POWERWOLF - Call Of The Wild
Mehr über Powerwolf
- Genre:
- Power Metal
- ∅-Note:
- 7.75
- Label:
- Napalm Records
- Release:
- 16.07.2021
- Faster Than The Flame
- Beast Of Gévaudan
- Dancing With The Dead
- Varcolac
- Alive Or Undead
- Blood For Blood (Faoladh)
- Glaubenskraft
- Call Of The Wild
- Sermon Of Swords
- Undress To Confess
- Reverent Of Rats
Zweischneidige Wolfszähne.
Ich muss ehrlich zu mir sein. Ein Blick auf die heutigen Line-ups von den uns bekannten Festivals führt oftmals dazu, dass man schon etwas enttäuscht, wenn nicht sogar frustriert ist. Die Bands, welche Anfang des neuen Jahrtausends die oberen Positionen eingenommen hatten, haben sich aus diversen Gründen nicht in die Richtung entwickelt, welche man sich als junger Erwachsener gewünscht hätte. Im Gegenteil. Aus BLIND GUARDIAN, RAGE, GRAVE DIGGER, GAMMA RAY (um mal grob in der gleichen Richtung zu bleiben) wurden nicht die kommerziellen Nachfolger von IRON MAIDEN.Das wäre vielleicht auch gar nicht so tragisch, wenn es nicht eine Handvoll Bands geben würde, welche die letzten Jahre, quasi auf der Überholspur lebend, an allen persönlichen Favoriten vorbeifahren würden und es sich Bereich Festival-Headliner breitmachen.
Hatte man Bands wie IN FLAMES oder PARKWAY DRIVE schon akzeptiert, da es anscheinend nun mal nicht mehr die Zeit für guten, alten Power Metal zu sein schien und bei der Jugend Metalcore und moderne Sounds deutlich besser funktionieren, so setzten sich langsam zwei Bands aus der traditionellen Richtung an die Spitze über die man anfangs nur ein müdes Lächeln überhatte. POWERWOLF und SABATON brechen mittlerweile einen Rekord nach dem anderen und denken gar nicht darüber nach, irgendwie zu schwächeln. Ich selbst bin schon etwas verbittert, wenn ich darüber nachdenke, welche Vorfreude "Call Of The Wild" in den sozialen Netzwerken generiert, während ein neues BLIND GUARDIAN Album im gleichen Jahr kaum Beachtung findet.
Aber man muss sich eingestehen, dass Nachtreten (und das passiert in unserer Szene viel zu häufig) hier nicht fair ist. POWERWOLF hat in der Vergangenheit einfach viele richtige Entscheidungen getroffen. Voller Fokus auf Zugänglichkeit, ein aufs Wesentliche reduziertes und komprimiertes Songwriting, ein in sich stimmiges Konzept und eine hohe Veröffentlichungsdichte. Das muss man nicht mögen, ist aber legitim. Das würde aber alles auch nix bringen, wenn man keine Hits schreiben würde, und hier wird das Wolfsrudel immer besser.
Attila & Co. haben die Pop-Formel im Blut. Offen für den Zeitgeist gucken sie nicht nur nach oben im Festival-Billing, sondern auch nach rechts und links auf der gleichen Stufe und modellieren ihren Sound so, dass auch Fans von anderen Bands hier Lieder finden, die in die persönliche Playlist wandern. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt. POWERWOLF denkt nicht mehr daran, wie ein Album funktioniert, sondern wie der heutige Musikhörer funktioniert. Es sind immer mehr Einzelsongs, welche in selbst generierte Playlist geschoben werden und der Hörer bekommt die höchste individuelle Flexibilität im Musikgenuss. Wie komme ich nun z.B. in die Playlist eines SABATON-Jüngers? Indem ich ihm einen Song biete, der genauso wir ein SABATON-Song funktioniert. Hört euch einfach mal die Gesangslinien bei 'Beast Of Gevaudan' an und stellt euch vor, das würde Joakim singen. Anderes Multiseller-Beispiel gefällig? Macht das Gleiche mal mit 'Undress To Confess' und Papa Emeritus. Klingt beides zu 100% nach POWERWOLF, ist es aber im Kern gar nicht wirklich.
Nicht ganz so offensichtlich, aber dennoch vorhanden, passiert Ähnliches auch mit dem Soundgewand. Die Orchestrierung wird nochmal deutlich angehoben, um auch die weiter oben wachsenden Kirschen vom NIGHTWISH-Baum abzupflücken. Echtes Orchester? Geschenkt! Bei diesem Komprimierungsgrad hört man das eh nicht mehr. Die Jungs von SALTATIO MORTIS waren doch auch schon auf dem Chartthron. So 'ne Uptempo-Folk-Nummer hat doch auch schon bei SABATON ('To Hell And Back') geklappt und funktioniert auch bei POWERWOLF prächtig. 'Blood For Blood' kommt jedenfalls direkt in meine Playlist „Joggen“. Ebenfalls qualifiziert haben sich neben 'Undress To Confess' (ich liebe halt GHOST), 'Dancing with the Dead', der richtig gute Titeltrack, 'Sermon Of Swords' und vor allem das wirklich verdammt starke 'Glaubenskraft'. Hier klingt man eben nicht wie irgendeine andere Band, sondern nur nach POWERWOLF. Auch der wirklich bemerkenswerte Text sollte hier besonders erwähnt werden, denn es geht halt auch mal ernster.
Doch bei aller Hitdichte muss man auch zwei Lowlights konstatieren. Die Quotenballade 'Alive Or Undead' versinkt so derb im Kitsch und schafft es nicht, sich daraus zu befreien. Richtig derb ist dann der Totalausfall 'Varcolac'. VANGELIS, GEGORIAN, Eurovision Song Contest, ZDF-Fernsehgarten – alles keine schönen Gefühle, die dort in einem hochkochen.
Nichtsdestotrotz bleiben unter dem Strich sechs Songs, welche mich zumindest zeitweise beim Sport oder beim Feiern begleiten werden. Ob sich die Wölfe in der Gesellschaft von DUA LIPA, SIA, und AVA MAX wohlfühlen, interessiert mich relativ wenig. Sie haben sich es ja selbst ausgesucht. Wer sich schon mal immer gewünscht hat, MAX MARTIN mal aufs WACKEN zu schicken und dann mal zu schauen, mit was für einem Ergebnis er aus dem Studio kommt, dem sei "Call Of The Wild" wärmstens empfohlen. Die Einzelsongs sind deutlich stärker als die Summe ihrer Teile und somit das Album als Ganzes.
Somit gebe ich für die sechs starken Lieder Noten von 8-9, aber in Summe eine 6,5 für das Gesamtergebnis. Zum Gegensteuern lege ich mir jetzt jedenfalls "Crystal Logic" auf und genieße das komplette Album am Stück. Schon krass und richtig altbacken, aber ich liebe es.
- Note:
- 6.50
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal