SKID ROW - Oh Say Can You Scream?
Mehr über Skid Row
- Genre:
- Sleazerock
- Label:
- WEA
- Release:
- 01.02.1991
- Big Guns (Philadelphia, Pennsylvanien)
- Makin' A Mess (Nagoya, Japan)
- Rattlesnake Shake (Bandprobe, Herbst '88)
- Piece Of Me (Rapid City, Süddakota)
- Sweet Little Sister (Mountain View, Kalifornien)
- I Remember You (Toronto, Kanada)
- Cold Gin (Kawasaki, Japan)
- Here I Am (E. Rutherford, New Jersey)
- Holidays In The Sun (Salt Lake City, Utah)
- Train Kept A-Rollin' (Alpine Valley, Wisconsin)
- Blitzkrieg Bop (Alpine Valley, Wisconsin)
- Youth Gone Wild (Kawasaki, Japan)
- Youth Gone Wild
- Piece Of Me (ungeschnitten)
- 18 & Life (ungeschnitten)
- I Remember You
SKID ROW gelang es schon als junge Band, bereits nach Veröffentlichung ihres ersten Albums ("Skid Row"), welches damals tierisch durch die Decke ging, mit Größen wie BON JOVI und AEROSMITH sowie später auch PANTERA zu touren und eine Japantournee finanziert zu bekommen. Letzteres bedeutet im Hardrockbereich oft eine zweifelhafte Ehre, da im Land der aufgehenden Sonne viele Bands, deren Stern im Westen bereits deutlich im Sinken begriffen ist, noch in tatterndem Zustand kultische Erfolge auf der Bühne feiern können und der Karrierestreich einer Japantournee daher ebenso eine aus der Not geborene Tugend wie ein Zeichen echten musikalischen Erfolges sein kann. Im Falle der Sleaze-Band SKID ROW (ausgehend vom ruppigen Sleaze Rock mit Glam-Attitüde auf dem auch heute noch frisch wirkenden Debüt, gelang der Band die Entwicklung zum sozialkritischen Sleaze Metal des Zweitlings "Slave To The Grind") markierte die Tournee allerdings mitnichten das Ausruhen auf dem Altenteil, sondern im Gegenteil einen furiosen Karrierestart.
Dass das Durchstarten von null auf hundert in kürzester Zeit gerade für junge, naive Bands eine zweischneidige Angelegenheit darstellt, ist eine Binsenweisheit; allzu oft knallen die Sicherungen durch, und auf den himmelhoch jauchzenden Sonnenflug folgt der ernüchternde Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Dass SKID ROW noch grüne Jungs waren, die noch viel zu lernen hatten, als sie die Tour zum ersten Album antraten, lässt sich anhand der VHS-Kassette "Oh Say Can You Scream?" durchaus nachvollziehen, allerdings auch, wie unverbraucht, hungrig und mit jeder Faser begeistert die Band ihre Musik in Richtung Publikum schleuderte. Und auch, wenn es dabei einige Grobheiten, Ausfälligkeiten, Dumme-Jungen-Streiche und Ausraster zu beobachten gibt, die das Gegenteil nahe legen: In den zwei Jahren zwischen den Veröffentlichungen der ersten beiden Alben (1989-1991) hat die Band in kürzester Zeit eine nicht klein zu redende Entwicklung durchlebt. Dennoch gereicht es dem Video "Oh Say Can You Scream?" keineswegs zum Nachteil, bereits so frühzeitig entstanden zu sein: Hier erleben wir eine Band, die, gerade weil sie sich noch nicht die Routine gewiefter Veteranen zugelegt hat, auf der Bühne wirklich ALLES gibt. Das Stage-Acting kommt unverfälscht durch einstudierte Choreografien daher, wild und spontan, teilweise etwas linkisch, dafür aber energetisch ohne Ende; es fällt geradezu auf, dass diese Band bei ihren Gigs keine Energien für den Rest der Tour zurückhält, sondern derart abgeht, als gäbe es kein Morgen mehr.
Nach einem kultigen Introvideo (welches auch den Titel des Bandes motiviert) gibt es, immer wieder von Tourimpressionen durchsetzt, zwölf Songs als Live-Mitschnitte von zehn verschiedenen Orten auf Ohren und Augen.
Besonders eindrücklich neben den Bühnenmomenten ist auch die Musikdarbietung im Proberaum - diesen Cut von 'Rattlesnake Shake' hätte man auch direkt aufs Album packen können, und selbst bei der Probe geben SKID ROW auch physisch alles, ganz so als stünden sie bereits auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Auf der Bühne gibt es dann erst recht kein Halten mehr: Wild fegt Ausnahmesänger und Scream-Talent Sebastian Bach über die Bühne, und die ganze Band rockt wie Sau.
