SAINT VITUS - Lillie: F-65
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2012
Mehr über Saint Vitus
- Genre:
- Doom Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Season Of Mist / Soulfood Music
- Release:
- 27.04.2012
- Let Them Fall
- The Bleeding Ground
- Vertigo
- Blessed Night
- The Waste Of Time
- Dependence
- Withdrawal
Das Comeback des Jahres mit staubtrockenem, schnörkellosem Doom.
Lange Zeit schien es, als wäre das 1995 erschienene letzte Studioalbum "Die Healing" auf ewig der Nachruf auf die Doom-Legende SAINT VITUS. Zu tief schienen die Gräben zwischen einzelnen Bandmitgliedern, zu schwer die erlittenen Schicksalsschläge, zu unglücklich die Geschichte der Band. Als sich vor einigen Jahren jedoch Dave Chandler und Scott "Wino" Weinrich wieder zusammentaten und zusammen mit den alten Weggefährten Mark Adams und Armando Acosta wieder auf die Bretter stiegen, keimte in der doomenden Gemeinde langsam Hoffnung auf, dass es doch noch mal ein Album des heiligen Veit geben könnte. Doch bald kam es wieder zu schweren Schlägen. Dieses Mal war es Schlagzeuger Armando, der die Band verließ und wenig später an einem Tumorleiden verstarb.
Dass also dieser Tage mit "Lillie: F-65" ein achtes Studioalbum von SAINT VITUS erscheint, sollte keiner als Selbstverständlichkeit betrachten. Ein Stück weit ist es fast ein kleines Wunder, und freilich ist vieles anders als damals, als "Die Healing" in die Läden kam. Ursänger Scott Reagers hat seinen Platz längst wieder an seinen nicht minder kultigen Nachfolger, Vorgänger und Nachfolger Wino übergeben, und an der Stelle von Armando Acosta gerbt nun Henry Vasquez die doomigen Felle. Gitarrist Dave und Bassist Mark sind natürlich dieselben wie immer, und nach vier trocken staubenden Drumschlägen, die den Opener 'Let Them Fall' einzählen, macht schon des Herrn Chandlers erster Anschlag auf der Gitarre unmissverständlich klar, dass sich auch sonst weitaus weniger geändert hat, als all die Ereignisse hätten vermuten lassen.
Die Band weiß, was sie dem eigenen Ruf und ihren Fans schuldig ist, und so ist man als VITUS-Jünger vom ersten Riff an Gefangener der Band. Der warme, wuchtige, erdrückende, trockene Gitarrensound, den D.C. auffährt ist ein Markenzeichen, wie es sie in der Metalwelt nicht allzu oft gibt, und wenn dann Winos eindringliche, markerschütternde Stimme klagend, anklagend, bissig und entschlossen erschallt, dann sind wir zurück in Zeiten von "Born Too Late" und "V". Die stoisch pumpende Rhythmusgruppe führt eine Kreuzigungsgruppe nach Golgotha und wenn D.C. im Solo seine SG mit Wah-Wah und irrem Strumming psychedelisch flirren, manisch surren und elegisch schweben lässt, dann ist wirklich alles zu spät. Ja, dieser Song wird sich zu den ganz großen Düsterhymnen der Band gesellen, da habe ich keinen Zweifel.
Das folgende 'The Bleeding Ground' ist weniger finster und rockt ein Stückchen mehr, allerdings ist es natürlich ebenso tief im Doom der Siebziger verwurzelt wie jeder andere Song der Bandgeschichte. Einer der metallischeren fürwahr, aber sicher nicht mal ansatzweise ein Stilbruch. Wino singt recht melodisch und Daves Gitarre schneidet hier und da mit sehr feinen, absurden Leads dazwischen, bevor das basslastige Break zu Beginn des letzten Drittels den Boden für ein anderthalbminütiges eskapistisches Solo der Extraklasse bereitet, das den Song fast zu Ende bringt. Nachdem er im Feedback endet, folgt ein gezupftes Instrumental, das unscheinbar aber sehr schön eine dunkle Anmut verbreitet, die wunderbar auf den nächsten Song vorbereitet.
Der hört auf den Namen 'Blessed Night' und repräsentiert eher die flottere Seite von SAINT VITUS. In angezogenem Tempo hämmert Henry seinen Beat hinaus und Dave wringt ein schönes, urtypisches VITUS-Riff aus der Sechssaitigen. Staubtrocken, schnörkellos, unbarmherzig. 'The Waste Of Time' hätte in seiner zermalmenden, marternden Art auch auf "V" ein feines Plätzchen gefunden, wobei ich hier Winos Gesangsleistung und das Solo besonders toll finde. 'Dependence' ist sodann der letzte richtige Song, der als siebeneinhalbminütiges Epos zuerst einmal mit ruhigen, beschwörend gezupften Klängen eine dunkle Horroratmosphäre herauf beschwört, die, mit archaischen Effekten angereichert, sehr beklemmend wirkt. Dann steigt langsam eine mit massivem Overdrive bestückte Gitarre ein, bevor die ganze Klangwand dazu kommt, die SAINT VITUS ausmacht. Ein weiteres Highlight veit'scher Dunkelkunst, das die Band auch vor knapp dreißig Jahren nicht viel besser hinbekommen hätte. Dass die Band zum Abschluss noch ein noisiges Instrumental namens 'Withdrawal' für erforderlich hielt, das nehme ich einfach mal so hin, wie ich auch ein 'Black Arrows' von MANOWAR hinnehme. Man braucht es nicht, aber es kann die grandiose Leistung des restlichen Materials noch nicht mal ansatzweise schmälern.
So bleibt im Hause SAINT VITUS alles wie gehabt. Charismatische alte Recken zelebrieren im für ihren Stil absolut perfekten, schnörkellos erdrückenden Soundgewand die reine Lehre des Dooms. Wer die Band mit Wino als Frontmann früher verehrte, der wird im Zweifel auch "Lillie: F-65" verehren, und wer diesen aufs Letzte und Wesentlichste reduzierten, beinharten und knochentrockenen Sound noch nie leiden konnte, der wird auch dieses Werk einmal mehr dröge finden. Da ich recht offensichtlich zur ersteren Gruppe gehöre, habe ich mit SAINT VITUS auf jeden Fall mein Comeback des Jahres und mit Sicherheit auch einen ganz heißen Kandidaten für das Album des Jahres.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle