SLIPKNOT - 9.0: live
Mehr über Slipknot
- Genre:
- Nu Metal
- Label:
- Roadrunner / Universal
- Release:
- 28.10.2005
- The Blister Exists
- (Sic)
- Disasterpiece
- Before I Forget
- Left Behind
- Liberate
- Vermilion
- Pulse Of The Maggots
- Purity
- Eyeless
- Drum Solo
- Eeyore
- Three Nil
- The Nameless
- Skin Ticket
- Everything Ends
- The Heretic Anthem
- Iowa
- Duality
- Spit It Out
- People = S#!t
- Get This
- Wait And Bleed
- Surfacing
Eigentlich kann man immer noch im T-Shirt draußen rumspringen, insofern die Sonne scheint. Rein marketingtechnisch ist allerdings schon tiefster Winter. Während wir einen goldenen Herbst genießen und dem Festival-Sommer nachtrauern, läuft hinter den Kulissen ein alljährliches Marketing-Bollwerk auf uns zu. Die Eisspitzen davon sind Live-Alben und Best-of-Scheiben, selbst von Bands, die nicht mal ansatzweise die Klasse dazu haben. Und weil das, wie schon erwähnt, immer und jedes Jahr so ist, wäre es sinnlos an diesen Sell-Out noch länger einen Satz zu verschwenden. Stattdessen lautet die Devise: "Hinnehmen und das Beste daraus machen!".
Unter diesem Aspekt wird die neue Scheibe von SLIPKNOT zwar keinen Deut relevanter, jedoch lässt sie sich um einiges objektiver betrachten. Und sehen wir es doch mal so: Eine der brachialsten Live-Bands (O-Ton 90 % aller, die je ein Konzert des Neuners gesehen haben) bringt verhältnismäßig spät ihr erstes Live-Album auf den Markt, wieso sollte man sich dagegen mit Händen und Füßen wehren?
Um die Frage zu beantworten, ob "9.0: live" nun ein gutes Album ist, sollte man die typischen Kriterien für ein Live-Album heranziehen.
"Ladies and Gentlemen, due to unforeseen circumstances SLIPKNOT will not be performing this evening…" Ich glaube, cooler kann man keine Live-CD einleiten! Die große Schnauze dieser Band ist beeindruckend, denn bei all der Gewalt, mit der die Verrückten aus Iowa jedes Publikum in Schutt und Asche knüppeln können, ist es grade für sie sehr zwiespältig und großklappig einen solchen Satz an den Beginn einer Live-CD zu setzen. Was für den CD-Hörer nach wenigen Sekunden vergessen ist, wenn 'The Blister Exists' im Doublebass-Fieber über das Trommelfell fegt, war nämlich in irgendeiner Stadt die trockenste und schmerzhafte Gewissheit, dass der geilste Abend des Jahres von einer Sekunde auf die andere im Arsch war. Und ich möchte wetten, das jeder zweite SLIPKNOT-Fan in Deutschland schon von einem Konzert berichten kann, wofür er schon die Karte hatte, oder im Overall auf einem Festival stand und seine Lieblingsband letztlich nicht sehen konnte, weil die Herren SLIPKNOT es aus "unvorhersehbaren Umständen" nicht für nötig hielten aufzutreten. Man kann dazu jedenfalls eine zwiespältige Meinung haben.
Um es kurz zu fassen: "9.0: live" ist ein Live-Album der Spitzenklasse, was mit einigen einfachen, schlichten Fakten zu beweisen ist. Zum Ersten verfolgen SLIPKNOT noch immer eine "höher, schneller, krasser, härter"-Strategie. Da ist es kaum verwunderlich, dass man sich für das Live-Monster auf ein Doppelalbum geeinigt hat. Insgesamt 24 Lieder prügeln einem also die Gedärme aus dem Wanst. Quantitativ ist das Werk somit kaum zu schlagen.
Dies wiederum ebnet den Weg zum zweiten Lob. Vierundzwanzig freie Plätze stellen genug Raum, um möglichst viele Wünsche der Fans zu erfüllen. Dabei geht man natürlich das Risiko einer Art "Überdosis" ein, speziell bei einer so aggressiven Musik, wie sie SLIPKNOT zelebriert. Doch auch hier kann man nur Entwarnung geben. Dieses Album kommt nicht nur goldrichtig für die Plattenindustrie vor der Weihnachtszeit, sondern auch perfekt platziert in der Diskographie der Band. Es erlaubt ihnen unzählige Querschnitte aus drei Zeitaltern der Band zu berücksichtigen und eignet sich somit nicht nur für Maggots, sondern auch für die, welche nicht allzu involviert in die Geschichte von SLIPKNOT sind.
