PARKWAY DRIVE - Atlas
Mehr über Parkway Drive
- Genre:
- Metalcore
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Epitaph / Indigo
- Release:
- 26.10.2012
- Sparks
- Old Ghosts - New Regrets
- Dream Run
- Wild Eyes
- Dark Days
- The River
- Swing
- Slow Surrender
- Atlas
- Sleigh Out Of Hand
- Snake Oil And Holy Water
- Blue And The Grey
Sämtliche Grenzen hinweggefegt, alle Fesseln gesprengt
YESSSS!! Es gab nie eine "Deep Blue"! Es gab sie nicht! Herrschaftszeiten, meine Begeisterung kennt keine Grenzen – niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass die Herren Badelatschenträger von PARKWAY DRIVE auf ihre belanglose Veröffentlichung aus dem Jahr 2010 ein derartiges musikalisches Feuerwerk folgen lassen würden. Ein Genre, welches sich mehr und mehr tot läuft und in ödem Einheitsbrei aus ewiggleichen Gitarrenläufen, endlos gleichförmigen Breakdowns, gebrüllten Versen und lächerlich anbiedernd gesungenen Refrains abzunutzen scheint, bekommt durch "Atlas" nicht nur neues Leben eingehaucht – vielmehr steht da plötzlich ganz unscheinbar eine Platte in den Regalen, die sich anschickt, (Genre)Grenzen einzureißen, sich dabei einen Dreck um Konventionen und Trends schert, und dazu auch noch anspruchsvoll und innovativ klingt! Ja ist denn heut scho Weihnachten? Wacken? Oder Weltuntergang??
Nochmals: Vergesst "Deep Blue"! DAS hier ist der legitime "Horizons"-Nachfolger! Der australische Fünfer vollzieht auf "Atlas" einen musikalischen Quantensprung, der die Grundfesten des Planeten erbeben lässt. Plötzlich ist wieder alles da – unbestechliches Songwriting, eingängige Gitarren, mit der Präzision eines Scharfrichters angesetzte Breaks, eben all die Trademarks, die PARKWAY DRIVE auf "Horizons" zur scheinbaren Perfektion getrieben haben, und die dem Nachfolger völlig abgingen. Diesmal machen es die Surf-Metaller nicht einfach nur besser – nein, sie kreieren eine 50minütige Dauerexplosion, dass einem Hören und Sehen vergeht. Beispiele gefällig? 'Sparks' ist bereits heißer Anwärter auf den Thron der schaurig-schönsten Intros aller Zeiten; eine andächtige, tragische Grundstimmung macht sich ebenso breit wie wohlige Gänsehaut. 'Old Ghosts/New Regrets' schlägt erwartungsgemäß in die böse Vorahnung ein wie ein Zehn-Tonnen-Dampfhammer, groovt ätzend schnell und ächzend schwer, und fegt mit wütendem, eingängigem Riffing seinen Vetter 'Unrest' vom Vorgänger beiseite wie ein Tornado eine Pommesbude. 'Dark Days' war ja schon vor der Album-Veröffentlichung ein positiver, brachialer Wink mit dem Gartenzaun vom Nachbarhaus, und im düsteren Gesamtkontext von "Atlas" bildet diese wütende Klage über den Zustand der Erde einen kontrastreichen Mittel- und Fixpunkt, zusammen mit 'The River'. Ja, wie soll man in Worte fassen, was die Ohren selbst kaum glauben können – 'The River' ist wohl das, was einer PARKWAY DRIVE-Ballade am nächsten käme, wenn es denn eine gäbe. Akustische Gitarren, zartes Frauensäuseln, Melodien, die einem völlig verdattert die erschütterte Kinnlade auf die Brust knallen lassen – und in die harmonische Ruhe bricht Winston McCalls überirdisch wüstes Geschrei (McCall selbst bleibt sich treu und konsequent und singt weiterhin keinen Ton). Kein Witz, das funktioniert nicht nur, das ergänzt sich, fließt ineinander über, abartig, genial! 'Swing' ist wiederum so schnell und wild, dass es eigentlich verboten gehört; ein Testosteron speiender Höllenritt, dessen Schlachtruf man unweigerlich in den eigenen vier Wänden oder an der Supermarktkasse grinsend vor sich hin bellt. Kurz darauf folgt mit dem titelgebenden 'Atlas' erneut eine erstaunlich progressive Nummer, für die man sicherlich zehn Durchläufe braucht, um vollständig zu erfassen, wie tiefgründig die Australier anno 2012 mit einem Mal unterwegs sind. Härte gibt’s mehr als genug, jedoch nie aufgesetzt, und die ruhigen Momente zeugen von einer Virtuosität und Reife, welche die Band bislang noch nie hat anklingen lassen und die ich diesen Spaßvögeln (Asche auf mein Haupt!) niemals zugetraut hätte. Streicher auf einem Metalcore-Album? Hell yeah, jedoch nicht in Form des üblichen "Metal-und-Klassik-passt-doch-wunderbar-zusammen"-Standardschemas, sondern als kunstvolle Komposition im Dienste einer musikalischen Offenbarung.
Erwachsen klingt mit einem Mal nicht nur die Musik, auch die Grundthematik von "Atlas" hat sich erfreulich weit von der nihilistisch-gewalttätigen Wüterei aus den Anfangstagen der Band entfernt. Die bereits früher erkennbare Naturverbundenheit der Australier hat sich ausgewachsen zum Verantwortungsgefühl unserem Heimatplaneten gegenüber, und so ist "Atlas" im Grunde ein verzweifelter Weckruf angesichts der verfluchten Ignoranz der Menschheit bzw. eine Kampfansage an eben diese. Davon mag man halten, was man will – hier klingt es jedenfalls bitterernst und kein Stück aufgesetzt. Und wenn einem eine solche Message musikalisch dermaßen überzeugend um die Ohren fliegt, kauft man den Musikern ihr Anliegen auch ohne zu zögern ab. Welch ein Fest, wenn auch ein tragisches – denn mit einem Mal klingen auch ungewohnt persönliche Töne in dem einen oder anderen Track an. Und einen solch erschütternden Song wie das mit einem Western-Intro beginnende 'Blue And The Grey' hat die Welt noch nicht gehört. Diese ergreifende, atmosphärisch knisternde, ach was, lodernde Komposition stellt alles in den Schatten, was PARKWAY DRIVE jemals geschrieben haben.
Also, ein allerletztes Mal: Es gab nie eine "Deep Blue". Vom unrühmlichen Vorgänger wurde nur eines übernommen, und das ist die urgewaltige Energie, die unter der Oberfläche brodelt und in heftigsten Eruptionen zum Vorschein kommt. Dynamischer Sound, kreatives Songwriting, Spannung, Spielfreude, all die Attribute, die vor zwei Jahren schmerzlich vermisst wurden, sind mit einem Mal mehr als präsent, sie springen einem geradezu ins Ohr. Keine Ahnung was die Band 2010 geritten hat – dieses Teil hier schlägt überzeugend die Brücke zur bereits starken "Horizons" und übertrifft diese zugleich um Lichtjahre. Vergesst die üblichen Genres, leert die verdammten Schubladen aus! Musikalische Größe kennt keine Grenzen. Wer dieses Feuerwerk verpasst, hat das Album des Jahres 2012 nicht gehört.
Anspieltipps: Old Ghosts/New Regrets, Dark Days, The River, Blue And The Grey
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Timon Krause