Weniger schöne Momente, etwa den berüchtigten 'bottle incident', hätte beinahe jede andere Band herausgeschnitten oder ganz unter den Teppich zu kehren versucht - nicht so SKID ROW; unschön war hieran nicht nur Sebastian Bachs gewalttätige Reaktion auf eine provozierende Gewalttat aus dem Publikum, sondern auch dass seine Gegengewalt eine Unschuldige traf. Das kommt davon, wenn man Flaschen zurück ins Publikum schmeißt. Ebenfalls dokumentiert ist eine Szene nach der daraufhin von Bach nach einem Sprung ins Publikum gestarteten Prügelei, wo die Cops bereits mit mehreren Wagen im Anmarsch sind und ein noch tüchtig angefressener Sebastian seinen Flüchen freien Lauf lässt.
Auch der unprovozierten Gewalt gegen Sachwerte konnten sich einige Bandmitglieder offenbar nicht enthalten. Desweiteren erfährt man nämlich, wie sich ein Stuhl ganz ohne Kleber oder Haken scheinbar frei schwebend an einer Hotelwand anbringen lässt, und wird Zeuge, wie der Tourmanager den Jungs einen väterlichen Ratschlag mit auf den Weg gibt ("Grow the fuck up!"); ebenfalls, dass schon Jahre vor John Travolta in "Pulp Fiction" U.S.-Amerikaner die Erwerbsmöglichkeiten von alkoholischen Getränken in der Pariser McDonalds-Filiale thematisierten; zu welcher Belustigung überschwängliche Fanbriefe führen können, in denen Bandmitgliedern die Entjungferung der Absenderin angeboten wird; wie begeistert die Japanerinnen im Allgemeinen von Snake Sabo waren, und mit welchem 'Sportsgeist' SKID ROW regelmäßig die Bühne betraten (hier sei an das vor jeder Show stattfindende Arme-über-den-Schultern-im-Kreis-Ritual verwiesen, bei dem das aggressive Mantra "Fuck 'em up! Fuck 'em up!" für eine selbstbewusste Grundhaltung sorgte und offenbar Sebastians Hemmschwelle, tatsächlich brachial zu handeln, nicht gerade in die Höhe trieb).
Alles in allem ergibt sich das ambivalente Bild einer jungen Band, die viel zu früh, aber schon irgendwie verdient, viel zu viel Erfolg auf einmal hat und diesen Höhenflug selbst noch nicht richtig fassen kann; ein leichter Hang zum Größenwahn im Verhalten deutet sich zwar an, doch eigentlich sind sie noch immer Jugendliche auf Klassenfahrt - eben bloß in etwas anderen Größenordnungen. Wozu sie wirklich fähig waren, kündigt sich in der schier wahnsinnigen Energie der Jungs aus New Jersey jedoch schon an, vor allem aber auch in der grandiosen, gänsehautauslösenden Darbietung ihres großen Hits 'I Remember You' (ein Highlight der vorliegenden VHS). Die Reifeprüfung würden sie jedoch erst mit ihrem deutlich härteren sowie reflektierteren Album "Slave To The Grind" circa ein Jahr später ablegen. Doch auch hier zeigte sich die Band bereits mit dem offiziellen Fanclub 'Scum Of The Earth' von ihrer drahtigsten Seite. Gerade, dass diese hektische, übereuphorisierte, hormongetränkte, verrückte, ungeschliffene, ungehobelte Dimension der Band eher lässig abgefilmt und bisweilen auch roh geschnitten zu Tage tritt, lässt die Aufnahmen nicht nur authentisch erscheinen, sondern macht sie tatsächlich zu etwas Besonderen im sonst – auch damals schon – durchgestylten Rockzirkus.
Da SKID ROWs eigener Songkatalog zum Aufnahmezeitpunkt noch in den Kinderschuhen steckte, wurden auf den Konzerten in Japan und den USA auch einige Coverversionen zum Besten gegeben, die mit 'Cold Gin', 'Holidays In The Sun', 'Train Kept A Rollin', und 'Blitzkrieg Bop' ebenfalls Teil dieser herrlich rauhbeinig daherkommenden Dokumentation geworden sind. Als Gimmick im Anhang zu den Live-Aufnahmen bietet das Teil zudem noch vier Videoclips (wahre Haarspray-Orgien) zu den größten Hits des Debütalbums "Skid Row".
Die Soundqualität ist freilich nicht immer die beste (über weite Strecken ungeschminkte Live-Aufnahmen gefiltert durch die Limitationen der damaligen VHS-Technologie), aber das gehört nun mal dazu. Als Zeitdokument der druckvollen Frühphase von SKID ROW gehört "Oh Say Can You Scream?" einfach in jeden Fanschrank – in die Schränke von Fans der Band sowieso, aber auch in die von Fans des energischen Glam-, Sleaze- und Hardrocks; denn eine derart energetische Band solchen Kalibers wird man sonst allenfalls mit Mühe finden.
Für Sammler mit höherem technischen Anspruch wurde "Oh Say Can You Scream?" alternativ zur VHS übrigens auch als Laserdisc herausgegeben. Eine DVD-Veröffentlichung steht leider noch aus.
- Redakteur:
- Eike Schmitz