POP, IGGY - The Idiot
Mehr über Pop, Iggy
- Genre:
- Postpunk / Postrock / Gothic
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- RCA
- Release:
- 18.03.1977
- Sister Midnight
- Nightclubbing
- Funtime
- Baby
- China Girl
- Dum Dum Boys
- Tiny Girls
- Mass Production
Wie Iggy Pop mit David Bowie die Subkulturen zu Grabe trug, während diese sich noch selbst feierten.
Wir schreiben die späten 1970er: Die Transformation des Funk in der Populärmusik nimmt ihren unabwendbaren Lauf. Einige überführen ihn in flotte, bunte, doch für Tanzböden maßgeschneiderte, präzise zwingende Ausgelassenheit und begründen damit die moderne Discomusik. Andere werden ihn schon bald mit spacigen, harten Synthiebeats verbinden und somit neue Grundlagen für den aufstrebenden Hip-Hop legen. In beiden Fällen fällt das psychedelische Element von Wegbereitern wie SLY AND THE FAMILY STONE weg. Daneben, bzw. darunter blüht Funkrock freilich weiter, ist aber längst nicht mehr so angesagt. Rockaffiner bleibt der Funk zwar beim IGGY POP-Album "The Idiot", wird aber ebenfalls ins stumpf-industrielle Gleichmaß gepresst, zurückgestutzt, um seine anarchische Komponente beschnitten. Doch hier ohne Elektronik. Dafür bis auf's Rudimentärste reduziert, bevor er schließlich ganz stirbt - oder zumindest unter Beruhigungsmittel gesetzt als solcher kaum noch wahrnehmbar ist (allenfalls komplett verkümmert und im ursprünglichen Wortsinne als bedrückend-beängstigendes Gefühl im Hintergrund). Blass und geisterhaft wirkt der letzte Rest von Funk im Eröffnungsstück, und er wird dabei zugleich verkörpert und überlagert durch eine zukunftslose Postpunkhaltung. Eine triste Atmosphäre wie bei JOY DIVISION trifft auf die verstümmelte Sexmusik. Dazu ein reduzierter, minimalistischer, leicht an den Blues anklingender, aber weitaus hoffnungsloser tönender Leidensgesang über zum Scheitern verurteilte Liebe. So beginnt das von David Bowie produzierte Werk eines Mannes, der hier längst nicht so ungestüm klingt, wie einst noch mit THE STOOGES. 'Sister Midnight' legt in diesem Sinne den Grundton des Albums fest, ist gewissermaßen Vorspannmusik. Die leicht verstörende, linkische, auch irgendwo verloren wirkende Pose des Künstlers auf dem Cover passt denn auch zum weiteren Inhalt.
'Nightclubbing' scheint ein wenig Psychedelik zurückzubringen, allerdings sämtlicher Farben entleert, abgehalftert, und wieder begleitet von einem gleichermaßen stumpfen wie monotonen Beat, der sich träge durch das Stück schleppt. Auch hier erinnert die leise verzerrte Gitarre mitunter tüchtig an einen Blues, doch wirkt das Stück dennoch blutleer, und die schönen (jazzigen) Klaviereinsprengsel, die wohl den Unterhaltungsfaktor des Nichtclubbing verkörpern sollen, klingen - wenn nicht gar aufgesetzt - seltsam fehl am Platz; und gegen Ende verschwinden sie. "Oh isn't it wild?", fragt Iggy mit träge schlurfender Kaputtstimme - ganz so, als scheint das lyrische Ich die Ironie dieser Frage gar nicht mehr wahrzunehmen. Auch 'Funtime' zieht sich zu einem genau genormten Fließbandrhythmus wie in Zeitlupe gedehnt dahin. Und so gerinnt, was sonst wohl ein brachial dahinfegender Rocksong hätte werden können, zu einem seltsam unruhigen Bild, ja fast schon Stilleben, oder eben einer filmartigen Momentaufnahme von verzweifelt nach Leben lechzenden Halbtoten. "Last night I was down in the lab / Fun / Talkin' to Dracula and his crew / All aboard for funtime". Das Stück wirkt somit wie eine Parabel auf Tanzschuppen, die gewaltig saugen, und zwar im doppelten Sinne, gleichermaßen anziehend mit der Verlockung vorgefertigter kollektiver Entgrenzung ("I just do what I want to do") wie auch auszehrend (man beachte das verstörend sämige Tempo des Songs).
