SAXON - Into The Labyrinth
Mehr über Saxon
- Genre:
- Heavy Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- SPV / Steamhammer
- Release:
- 09.01.2009
- Battalions Of Steel
- Live To Rock
- Demon Sweeney Todd
- The Letter
- Valley Of The Kings
- Slow Lane Blues
- Crime Of Passion
- Premonition in D Minor
- Voice
- Protect Yourselfs
- Hellcat
- Come Rock Of Ages (The Circle Is Complete)
- Coming Home (Bottleneck Version)
Protect Yourselfs: Senioren auf dem Kriegspfad! SAXON hauen auf den Putz: Brachial, intelligent und verdammt gut aufgelegt.
"Durch Kälte, Angst oder Erregung kommt es zu einer vom vegetativen Nervensystem gesteuerten Kontraktion des 'Haarbalgmuskels' (lat. Musculus erector pili), so dass sich der Haarfollikel über die Hautoberfläche erhebt und sich das Haar aufrichtet (medizinischer Fachbegriff Piloerektion)", klärt mich Dr. Wiki auf, nachdem ich mit diesem Phänomen zu ihm gekommen bin. Zum letzten Mal aufgetreten ist es, als ich die neue SAXON-Scheibe "Into The Labyrinth" in die Stereoanlage eingelegt und aufgedreht habe. Was es beschreibt? Gänsehaut, denn die Metal-Legende hat wieder zugeschlagen.
SAXON ist eine Band, wie man sie nicht oft auf diesem Planeten findet. Natürlich gibt es da Superstars, Rockstars, die AC/DCs und die GUNS 'N ROSES dieser Welt, doch so sympathisch wie SAXON ist definitiv keine. Oh ja, da gab es diese für beinharte Fans ach so schreckliche Phase am Beginn der Neunziger, in der man lieber glattgebügelte Rocksongs mit Chartpotenzial geschrieben hat, statt handfeste Metal-Kost zu fabrizieren. Dennoch sind mit "Destiny" und "Solid Ball Of Rock" am Höhepunkt dieses Ausflugs zwei großartige Rockalben entstanden, deren Hymnen an einen ganz speziellen Lebensstil immer wieder das Herz diverser Alt- und Jungrocker zu berühren wissen. Die Zeit vor dieser Phase schien zwar vergessen, denn die Wurzeln der Band wurden nur noch teilweise berührt, bis mit "Dogs Of War" eine neues Kapitel in den SAXON-Chroniken aufgeschlagen wurden. Der Sound wurde ein wenig eigener, und irgendwie schafften es die britischen Altmeister, das über Jahre angelernte Prinzip zu kippen. Der erste Schritt hin zum härteren Metal war mehr oder weniger selbstbewusst gegangen. Doch erst mit "Metalhead" fand jene neue Power, jene neue Härte Einzug in das sächsische Klanggewand, das SAXON mit ein paar blutigen Tritten in alle Richtungen wieder an jenen Punkt brachte, der über Jahre verloren schien: den Thron des rockigen Heavy Metals.
In diesem Jahr, keine zwei Jahre nach "The Inner Sanctum", wirft man dem freudig grinsenden Metalvolk also das nächste edle Sahnehäubchen über den Kanal. Und ja, wenn ich das vorwegnehmen darf: Ein Sahnehäubchen mit Stromgitarre und dem Potential zum Städteerobern ist es definitiv geworden. Aus mehreren Gründen. So findet der geneigte Hörer all jene "neuen" Stilelemente, die SAXON seit "Metalhead" in ihren Sound implementiert haben, etwa die wuchtigen, schweren und knallenden Gitarren, die bei 'Metalhead' ihren Einzug fanden und über 'Justice' und'Attila The Hun' ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. 2009 heißen die Songs 'Crime Of Passion' und 'Protect Yourselfs' und springen einem etwa so behäbig wie ein Bulldozer auf Speed ins verdutzte Gesicht - brachial, brutal und böse. Genau dieses Riffing stellt einen ersten Höhepunkt des Albums dar. Denn an dieser Stelle wird jene Brücke geschlagen, die junge Metalheads genauso wie die Altrocker vor der Bühne versammelt, wenn SAXON auftreten, und sie Arm in Arm in Feierlaune bringt. Dieses Phänomen lässt sich kaum anders herleiten als durch die Liebe der Band zu melodischen Arrangements der Achtziger, verbunden mit dem Wumms unserer Tage. Und das Konzept funktioniert, verdammt nochmal.