Möglich ist das natürlich (leider) nur, wenn man sich quasi zu einem Best-of-Live-Album entschließt. Es ist schon seit einigen Jahren in, sich in solchen Angelegenheiten nicht mehr auf ein Konzert festzulegen, sondern aus der Not eine Tugend zu machen und ein fiktives Konzert aus der Retorte zu schaffen. Statt dem angepriesenen Konzerterlebnis der Superlative, nach dem zugegebenermaßen auch die Setlist schreit, kriegen wir Häppchen vorgeworfen, die uns weiß machen sollen, dass dies ein einziger riesiger Kuchen ist.
Und so schreit Corey mal in Phoenix, Las Vegas, Dallas oder sonst wo. Dass man das Album mit diesem Baustein-System in eine sterile Ecke drückt scheint vorprogrammiert, da man versucht, die jeweiligen Stimmungen der Konzerte durch nur einen Song gestückelt zu vermitteln. Doch egal wie gut man die Lieder aneinander setzt und wie gut man die Musik aufeinander abmischt, der Hörer wird niemals eine Chronologie in der Setlist spüren. Aber wie schon gesagt, um zumindest einen Großteil der zahllosen Hits der Band in ein Gehege zu pferchen, musste man so vorgehen.
Doch genug des Negativen, denn immerhin schneiden SLIPKNOT mit dieser Variante noch weit besser ab, als ein gewisser MARILYN MANSON, der damit gleich zweimal scheiterte, als er akustisch "The Last Tour On Earth" und visuell "Guns, God And Goverment World Tour" auf den Markt warf. Das liegt vor allem an dem mittlerweile sehr charismatischen Frontmann Corey Taylor. Noch vor vier Jahren lag sein Wortschatz bei Liedansagen unter der Quote von Konrad Adenauer und jeder zweite Satz war eine peinliche Lüge wie "You are the fucking best crowd we ever had!". Nunmehr schafft er es mit den Ansagen dieser Konzerte dem Hörer ein ums andere Mal einen Schauer über den Rücken zu jagen. Sei es, wenn er vor 'Spit It Out', den zähen Kritikern die Platin bis Dreifach-Platin-Platten vorhält, vor 'The Heretic Anthem' gegen die Musikindustrie im Allgemeinen schießt oder an unzähligen anderen Stellen an die Anfangszeiten der Band erinnert.
Ein weiteres goldenes Händchen bewies man in der Setlist. Sicherlich kann die Band aus dem Vollen schöpfen und hatte eine ganze Stange an "Must-be"-Songs zu bewältigen, aber bei den verbleibenden freien Plätzen zeigte man sich kreativ. Dem Bootleg-Markt zum Trotz finden sich auf dieser Scheibe nämlich als "nicht-Single-taugliche" Lieder entweder neuere Stücke bzw. Lieder, die vor der letzten Tour nie live gespielt wurden, allen voran 'Skin Ticket' und das brachial-geniale 'Everything Ends', die selbst dem Die-Hard-Fan das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.
Etwas unglücklich kommen dafür 'Vermillion' und Joeys 'Drum Solo' daher. Ersteres, da jeder, der SLIPKNOT dieses Jahr live sah dieses Lied ohne den visuellen Effekt der Latex-Masken eventuell als etwas langweilig empfindet und gleichermaßen ist das 'Drum Solo' ohne vertikale Drehungen des Drumsets nicht mal halb so spektakulär.
Positiv dagegen ist es, selbst nach so langer Zeit des Erfolgs noch an den Wurzeln festzuhalten und immer noch 'Purity' live zu performen und dies auch auf der CD einfließen zu lassen.
Alles in allem kann man Fronttier Corey Taylor vereinzelt auftretende gesangliche Schwächen verzeihen. "9.0: live" ist und bleibt (nur) ein Live-Album, also ein Bonus mit vergleichsweise wenig bandbiographischer Relevanz. Angesichts der astreinen Songauswahl und der schier unglaublichen Live-Präsenz der Band, selbst wenn diese nur aus der Dose fetzt, mag man das allerdings gerne mal vergessen. Trotz aller Bemühungen, fetzt der Sound, speziell die Doublebass von Jordison, lediglich beim Opener 'The Blister Exists' optimal. Insgesamt kann man die Abmischung der verschiedenen Ort jedoch als ordentlich bezeichnen. SLIPKNOT setzen sich selbst ein weiteres Denkmal.
Anspieltipps: The Blister Exists, Everything Ends, einfach alles
- Redakteur:
- Michael Langlotz