Eine wie die Verheißungen der Psychdelik verhöhnende, DOORSeske Orgel und bestens dazu passender Nölgesang begleiten die abgeschnittenen Blueslicks von 'Baby', doch auch diese Bluesrudimente klingen industriell entfremdet. Einen Hauch von Exotik bietet das am stärksten an den Stil von DAVID BOWIE angelehnte 'China Girl', welches dieser auch (in anderer Version) selbst veröffentlichte. Doch hier freilich klingt diese Exotik zugeschnitten, abgerichtet, kataloghaft, und wird überlagert vom abgemessenen Schlagzeugrhythmus und den postpunkig verrauschten, dezent agierenden Rockgitarren, über die einige Synthieflächen wie Glanzpapier geklebt wurden. Raum zum Atmen bleibt da nur wenig, auch dieses Stück ist also mehr eine Phantasie vor tristem Hintergrund, ein glückloser Versuch des Eskapismus, keine aufblühende Oase inmitten des ansonsten noch trostloseren Albums mit seiner latenten Depression, die in all seinen Songs mitschwingt.
Man kann "The Idiot" durchaus als Abgesang auf Punk und Disco verstehen, wie auch als Abgesang auf eine Freiheitsillusion, die sich literarisch in Büchern wie "Fear and Loathing in Las Vegas" wiederfindet. Am groovigsten, offenkundigsten und sehnsüchtigsten lässt sich dieses schnoddrig Elegienhafte in 'Dum Dum Boys' heraushören, dessen gesamter Text sich zudem als Abgesang auf das im Nichts verpuffte Provokationspotential der Punkzeit lesen lässt und mit den Worten endet "The walls close in and I need some noise". Hintegründig fährt "The Idiot" noch einmal einiges auf, was die Sechziger und Siebziger Jahre pop- und subkulturell-musikalisch auszeichnete, doch in äußerst gedämpfter Form und überzogen von (in seiner Ausgewaschenheit perfekt produziertem) akustischem Trauerflor, und in einem Tempo, das einer Grablegungszeremonie würdig wäre und so gar nichts mehr gemein hat mit den derzeit anderswo aufflackernden Stroboskopgewittern, in denen Musik zunehmend anhand ihrer Taktschläge gemessen wurde, an Quantität anstatt an Wahrheiten; Wahrheiten freilich, die auch "The Idiot" längst entglitten sind. Doch gerade dieses Entgleiten wird hier wunderbar thematisiert; sei es im schummrig-jazzigen 'Tiny Girls' über Mauerblümchen, die in der schönen neuen Welt nichts mehr zählen, bei denen sich jedoch genausowenig Wahrhaftigkeit finden lässt wie anderswo ("So you turn around / Toward the tiny girls / Who have got no tricks / Who have got no past / Yea that's what you think / And you hope she'll sing / But she sings of greed"); oder sei es im auf verstörende Weise beruhigend stumpfen 'Mass Production', dessen Monotonie immerhin noch einen müden Abklatsch von Unsterblichkeit zu verheißen scheint: Das ewige Gleichmaß, das niemals stoppt; das einen so lange comfortably numb (PINK FLOYD) werden lässt und seelisch auslaugt, bis man schon wieder - scheinbar körperlos - zu halluzinieren beginnt, es könnte alles auch ganz anders sein; doch dann stiehlt sich doch wieder das Industrielle in diesen Traum hinein, triefend wie Schmieröl, und man merkt, dass auch die Träume nur auf eines hinauslaufen: Flüssigeres Funktionieren.
Doch zu erkennen und zu verstehen, den Gott der Moderne zu schauen, sein neues Idealbild zu durchschauen, dafür reicht es nicht mehr. Es reicht nur noch für den Wahn: "Yeah, I'm almost like him". Eskapismus hin, Psychedelikreste her, Dosen vorgefertigter Rebbellenposen rundherum, und doch: Die Gleichschaltung hat gewonnen.
Anspieltipps: Nightclubbing, Funtime, Mass Production.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Eike Schmitz