Sollten die Wände des gebeutelten Wohnzimmers nach dieser Beschallung noch stehen, legen wir den Finger auf ein weiteres Talent dieser Band: die Fähigkeit, hymnische Balladen zu schreiben. Kaum ein Metalhead hat nicht schon zu solchen Hammer-Songs wie 'Dallas 1 PM' oder 'Frozen Rainbow' tief in die Augen seines Ledernacken-Nachbarn geschaut, sich von der entgegengebrachten Rührung in dessen Pupille mitreißen lassen und voller Inbrunst mitgesungen - gerade so, dass es einem nicht nur ums Herz warm wurde. Doch auch vor Liebesliedern der Marke 'I Can't Wait Anymore' (von "Destiny") haben die SAXONen nicht haltgemacht und sie mit Bravour gemeistert. Glücklicherweise, für den beinharten Metal-Fan zumindest, kam man davon allerdings wieder ein wenig ab und schuf in den 2000ern eine Handvoll spannender, berührender und träumerischer Balladen; allen voran das unglaubliche 'Shadows On The Wall', dicht gefolgt von 'Searching For Atlantis' und nicht zuletzt 'Red Star Falling' von der letzten Veröffentlichung. Auch auf "Into The Labyrinth" werden Hammer und Amboss für eine gewisse Zeit gegen E-Laute und Gefühl getauscht. Der gemeinte Song heißt 'Voice' und besticht durch den emotionalen - darf man das heute überhaupt noch schreiben? - Gesang von Biff Byford. Allerdings klingt diese Ballade ein wenig zu gewollt und kalkuliert und verliert deshalb gegen die oben genannten Meisterstücke. Gerade das Solo ist zwar durchaus hörenswert, hätte sein Potenzial aber auch noch ein wenig deutlicher und zielgerichteter entwickeln können. Einerseits schade, ist es allerdings auch der einzige "Tiefpunkt" des Albums.
Klassischer und deutlich konsequenter ist die nahezu obligatorische Halb-Ballade, die Ode an den Rock, die dieses Mal 'Come Rock Of Ages (The Circle Is Complete)' heißt. Grundsolide und ohne Schwächen schallt es da aus den Boxen und lässt den Geist in die glorreichen Zeiten des Rock 'n' Roll schweifen. Und das ist das Stichwort zum zweiten Höhepunkt des Albums: Denn nicht nur 'Come Rock ...' schlägt einen Pfad durch den Urwald der Schaffensgeschichte der (Angel-)Sachsen, sondern auch 'Slow Lane Blues'. Abseits der Produktion und der etwas tieferen Stimme von Biff Byford, hätte dieser bluesige Rock-Song auch auf einer "Denim And Leather" genannten Platte Platz gehabt. Vielleicht ein wenig langsamer als der Rest der damals entstandenen Songs, doch vom Songwriting her wird der Bezug sofort hergestellt. Überhaupt ist der Wiedererkennungswert der vorgetragenen Melodien wieder unheimlich hoch; schon nach dem ersten Durchlauf haben sich Refrains wie "Protect yourselfs, when the darkness comes, protect yourselfs, we're not the only ones ..." sofort eingebrannt und wurden bis jetzt nicht langweilig.
Inhaltliche Bezüge geschichtlicher Natur findet man auch auf diesem Album, wie nicht anders zu erwarten. Zum einen wird dort die altertümliche Noir-Story um den unheimlichen Barbier Sweeney Todd besungen, fetzig und schnell vorgetragen ('Demon Sweeney Todd'), zum anderen entführt uns ein schnellerer Midtempo-Kracher mit ultra-groovendem Mittelpart in das 'Valley Of The Kings'. Diese Songs setzen nahezu nahtlos dort an, wo man mit "Lionheart" und dem namensgebenden Song der Platte vor fünf Jahren das Heimatland verteidigte. Kurz gesagt: Es sind energiegeladene Heavy-Metal-Hymnen mit einer Menge Power und einem guten Gefühl für Melodie und Spannungsbögen. Langweile kommt dabei auf jeden Fall keine auf, jeder weitere Song weiß auf seine Weise zu überzeugen. Abgeschlossen wird das Album durch eine so genannte "Bottleneck Version" des Songs 'Coming Home', welchen der Fan vom 2003er Album "Killing Ground" kennt. Und in der Tat, der Song hat was. Schweinecool mit einer Slide-Gitarre, ohne Schlagzeug, dafür mit minimaler Percussion und einem Biff Byford, der sich voll zu entfalten weiß, gewinnt das Lied an Intensität und Drive, was einen würdigen Abschluss eines tollen Albums darstellt.
Fazit: Wahnsinn. Meine Freude über diese fünf älteren Herren, die es immer noch schaffen, den Putz von den Wänden zu blasen, ist unbändig. Ich liebe diese Band. Das Album macht dort weiter, wo man es von dieser Legende erwartet, irgendwo auf dem eingeschlagenen Sonderweg zwischen astreinem Rock und beinhartem Heavy Metal. Hübsche Ideen, kleinere Exkurse im Songwriting, eine fette Produktion und fünf Musiker, die mit Leib und Seele das spielen, was ihnen Spaß macht, heben "Into The Labyrinth" auf ein verdammt hohes Niveau. Ja, natürlich agiere ich hier mit einer rosa Brille, das dürfte auch der letzte Leser bemerkt haben. Doch der Geist, die Gefühle und die Freiheit, die in dieser Veröffentlichung stecken und gebündelt werden, sind genau eines: von vorne bis hinten einfach geiler, kompromissloser Heavy Metal, der da hintritt, wo es gut tut. Hört es euch an, am besten live!
Anspieltipps: Protect Yourselfs, Hellcat, Battaillons Of Steel, Slow Lane Blues
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Julian Rohrer