PRIMORDIAL - The Gathering Wilderness
Mehr über Primordial
- Genre:
- Dark Metal
- Label:
- Metal Blade
- Release:
- 07.02.2005
- The Golden Spiral
- The Gathering Wilderness
- The Song Of The Tomb
- End Of All Times (Martyrs Fire)
- The Coffin Ships
- Tragedy's Birth
- Cities Carved In Stone
Abgrundtiefe Dunkelheit, das Gefühl, allein im Sturm der Welt zu stehen, doch mit dem festen Willen zu siegen - wenn es den Begriff "Mut der Verzweiflung"-Metal gäbe, er würde wie kein anderer Terminus zur neuen PRIMORDIAL-Scheibe "The Gathering Wilderness" passen. Das nunmehr fünfte Album der Iren markiert einen weiteren Höhepunkt ihres magischen Schaffens und spinnt eine Brücke zwischen dem keltischen Folk-Anteil der Band und der weltlichen Moderne - heraus kommt ein inspiriertes Meisterwerk voll gefühlvoller Kraft und stolzer Würde.
Schon das getragen beginnende 'The Golden Spiral' beschäftigt sich mit den Gegensätzen Vergangenheit und Zukunft. Es geht um das alte religiöse Konzept der nie endenden Spirale des Lebens, um die alten Götter, an welche die Menschen mit ihren Blutstropfen gebunden sind - nach der Auffassung von PRIMORDIAL. Diese Einsichten werden mit einem packenden Text in dramatischen acht Minuten verarbeitet. Schon bei diesem ersten Song wird deutlich, dass PRIMORDIAL im Vergleich zu "Storm Before Calm" wieder eine Spur dunkler und doomiger ihre Seelenpein verarbeiten, die Black-Metal-Anteile des Vorgängeralbums sind deutlich zurückgeschraubt und Sänger Alan A. Nemtheanga lässt deutlich öfter seine klagend-klare Stimme durch die Boxen schallen. Der Opener endet mit einem fast hypnotischen Schlagzeugsolo - das gleitet über zum Titelsong von "The Gathering Wilderness". Dieser beginnt mit einer solch tragischen Akustikmelodie, dass sich sämtliche Nackenhaare einzeln in Reih’ und Glied aufstellen und vor Bewunderung anfangen zu zittern. In 'The Gathering Wilderness' liegt auch die zentrale Aussage, die PRIMORDIAL mit ihrem Wunderwerk ausdrücken wollen. Laut Nemtheanga ist die Welt in den vergangenen Jahren ein noch dunklerer, gefährlicherer Ort geworden. Niemand hat mehr die Macht, den Niedergang der Menschheit aufzuhalten, alles strebt der Verzweiflung entgegen, Länder und Nationen steuern ohne Halt. Oder?! Klagend beschwört Nemtheanga den Untergang, doch auch die Wildheit, die sich in den Herzen der Menschen breit macht und sie vielleicht doch noch einmal überleben lässt oder an ihre Stelle etwas völlig Neues setzt. "These might well be our last days, but maybe, just maybe we’ll take them down with us ...", schreibt die Band im Booklet. So gleichen die neun Minuten von 'The Gathering Wilderness' einer Achterbahn der Gefühle, Leid und Hoffnung sind auf engstem Raum vereint. Schleppend geht es dabei immer noch voran, die fünf Musiker sind sich der unvergleichlichen Kraft von Langsamkeit voll bewusst. In diesem Punkt ähneln PRIMORDIAL in manchen Momenten durchaus den Doom-Göttern von MY DYING BRIDE. Wer von beiden Bands die bessere ist, lässt sich freilich nicht sagen: Zu einzigartig klingen beide Truppen, zu vielschichtig, zu anspruchsvoll.
Nur eines ist klar: Ein Stück wie das folgende 'The Song Of The Tomb' gleicht in seiner majestätischen Erhabenheit und seiner melancholischen Eleganz einem sinnlichen Erlebnis, wie es nur wahre Kunst ermöglichen kann. Zum ersten Mal ziehen PRIMORDIAL das Tempo der Platte an, wie von Sinnen schreit Nemtheanga zu Ehren von toten Kriegern aus allen Zeiten der Geschichte. Die Einheit von Text und Musik ist bei diesem Song in einem Maße gelungen, dass Quorthon von BATHORY vor Freude in seinem Grab rotieren dürfte - der Song ist gleichzeitig eine Reminiszenz an klassische BATHORY-Werke à la 'Hammerheart'. Zwischendurch steigen einzeln Männerchorstimmen in den Himmel, die Gitarren (ver-)locken mit fesselnden Melodien und bringen das hörende Herz zum Bersten - wer hier nichts fühlt, ist frigide. Es ist dieses existenzielle Feeling, das sonst nur bei Filmen wie "Der Herr der Ringe" oder "Braveheart" aufzukommen vermag, welches nun auch PRIMORDIAL auf "The Gathering Wilderness" vermitteln können. Inzwischen sind bei nur drei Songs schon 24 Minuten vergangen, kein Song auf der Scheibe läuft unter sieben Minuten.
