PRESTIGE, THE - Amer
Mehr über Prestige, The
- Genre:
- Alternative Hardcore / Postcore
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Imminence Records
- Release:
- 20.04.2015
- Amer
- Bête Noire
- Léger De Main
- Enfants Terribles
- Voir Dire
- Négligée
- Ingénue
- Marquee
- Apaches
- Petite Mort
- Cri De Coeur
Postcore vom Feinsten, natürlich aus Frankreich!
In Frankreich geht die Post ab. Besser gesagt, der Post. Post Hardcore, Post Metal, Post Rock - das Land der Liebe, des Rotweins und der Gourmetsterne entwickelt zunehmend Lärm als Exportgeheimtipp. Wobei betont werden sollte: Lärm erster Güte! Aktuell liegt mir "Amer", der neueste Output des Pariser Postcore-Quartetts THE PRESTIGE vor. Seit Wochen drücke ich mich schon um die Rezension, weil es mir unmöglich scheint, diese Ausgeburt an wildem Krach, an ungezügelter, fesselnder Rohheit mit Worten zu beschreiben. Aber irgendwie muss ich für meine neuen Lieblingsfranzosen ja eine Lanze brechen.
"Amer" wurde im Winter 2013 live im Studio eingespielt, und ich stelle fest: Eine bessere kollektive Studioaufnahme einer Rockband ist mir bislang nicht untergekommen. Wie die unbändige Energie der entfesselt aufspielenden Musiker hier eingefangen, dieser chaotische Wust aus kakophonen Klängen auf Scheibe gebannt wurde, verdient im Prinzip schon eine Auszeichnung für sich. Transparent im Klang, kristallklar und druckvoll, mit schlicht geschnittenen Übergängen wie Fadeouts bei einem Schwarzweißfilm. Ein klangliches Kunstwerk!
Was letztlich aber zählt, ist die Musik selbst – und da sorgt THE PRESTIGE auch beim x-ten Durchgang noch für bares Erstaunen, blankes Entsetzen, und unkontrollierte Endorphinexplosionen meinerseits. Mit seiner markanten Stimme pendelt Sänger und Gitarrist Alex Diaz zwischen lethargischem Gestammel und wütendem Geschrei, während seine Mitmusiker ein scheinbar zusammenhangloses Chaos aus wüsten Gitarrenriffs, Feedbacks und hektischen Schlagzeugsalven zusammenzimmern. Eine Mischung aus DEFTONES-Atmosphäre, HELMET-Anarchie und FUGAZI-Krach. Und so gehören die ersten Tracks von "Amer" mit zum Besten in Sachen Rockmusik überhaupt, was ich mit meinen gut dreißig Lenzen bislang gehört habe. Von der ersten Sekunde des titelgebenden Intros an werden die Daumenschrauben angezogen und mit unerbittlich malmenden, maschinenartigen Riffs ein schier unerträglicher Spannungsbogen aufgebaut, der sich im folgenden 'Bête Noire' entlädt. Fantastisch gerade an 'Bête Noire' und dem ebenso grandiosen 'Léger De Main' ist, wie sich in all dem konfusen Lärm trotzdem hintergründig eine tiefere Logik abzeichnet, und wie folglich der scheinbar ziellose Krach in klar fokussierten Höhepunkten kulminiert. Auch textlich ist THE PRESTIGE düster, vielschichtig, teilweise kryptisch unterwegs – eine erfrischende Abwechslung zu den oft so platten lyrischen Ergüssen vieler Kapellen.
Ohne dass echte Ausfälle zu verzeichnen sind, gelingt es der Band allerdings nicht, über die gesamte Laufzeit die Aufmerksamkeit auf konstant hohem Level zu halten. Irgendwo in der Mitte, zwischen 'Voir Dire' und 'Marquee', wo die Songs zunehmend ausfransen, die Strukturen sich weitestgehend auflösen, verkommt "Amer" kurzfristig zum chaotischen Hintergrundsoundtrack. Wobei der ausufernde Mittelteil in der Gesamtbetrachtung letztlich auch wieder Sinn ergibt. Wie dem auch sei: Bei 'Apache' anschließend gibt die Band wieder brachial Vollgas, und am Ende wird mit 'Cri De Coeur' nochmal ein beispielloses Feuerwerk an Intensivität, Verzweiflung und Aggression abgefackelt. Zum Schluss rastet die Band völlig aus, schreit Diaz wie von Sinnen ins Mikro, während die Instrumentalisten ihr drittes Album infernalisch rasend zu Ende trümmern.
Nachdem mich in den vergangenen anderthalb Jahren frankophone Bands wie DIRGE, ERLEN MEYER oder C.R.O.W.N. mit faszinierenden postmetallischen Veröffentlichungen wahlweise schockiert oder begeistert haben, landet nun THE PRESTIGE ganz vorne auf meinem Favoritentreppchen. Der blanke Wahnsinn! Wenn das so weitergeht, beantrage ich noch die französische Staatsbürgerschaft.
Anspieltipps: Bête Noire, Léger De Main, Cri De Coeur
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Timon Krause