PHILM - Fire From The Evening Sun
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/2014
Mehr über Philm
- Genre:
- Avantgarde Prog/Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- UDR Records
- Release:
- 12.09.2014
- Train
- Fire From The Evening Sun
- Lady Of The Lake
- Lion's Pit
- Silver Queen
- We Sail At Dawn
- Omniscience
- Fanboy
- Luxhaven
- Blue Dragon
- Turn In The Sky
- Corner Girl
Von Löwen, Haien und Dampfloks: Der Versuch, eines der ungewöhnlichsten Alben des Jahres zu beschreiben
Ich springe hier Dreiecke in meinen Parkettboden, denn die Band mit dem komischen Namen hat wieder zugeschlagen. Tschuff-tschuff macht es am Anfang von 'Train'. Das Ding ist eine Dampflok, die mit hoher Geschwindigkeit durch die Steppe jagt, sich dabei aber so dynamisch und wendig zeigt wie eine Rangierlok am Verladebahnhof.
So cool, sie wieder zu hören, diese einzigartige Zappelmusik von PHILM. Hinter diesem Namen steckt mit Dave Lombardo (vormals u.a. SLAYER,GRIP INC. und FANTOMAS) und Gerry Nestler (u.a. ex-CIVIL DEFIANCE) ja bekanntlich hochklassiges Personal. Man darf aber gerne auch mal den Namen des klasse Bassmannes Francisco Tomaselli nennen, der ganz famos mit dem Herrn Lombardo zusammenspielt. Die beiden legen immer wieder schweisstreibende Grooves aufs Parkett, die Energie freisetzen und Bewegungsdrang auslösen. Hier hat sich im Vergleich zum Debüt "Harmonic" also nichts geändert. Aber "Fire From The Evening Sun" ist dennoch in einigen Aspekten anders als der Vorgänger. Sagen wir, PHILMs Musik wäre ein hungriger Hai: Dann schwimmt dieser bei "Harmonic" noch etwas unerfahren im Beutetierfang durch das Meer und macht unberechenbare, wilde Jagden auf Fische, von denen er gar nicht weiß, ob sie ihm überhaupt schmecken. Das sind spektakuläre Bilder für den Betrachter aber mitunter wenig zielführend für den Hai. Jetzt aber hat sich der Meeresjäger seine Hörner abgestoßen, ist geschmeidig und elegant geworden und kann somit auch seine Gefährlichkeit potenzieren. Die ersten drei Stücke 'Train', 'Fire From The Evening Sun' und 'Lady Of The Lake' sind tödliche Genickbisse, Kunstwerke des Jagens, im Detail vielleicht nichtmal mit Ultrazeitlupe auflösbar. Doch dann wird der Hai zum Löwen. 'Lions Pit' ist Musik für Menschen, die alles wollen. "You're giving me a little bit, but a little bit is not enough" klagt Nestler hier, doch dieser Track kann einfach alles, was Musik zu können vermag. Die gesamte Bandbreite der Laut-Leise-Dynamik, Vocals vom betörenden Wispern bis zum markerschütternden Wutgeschrei, avantgardistisch-walzende Riffs und dissonante Soli, wer will da noch mehr? Doch auch der Löwe lässt nicht locker, nein, PHILM bietet wieder über die volle Albumdistanz mitreissende harte Rock-Musik, die keine Sekunde lang gewöhnlich wirkt. Die (in der Tat großartigen!) improvisierten Jazzausflüge und ausschweifenden Psychedelic-Jams vom Debüt gibt es in dieser Form nicht mehr, und die nötigen Verschnaufpausen werden nur gegönnt, um darauf präzise getimte musikalische Hetzjagden zu veranstalten (man höre nur das geniale 'Omniscence'), doch alles hat Sinn, Verstand und Köpfchen.
Ihr seht schon, es ist für mich einer der Höhepunkte des Musikjahrzehntes, dass Dave Lombardo sich mit einem solchen Ausnahmekünstler wie Gerry Nestler zusammen gefunden hat und nun endlich auch regelmäßig Alben veröffentlicht. Lomardos Zeiten der Doublebass-Bollerei und Highspeed-Breaks sind vorbei, doch er zeigt bei PHILM in beeindruckender Manier, wie man trotzdem bissig Schlagzeug spielen kann. Zudem scheint Nestler in der kreativen Form seines Lebens zu sein. Und das nicht nur als löwiger Musikhai, wie das wunderschöne, abschliessende 'Corner Girl' beweist. Solche Balladen schreibt in dieser Welt einfach nur einer. Ich verbeuge mich nach dem sensationellen Debüt (hier geht es zu Holger Andraes Review) nun also abermals vor PHILM. Wo führt der Weg hin?
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Thomas Becker