SCHATTENMANN - Chaos
Mehr über Schattenmann
- Genre:
- NDH/Gothic
- ∅-Note:
- 4.50
- Label:
- AFM Records
- Release:
- 05.11.2021
- Die Ruhe Vor Dem Sturm
- Chaos
- Abschaum
- Extrem
- Alles Auf Anfang
- Choleriker
- Cosima
- Spring
- Amnestie
- Voodoo
- Alman
- Wir Gehorchen Nicht
- IYFF
- Jetzt Oder Nie
- Komplett Auf Anschlag
Lasset uns den Deckel draufmachen!
Frank Herzig von SCHATTENMANN hat in meinen Ohren eine Stimme aus der ungefähren Schnittmenge der Klangfarben und Singweisen von Wolfgang Petry, Florian Silbereisen und dem alten, böhsen Schlageronkel Stephan Weidner. Wenn er letzterem im Ähnlichkeitsgrad sehr nahekommt, hört er sich dabei überaus angestrengt an.
Apropos "angestrengt" und "Weidner": Die Jungs von SCHATTENMANN haben sich auf ihrem neuen Album "Chaos" offenbar vor allem bei den beiden dem Intro nachfolgenden Songs 'Chaos' und 'Abschaum' mächtig angestrengt, um die einst vom Oberonkel und später von Südtiroler Staßenrockern salontauglich gemachte, multi-interpretierbare Textaussage anzuwenden. Laut Plattenfirmen-Infotext soll in diesen Liedern "Licht und Schatten" der Gesellschaft aufgezeigt werden. Mir erscheint es nach vielfachem Hören eher so, als ob die zugegebenermaßen schmissigen, in Ohr und Bein gehenden Songs beim momentan vorherrschenden Zeitgeist von jedem gut gefunden und mitgegröhlt werden sollen. Vom 08/15-Querdenker, bis hin zum Normalo oder eher linksorientierten Gesellschaftskritiker. Viele Menschen können eben viele Downloads, Tonträger, Shirts und was auch immer von einer Band kaufen.
Mit anderen Worten: Auch wenn weiter hinten auf der Scheibe in 'Alman' etwas mehr Stellung bezogen wird, grenzt sich SCHATTENMANN gleich am Anfang der Platte mit den plakativen, von markigen Schlagwörtern durchzogenen Schimpftiraden in keine Richtung ab. Und das finde ich nicht gut, zumal man dabei Worte wie zum Beispiel "Abschaum" benutzt, und sei es nur zur Provokation. Zumindest distanziert sich die Band in einem "Track by Track"-Video zu den Texten wegen 'Wir gehorchen nicht' deutlich von den Querdenkern. Dabei kommen die Jungs übrigens tatsächlich recht knuffig rüber.
Die sonstigen Texte laben sich mannigfach an Genre-Klischees. Da findet man sich selbst zum Beispiel im Song desselben Titels 'Extrem', weil man unter anderem "laut und niemals leise" ist. Hammer. Der in Feinripp gewandete Deutsche im Ausland ('Alman') darf da genauso wenig fehlen, wie die Gummipuppe in 'Cosima' oder die Hymne zur ultimativen Partynacht namens 'Komplett auf Anschlag'. Ein mittlerweile leider daueraktuelles Thema wird in 'IYFF' unter sehr markanter Zuhilfenahme von Jugendsprache aufgegriffen: Shitstorms und Mobbing im Internet.
Um endlich mal zur Musik zu kommen, möchte ich wieder aus dem Infotext zitieren. "Mit "Chaos" haben wir unseren Sound gezielt um moderne und frischere Elemente erweitert. Wir wollen uns musikalisch nicht einschränken, sondern mischen den neuen Songs auch Metal und Industrial unter." Hä? Schreibt mir gerne im Forum, wenn ich hier was gänzlich falsch verstanden habe, aber strengten sich in den letzten 25 Jahren nicht diverse Bands dieser Musikrichtung an, ein bissel anders und ein wenig eigenständiger als der große NDH-Gott aus den östlichen Gefilden unseres schönen Landes zu klingen?
