PERCHTA - D'Muata
Mehr über Perchta
- Genre:
- Black Folk Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Prophecy Producions
- Release:
- 14.06.2024
- Vom Verlånga
- Ois Wås Man San
- Heiliges Bluat
- Hebamm
- D'Muata
- Wehenkanon
- Ausbruch
- Långtuttin & Stampa
- Mei Dianä Mei Bua
Emotionale, gehaltvolle und pechschwarze Alpenhorror-Tour de Force deluxe!
Obwohl neben meiner Wenigkeit auch eine andere Kollegin aus der Redaktion der neuen und zweiten Veröffentlichung der in Tirol/Österreich ansässigen Black/Folk Metal-Band PERCHTA mit überdurchschnittlich großer Vorfreude entgegenfieberte, wurden wir leider nicht mit dem neuen Album "D'Muata" bemustert. Das ist zwar für sich gesehen alles andere als ein Weltuntergang, aber die Band bzw. der künstlerische Output sind einfach zu großartig und außergewöhnlich, als dass wir es uns meiner bescheidenen Meinung nach leisten könnten, dieses in jeder Hinsicht einzigartige Album sang- und klanglos und vor allem reviewlos an uns vorbeiziehen zu lassen. Aber auch hier gilt natürlich der alte Grundsatz: besser spät als gar nicht.
PERCHTA hat bereits 2020 mit ihrem bestechenden Debüt "Ufång" für reichlich Furore im schwarzmetallischen Untergrund sorgen können. Die Texte wurden gänzlich in Tiroler Mundart und Dialekt vorgetragen, in musikalischer Hinsicht vermengte man die Brutalität klirrender schwarzmetallischer Black Metal-Gitarren mit dem Gebrauch traditionell-folkloristischer Instrumente wie Hackbrett, Zither und Teufelsgeige. Eine wahrlich phantastische Melange, der ich zuvor schon bei Bands erlegen bin, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen und zudem einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer musikalischen und künstlerischen Kraft aus der sie umgebenden Natur und Umgebung schöpfen. Exemplarisch seien hier nur einmal die aus Rumänien stammenden und mittlerweile leider verblichenen NEGURA BUNGET bzw. die aus ihr hervorgegangenen DORDEDUH und SUR AUSTRU vorangestellt. Aber auch HEXVESSEL hat auf dem aktuellen Album "Polar Veil" einen ähnlichen Weg eingeschlagen. So weit, so gut, zurück zu PERCHTA. Der Bandname geht auf die heidnische Sagengestalt und Seelenführerin der Frau Percht zurück, die hier wiederum in Gestalt von Sängerin Julia-Christin Casdorf ihre Menschwerdung und ihr Alter Ego im Rahmen des künstlerischen Gesamtkonzepts PERCHTA gefunden hat.
Hatte man sich auf der ersten Platte auf textlicher Ebene noch dem zyklischen Kreislauf der Natur und den vier Grundelementen im speziellen gewidmet, liegt der lyrische Fokus auf dem neuen Album nun hingegen auf dem weiblichen Zyklus. Verhandelt werden auf dem Album, welches man durchaus als kleines feministisches Manifest interpretieren kann, unter anderem empfindsame Themen wie Mutterschaft, Geburt, weibliche Sexualität, Menstruation, Kindsverlust, Femizid und Gewalt gegen Frauen. Nach wie vor auch in heutigen vermeintlich aufgeklärten Zeiten leider noch immer hier und da tabuisierte Aspekte also, die man so nicht unbedingt von vornherein auf einem Black Metal-Album erwarten würde.
Zur Vorbereitung auf den Schreibprozess hat sich die komplette Band zusammen auf einer urigen Almberghütte zurückgezogen, um dort gemeinsam im Bandkollektiv kreative Ideen auszubrüten und sich dabei in großem Maße von der sie umgebenden Landschaft inspirieren lassen. Wenn man sich das daraus entstandene Werk nun in Form des mir vorliegenden und mit unfassbar viel Liebe aufbereiteten Artbooks (inkl. DVD-Interview mit Frau Percht) anschaut und vor allem anhört, muss man unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass dies beileibe nicht die schlechteste Idee gewesen ist. Neun Songs in etwas mehr als 47 Minuten Spielzeit sind also das finale Ergebnis einer dieser Zusammenkünfte in der freien alpinen Naturlandschaft. Jene 47 Minuten gehören, soviel sei vorausgeschickt, mit zum Besten und Edelsten, was der Schreiber dieser Zeilen in diesem Jahr bisher hören und auf sich wirken lassen durfte. Von der ersten bis zur letzten Sekunde wirkt das Album wie aus dem berühmten einem Guss. Jeder Ton, jedes Riff, selbst jede Pause in der Notation sitzt mit gutem Grund an der dafür genau richtigen Stelle.
'Vom Verlånga' beginnt dezent und getragen mit dem eingangs bereits erwähnten Hackbrett (Christian Höll aka Moosmandl), bevor der Song nach bereits wenigen Takten abrupt in brachiale Gefilde mündet und tempomäßig ordentlich Fahrt aufnimmt. Blastbeats, flirrende Gitarrenwände, Schreie aus den Untiefen der Bergtäler gepaart mit Klargesang, Tempoverschiebungen. Nur eine kleine Auswahl der typisch PERCHTschen Songzutaten, die uns hier also gleich im Eröffnungssong kredenzt wird. Auch 'Ois Wia Ma San' setzt im Intro gleichfalls auf das Hackbrett und verwandelt sich im weiteren Verlauf ebenfalls in einen lupenreinen und unbarmherzigen Black Metal-Song. Hier sticht mir besonders das druckvolle und präzise Schlagzeugspiel von Simon Schnückel aka Håscht, sowie der leicht jodelhafte Gesang von Frau Percht ins Ohr. Im Geiste durchwandere ich bereits hier atemberaubende und überwältigende alpine Landstriche. 'Heiliges Bluat' schaltet dann ein, zwei Gänge herunter. Frau Percht beherrscht selbstverständlich die komplette Palette an Gesangstechniken und trägt das vorzügliche und bedächtige Stück mit leidenschaftlich intoniertem Sprechgesang vor, flüstert, raunt, faucht und brüllt den Text dabei aber auch an den passenden Stellen und erinnert nicht nur deswegen gelegentlich an die expressive, gesangliche Strahlkraft einer Onielar von BETHLEHEM und DARKENED NOCTURN SLAUGHTERCULT. Mit 'Hebamm' folgt dann eine ganz exzellente Nummer mit Ohrwurm- und Hitpotential. Als nebenberuflich arbeitende Hebamme weiß Frau Percht natürlich genau, worüber sie hier singt und schreit. Neben Hackbrett kommt hier nun erstmals auch eine Maultrommel zum Einsatz und zum Ende hin entwickelt sich dieser außergewöhnlich brillante Song in ein Finale Furioso mit wahnsinnig toller Sologitarrenarbeit (Christoph Knoll aka Loda) und doppelstimmigen Gesang.
Der Titeltrack 'D'Muata' überrascht ebenfalls mit wahnwitzigen Dynamiken und irrwitzigen Harmonieläufen und man fragt sich bereits nach der Hälfte der Platte insgeheim, wie man denn das bisher verdammt hoch gesetzte Niveau bis zum Ende hin halten soll. Meisterhaft arrangierter polyphoner Gesang, begleitet von allerhand traditionellen Instrumenten und dezenter perkussiver Begleitung ist im 'Wehenkanon' an der Tagesordnung. In 'Ausbruch' dominieren improvisatives und urtümliches Trommelwerk sowie unaufdringliche, im Hintergrund fast nicht wahrnehmbare Synthieklänge und schmerzerfüllte und markerschütternde Schreie von Frau Percht das Klangbild, die vermutlich die nicht immer angenehmen Begleiterscheinungen einer Geburt darstellen sollen. Mit 'Långtuttin und Stampa'ist es nun an der Zeit für mein persönliches, absolutes, hier und da ein wenig an ENSLAVED erinnerndes Lieblingsstück des Albums, welches eindrucksvoll unter Beweis stellt: PERCHTA könnte aufgrund ihrer außerordentlich hohen musikalischen Fähigkeiten sowohl auf spieltechnischer als auch kompositorischer Ebene ganz ohne weiteres ein Progressive Black Metal-Album auf allerhöchstem Niveau schreiben, und man wäre dabei noch nicht einmal sonderlich überrascht. Gerade im Hinblick auf die glänzende Gitarrenarbeit (Lukas Massinger aka Håscht und der bereits erwähnte Loda) ist das hier nicht weniger als ein komplexes, dabei aber nie zu verkopftes Songjuwel.
Wir sprechen bei Långtuttin und der Stampa im übrigen von zwei Sagengestalten. Der altüberlieferten Legende nach lockte die Långtuttin Kinder an, indem sie ihnen unverhohlen die mit Eiter gefüllte Brust anbot, um sie dann im Nachgang zu verzehren. Die Sage der Stampa hingegen existiert nur im Tiroler Gurgltal. Diese Gestalt entführte unbeaufsichtigte Neugeborene aus dem Wochenbett. Harter Tobak also auf den ersten Hör, der hier auf musikalische Weise entsprechend vertont wird: Zu knarzenden Holzbalken, quietschenden Ofentüren, unheildrohendem Kettenrasseln und beklemmenden ASMR-Geräuschen wird hier von Madame Percht hexen- und dämonenhaft in der jeweiligen Rolle vorsichhingeröchelt, gekreischt und gekrächzt, dass es beim Hinabgleiten in die düstere Sogwirkung des Stückes eine wahre Wonne ist. Das mächtig riffstarke 'Mei Dianä Mei Bua' als Albumcloser ist dann noch einmal eine imposante Demonstration, wie man Folk- und Black Metal miteinander eindrucksvoll und authentisch eine Liaison miteinander eingehen lässt.
Abschließend zusammengefast: Ein jeder, der innovationsfreudige, progressive (hier eher im Sinne des Wortes) und radikal eigenständige, extreme Musik mit gehaltvollem und anregendem Lyric-Content zu schätzen weiß, kommt nicht umhin, hier aber allermindestens mal ein Ohr zu riskieren. Die befruchtende Hörarbeit, welche man in diesen musikalisch voluminös perfekt instrumentierten akustischen Leckerbissen investiert, wird sich bezahlt machen, großes Berg-Ehrenwort! Die glasklare und nicht überladene Produktion, auf der tatsächlich jedes einzelne Haupt- und Nebeninstrument ungefiltert und transparent ausgemischt wurde, als perfekt zu bezeichnen, kommt mir jetzt beim Schreiben und erneuten Hören in der Tat schon arg untertrieben vor. Summa summarum bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als hier nun die absolute Höchstnote zu zücken! Danke, PERCHTA, für dieses grenzenlos perfekte Opus magnum!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Stephan Lenze