'End Of All Times (Martyrs Fire)' greift noch einmal die aktuelle Welt(-krisen-)lage auf einer philosophischen Ebene auf. Gleichzeitig wirken die Texte von Nemtheanga sehr persönlich. "And I said once before, that time heals nothing, I feel like a wounded animal, in the dying throes", weint er fast. Spätestens hier dürfte jeder noch so harte Black-Metal-Freak verzeihen, dass PRIMORDIAL nicht noch ein "Storm Before Calm"-Album aufgenommen haben - im Jahre 2005 sind die Iren dennoch immer noch fernab von allem billigen Dark-Metal-Klischees, ergreifend, emotional, romantisch, heroisch und gleichzeitig erschreckend hoffnungslos, negativ, weltabgewandt. Woran kann dies liegen? Doch nicht nur an dem Sound, der durch die Zusammenarbeit von PRIMORDIAL mit Produzentenmagier Billy Anderson (NEUROSIS, MELVINS, FANTOMAS ...) zustande gekommen ist: Die Platte wirkt trotz ihrer vielen langsamen Parts erstaunlich rau, die Instrumente besitzen einen erdigen Klang. Diese Geräuschwand lässt sich auch bei dem Zehn-Minuten-Hammer 'The Coffin Ships' nachvollziehen. Dieses epische Stück widmet Texter Nemtheanga den toten Landleuten, die bei der großen irischen Hungersnot zwischen 1845 und 1849 starben - besonders meint er die Menschen, die auf völlig überfüllten Schiffen versuchten, nach Amerika zu kommen und auf der beschwerlichen Reise dorthin starben. Für diese Elegie nutzt er seine klare und eigenartig anrührende Stimme, dazu gesellen sich die langsame Instrumentierung, die herzzerfetzenden Gitarrenriffs - der Hörer ist bei diesem Song auf den Schiffen dabei, steht zwischen den abgerissenen und auf der Suche nach einer neuen Zukunft dahinsiechenden Gestalten und riecht den Schimmel, den Verfall, den Tod. Gleichwohl klingt das Stück in seinem zweiten Teil kämpferisch, als wolle Nemtheanga zum Durchhalten auffordern, wo es doch keine Hoffnung gibt. Theatralischer klingt kaum eine andere Band, die schon genannten MY DYING BRIDE vielleicht, KING DIAMOND zum Teil auch. Dies ist der Unterschied zu so vielen anderen durchschnittlichen Bands, die einfach nur nach guten Riffs suchen - PRIMORDIAL erkunden das Herz, wollen sein Blut, halten Ausschau nach ihren tiefsten inneren Gefühlen, möchten, dass ihre Musik dem Hörer in jedem Muskel Schmerzen zufügt, ihn regelrecht durchbohrt.
Den Weltschmerz lassen sie noch einmal mit 'Tragedies Birth' über dem Hörer zusammenfallen. "This world is not for him, this world is not for you nor I", ruft Nemtheanga beschwörend singend aus, keift kurz darauf in klassischer Black-Metal-Manier. Dazu ist das Tempo für PRIMORDIAL-Verhältnisse so schnell wie der Flug der Vögel auf dem fantastischen Natur-Cover. Im Hintergrund sorgen dezente Keyboards für weitere Gänsehautattacken. Hört auf!, möchte man diesen entfesselten Künstlern zurufen, haltet ein, solch süße Seelenqualen zu bereiten. Es ist wie eine Droge, diese Scheibe, sie erzeugt genau die Wildheit im Herzen, von welcher der Titel "The Gathering Wilderness" spricht. Dabei bleiben PRIMORDIAL in jeder Sekunde ihren bisher schon einzigartigen Merkmalen treu, selbst diese typisch irische Melodieführung bleibt vorhanden. Wer zum Beispiel den Soundtrack von "Braveheart" kennt und liebt, der wird PRIMORDIAL vergöttern, sind doch manche Melodien wie klassische Dudelsackweisen arrangiert, nur eben mit Gitarren. Das ist beim Abschluss-Gefühlsmassaker 'Cities Carved In Stone' nicht anders - es ist die Ballade der Scheibe, die sich so verzweifelt in die Gehörgänge presst, dass der Begriff Gänsehaut langsam überstrapaziert scheint - Entengefieder passt wohl als Steigerungsform besser. Und noch einmal wird Nemtheanga sehr persönlich, wenn er am Ende des Songs die letzten Textzeilen einer wunderbaren Platte singt: "Sometimes I get to thinking of the past, when I’ve had more then a drink or two, who knews where the days go, and would you ever want them back ..." Eigentlich ist nach einem solch epischen Album - nach so einer Stunde Tonkunst - alles gehört, erlebt, gesagt. Danke.
Anspieltipps: alles
- Redakteur:
- Henri Kramer