QUEENSRYCHE - The Warning
Mehr über Queensryche
- Genre:
- Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Capitol (EMI)
- Release:
- 24.07.2003
- Warning
- En Force
- Deliverance
- No Sanctuary
- N M 156
- Take Hold Of The Flame
- Before The Storm
- Child Of Fire
- Roads To Madness
- Prophecy
- The Lady Wore Black (Live)
- Take Hold Of The Flame (Live)
Ja, ein Klassiker. Sagt jemand, der dabei war.
"History in the making", nennt man das wohl. Wusste damals natürlich niemand, mich eingeschlossen, aber heute weiß ich es besser. Und aus dieser Sicht werfe ich jetzt mal einen ganz subjektiven Blick auf ein Album, das heutzutage, fast drei Jahrzehnte später, als Klassiker des Progressive Metals gilt. Denn hier auf powermetal.de finden wir auch ein Review der Scheibe, das ein junger Kollege geschrieben hat, der naturgemäß aufgrund seines völlig verschiedenen musikalischen Hintergrunds und Werdegangs anders empfindet. Dem muss ich entgegensetzen, dass Alben auch in ihrem Kontext gesehen werden sollten. Dieses Review wird genau das tun.
Denn "The Warning" brach in eine Aufbruchstimmung hinein, in das zweite metallische Zeitalter. Die frühen Dinosaurier waren entweder ausgestorben wie DEEP PURPLE oder einer Evolution unterworfen wie BLACK SABBATH, und die NWoBHM nahm den Hard Rock und Rock'n'Roll und schuf etwas Eigenes, aber jenseits des Atlantiks braute sich Großes zusammen. Da entstanden Thrash, Power Metal, Epic Metal und Progressive Metal, und jede Woche durften wir neue Perlen entdecken. Man kannte eventuell bereits 'Queen Of The Reich', so dass der Name QUEENSRYCHE aus Seattle, damals in Sachen Rock ziemlich Terra Incognita, bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad in gut informierten Kreisen hatte. Wobei dies in einer Zeit vor dem Internet und ohne die lieb gewonnenen Fanzines und Magazine auch noch ziemlich schwierig war. Aber dann lief im Radio der Song 'NM 156'. Und was war das jetzt? Keyboards, vertrackte Rhythmik, und dann auch noch intelligente, gar kritische Texte im Metal? Und so völlig anders als die Debüt-EP!
Das Album gehörte zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits auf den Speiseplan eines jeden echten Frühmetallers, denn die Kombination war damals absolut neu und einzigartig. Da kam eine Band, nahm die dem Zeitgeist geschuldeten hohen Vocals, intoniert von der brillanten Stimme Geoff Tates, und keine Albernheiten der Neuzeit können die Genialität seiner Gesangslinien bis einschließlich "Promised Land" entwerten, und ließ diese tiefsinnige Texte darbieten, zwischen Sci-Fi-Stories und Mystery bis hin zu wieder erkennbaren Parallelen zu unserer – damaligen wie heutigen – Gesellschaft. Aber das war nur ein Aspekt, denn gleichzeitig paarten sie die Härte des Metal mit der Komplexität des Siebziger Jahre Progs, und bewiesen etwas, was kaum zu erwarten gewesen war: Das diese Kombination nämlich funktioniert!
Es schlug sich auch in den Gitarrenriffs nieder. Oberflächlich einfache Songs wie 'Deliverance' hatten komplexe, schwierige Riffs, und (beinahe) zum ersten Mal durften wir ein Metal-Album wieder- und wiederhören, um die Feinheiten überhaupt alle zu entdecken. Ja, zu 'Road To Madness' haben wir zu dritt zusammen gesessen, mit Bier, und haben den Song mehrfach nacheinander gehört und uns gegenseitig auf Details aufmerksam gemacht. Und am Ende zusammen Geoff weniger musikalisch treffend, dafür aber umso lauter übertönt.
Dass "The Warning" so ein Klassiker geworden ist, liegt aber natürlich zuvorderst an den großartigen Melodien, die jeden einzigen Song zu einem Ohrwurm werden lassen und die beschriebene Komplexität erfolgreich kanalisierten und damit auch verdaubar machten und machen. Immer zu bedenken: Damals hatte es noch keine "Crimson", "Control And Resistance" oder "Sound Of Perseverance" gegeben, unsere Ohren wären damit vielleicht auch überfordert gewesen.
Dass einzelne Lieder andere überstrahlen, ist selbst bei einem so starken Werk unvermeidlich. Die Highlights 'En Force', 'Deliverance', 'NM 156', 'Warning' und der Übersong 'Roads To Madness' strahlen so hell, dass die anderen Songs oft in den Hintergrund treten, aber das ist ganz sicher unverdient. Wenn man sich 'Take Hold Of The Flame' oder 'Before The Storm' einmal gezielt anhört, stellt man fest, dass jeder einzelne an sich ein Meisterstück ist. Auf jedem anderen Album möglicherweise der eine Stand-Out-Track, doch auf "The Warning" reicht es eben nicht einmal für einen Platz auf dem Treppchen.
Musikgeschichte lässt sich nicht von neu zu alt erarbeiten. Diese Erfahrung mussten wir alle machen. Es gibt Klassiker-Alben, deren Status ich nicht vollständig nachvollziehen kann. Weil ich nicht dabei war. JIMI HENDRIX, BLUE CHEER, KING CRIMSON, LED ZEPPELIN, das sind meine Baustellen. Würde ich den Klassikern eine 10 geben? Sicher nicht, ich Ketzer. Aber dafür weiß ich, dass "The Warning" ein Fixstern am Metalhimmel ist, an dem sich andere orientieren. Ein 10er-Album ohne Zweifel. Musikalisch, historisch, emotional und so objektiv, wie man in Bezug auf Musik nur sein kann, unter vorsätzlicher Nichtberücksichtigung des Zeitgeistes. Deswegen hat mein Kollege mit seinem Review nicht unrecht, aber er wird dem Album nicht in jeder Hinsicht gerecht. Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Aber mein Paar passt sicher nicht jedem. Was wir aber sicher beide sagen würden, ist, dass jeder Musikliebhaber an diesem Album einmal seine Füße messen sollte, um zu schauen, ob er meine Sicht nachvollziehen kann oder eher nicht. Denn eine Kaufempfehlung geben wir ja immerhin beide, man kann also nicht so viel falsch machen. Und im besten Falle darf man das erleben, was wir in den frühen Achziger Jahren erlebten: ein Album, dass einem den Mund offen stehen ließ.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Frank Jaeger