Und jetzt kommt SCHATTENMANN aus Nürnberg und bietet Metal- und Industrialelemente als neu und frisch wohlfeil? Ich glaube, mein Til pinkelt gleich an die Linde! Das geht in dem Text noch weiter: Herzig erklärt zudem, dass fast alle neuen Songs auf der Gitarre komponiert wurden und dadurch metallischer und härter klängen. Das sind ja mal Neuigkeiten, liebe Leserinnen und Leser! Hier habt ihr es zuerst erfahren: SCHATTENMANN entdeckt im Jahr 2021, warum RAMMSTEIN 1994 auf Erfolgskurs gegangen ist!
Und so knattert das Scheiblein dann mit den beiden genannten Liedern recht ordentlich los. Ja, das was SCHATTENMANN riffmäßig anstellt, ist gar nicht so verkehrt für ihre Musikrichtung, auch wenn sie nur bereits irgendwo Gehörtes und keinesfalls Neues verwenden. Mit der Zeit nervt mich die rhythmische Ausrichtung der Songs schon arg. Obwohl man hörbar um Abwechslung durch Breaks und gewitzten Keyboardeinsatz bemüht ist, klingt dann doch alles etwas gleichförmig und manchmal sogar wie Einheitsbrei. Daran sind das steril hasehoppelnde Schlagzeug mit seinem Plastik-Drumsound, sowie die recht ähnliche Range der meisten Gesangsmelodien, also die Reichweite zwischen den verwendeten Tönen, nicht unschuldig. In Kombination mit den ab der Hälfte des Albums sehr eintönig anmutenden Stakkato-Riffs kann einen das schon ganz schön triggern. Außerdem haben Bandleader und Sänger Frank Herzig, Gitarrist Jan Suk, Bassist Luke Shook und Schlagzeuger Nils Kinzig sich so manches musikalische Fragment bewusst oder unbewusst bei anderen ausgeliehen. So klingt beispielsweise die Melodie von 'Wir gehorchen nicht' sehr nach DIE ÄRZTE (genauer nach Bela) und wurde mit SEEED-Sound-Knowhow arrangiert.
Doch die Schattenmänner haben noch mehr zu bieten. Nämlich Eurovision-verdächtige Singalongs und Keyboardklänge, wie zum Beispiel in 'Jetzt oder Nie', laut Herzig "eine typische SCHATTENMANN-Ballade". Die poppigen Hooklines sind zwar in vielen Liedern gelungen, werden jedoch meist überprodzuziert und für meine Begriffe viel zu clean präsentiert. Tatsächlich so, als ob die Band sie am Samstagabend einem millionenstarken Fernsehpublikum von der gigantomanischen Bühne einer europäischen State-of-the-Art-Mehrzweckhalle aus vorstellen wollen würde.
Und nun komme ich zum Schluss, liebe Gemeinde! Wenn diese klanglichen Erzeugnisse auf "Chaos" von SCHATTENMANN also wirklich die Zukunft der neudeutsch-angehärteten Musik bedeuten sollen, wie ich es in einem anderen Review lesen musste ("NDH 2.0"), faktisch bestehend aus uralten, aber als neuartig angepriesenen Trademarks in nicht allzu neuem Gewand, nicht immer gelungenen Texten, sowie einer zeitweilig seltsam unpassenden musikalischen Atmosphäre: Warum packen wir das gesamte, sich selbst wiederholende, stilistisch scheinbar zu eng begrenzte Genre NDH dann nicht einfach in einen Sarg, nageln den Deckel drauf und wohnen der Wikinger-Bestattung an der Oder bei? Vielleicht stößt zu den Feierlichkeiten dann ja sogar der sechsköpfige Genrebegründer (nebst OOMPH!), danach einziger zu Recht Überlebender, hinzu, zündet den schwimmenden Sarg mittels Flammenwerfer an und tanzt anschließend schweißglänzend halbnackt am Ufer?
Dann hätte sich fürwahr ein Kreis geschlossen.
- Note:
- 4.50
- Redakteur:
- Timo Reiser