichte des Songmaterials geht dann aber auch die Schwierigkeit einher, aus den neun Tracks offenkundige Anspieltipps herauszugreifen. Viel mehr lebt "Shadowreaper" fast wie ein Konzeptalbum von seiner Wirkung als Gesamtwerk, das versucht, den Zuhörenden zwischen treibenden Drums und sägenden Gitarren zu zermalmen, gleichzeitig aber auch immer wieder die melodische Rettungsleine parat hat, die einem doch wieder den einen oder anderen Ohrwurm einpflanzt. Gesondert erwähnt werden muss dennoch der Opener 'Into The Evergrey', mit dem NIGHT IN GALES einen wahren Paukenschlag zum Einstand abliefert. Der Track bietet von verträumten Clean-Gitarren über ein dramatisches Break und anschließenden Groove-Wechsel in der Mitte bis hin zu herrlichen Melodie-Widerhaken alles, was eine Melodic-Death-Metal-Achterbahnfahrt haben muss. Mit ihrer packenden Dramaturgie hätte sich die Nummer dabei sogar auf dem DARK TRANQUILLITY-Epos "The Gallery" hervorragend gemacht und ist vielleicht kompositorisch der beste Track, den der Fünfer in der bisherigen Karriere verfasst hat. Da können dann auch Volltreffer wie 'Sculptured And Defleshed' oder 'Dead Inside' nicht gänzlich mithalten, auch wenn ich euch beide direkt nach dem Opener als Anspieltipps ans Herzen legen möchte.
Und so hat "Shadowreaper" insgesamt für mich auch die Nase vorne im direkten Vergleich zu "The Black Stream", auch wenn die Qualitäten des Silberlings einem nicht ganz so direkt auf die Nase gebunden werden wie beim direkt Vorgänger. Stattdessen ist die Scheibe einer dieser berühmten "Grower", die auch beim zehnten Hördurchlauf noch wachsen und sich damit umso langfristiger im Gedächtnis festbeißen. Einen halben Extrapunkt gibt's dann noch oben drauf für die mutige und herrlich ungewohnte Produktion, die dem Breitwand-Trend den Mittelfinger entgegen streckt, damit aber gleichzeitig perfekt zum ebenso oldschooligen Songmaterial passt.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Tobias Dahs