SLIPKNOT - Vol. 3 (The Subliminal Verses)
Mehr über Slipknot
- Genre:
- Nu Metal
- Label:
- Roadrunner (Universal)
- Release:
- 24.05.2004
- Prelude 3.0
- The Blister Exists
- Three Nil
- Duality
- Opium Of The People
- Circle
- Welcome
- Vermillion
- Pulse Of The Maggots
- Before I Forget
- Vermillion Pt. 2
- The Nameless
- The Virus Of Life
- Danger - Keep Away
Wie jagt man einer Plattenfirma Angst ein?
Ganz einfach: Man wirft ein millionenschweres Erfolgsrezept über den Haufen und bastelt einfach etwas zusammen, auf das man gerade Bock hat.
Das ist in etwa so, als würde LINKIN PARK auf ihrem nächsten Album zu japanischer Taiko-Musik über das Leben eines Straßenbahnführers in Neu-Delhi singen.
Die Plattenfirma würde sich natürlich binnen Sekunden eine neue Marketingstrategie ausdenken, um die Jungs dann als nachdenklich und weltoffen zu zelebrieren, was aber nichts daran änderte, dass hunderttausende von enttäuschten Fans sich schluchzend in die Arme von EVANESCENCE und P.O.D. stürzten.
SLIPKNOT sind frei von diesem Konkurrenzdruck, als quasi einzige Band, die den perfekten Spagat zwischen Thrash, Industrial und Crossover geschafft hat, dazu ein nahtloses Psychoimage aufbaute und von einer treudoofen Fanschar umgeben ist, von der andere Bands nur träumen können.
Das Resultat dieser speziellen Freiheit ist "Vol. 3 – The Subliminal Verses", das vierte Album der neunköpfigen Chaotentruppe aus Demoines, Iowa, U.S. of A.
Nach zwei Jahren, die Presse und Fanschar eher den Eindruck vermittelten, dass es gar kein neues Album geben würde, präsentiert sich der maskierte Haufen quasi generalüberholt. Alle Streitereien sind beigelegt, Gerüchte und Anklagen der Gesellschaft gegen die Band in den Staub getreten und ein Album in petto, mit dem wohl niemand gerechnet hat.
Das, was man vorher zu hören bekam, nämlich 'Duality' und 'Pulse Of The Maggots', ließ ja vorher schon erahnen, dass man mit dem organisierten Krach, dem perfiden Krawall in Metalform Schluss gemacht hatte und etwas sachter und melodischer zur Sache ging. "Etwas sachter" heißt im Falle SLIPKNOT auf gar keinen Fall "wirklich sachte", nur etwas weniger hart.
Als dann ein paar Wochen später die komplette Scheibe in den Regalen steht, fällt es einem wie Schuppen von den Ohren: Die Singles waren eine pure Panikaktion der Plattenfirma.
Denn "Vol. 3 – The Subliminal Verses" hat quasi gar nichts mehr mit den Freaks gemeinsam, die sich gegenseitig auf der Bühne verprügelten, den Bandmacho raushängen ließen oder "All Your Kids Are Belong To Us" skandierten.
Tatsächlich wagen SLIPKNOT auf ihrem neuen Album eine komplette musikalische Neuorientierung. Wo die beiden Singles als Puffer vorgeschickt wurden, um den musikalischen Kulturschock bei den "Maggots" nicht zu heftig ausfallen zu lassen, wird das restliche Material für endlose Verwirrung sorgen.
Wo früher Parts mit Blastsbeats und schroffen Gitarrenriffs, die schon fast als Bassklampfen durchgingen, donnernde Percussion und Corey's krankes Geschrei das Trommelfell verwüsteten, wird einem hier eine raffinierte Mischung aus satten Riffs (die ausnahmsweise mal sauber klingen), passenden Breaks, einer verspielten Percussion und einem singenden Corey serviert. Und das Ganze ohne den durchgehenden Druck und die Aggressivität der letzten Alben. Wer die "Mate Feed Kill Repeat" kennt, wird hier sofort wiedererkennen, wohin die Reise geht: an die Wurzeln der Musik.
Die "Vol. 3 – The Subliminal Verses" verzichtet beinahe gänzlich auf die Effekthascherei und den Pressluftmetal der vergangenen Alben und bietet hier ein SLIPKNOT-Erlebnis der anderen Art. Fans der kompromisslosen Härte von "Slipknot" und "Iowa" werden sich an dieser Scheibe die Zähne ausbeißen.
Schon 'Prelude' stellt unmissverständlich klar, worum es auf dieser Scheibe geht: die musikalischen Selbstverwirklichung, das kompromisslose Ausloten jener musikalischen Tiefen, aus denen vertonte Gefühle stammen, die jeden Rockfan bewegen.
Zwischen psychedelischem Gitarrenspiel und dem nachdenklichen Gesang wird der Eindruck eines abgedrehten Countrysongs erweckt. Der zweite Song 'The Blister Exists' erinnert dann noch einmal kurz an die harten Bandagen, die SLIPKNOT die letzten vier Jahre aufgezogen hatten, um andererseits zu zeigen: Die Produktion ist um vieles weniger fett ausgefallen. Der Sound klingt viel natürlicher und echter, weniger elektronisch, was die ganze Scheibe noch authentischer wirken lässt.
Ab 'Circle' taucht der Hörer dann in eine völlig andere Welt ein. Der Song stellt eine emotionale Reise durch die Traumwelt der Clowns dar. Mit klarem Gesang und einer ruhigen, aber spannungsgeladenen Hintergrundmusik glaubt man erst, dass ein STONE SOUR-Song sich auf das Album verirrt hat. Als das Ganze dann die Spannung in einem fantastischen Verwirrspiel zwischen Craig's Effektboard, Sid's Turntable und der Trommelfraktion entlädt, ist die Überraschung perfekt.
Der nächste Hammer wird einem mit 'Vermillion' präsentiert. Dieser geniale Bastard zwischen Ballade (ja, Ballade, und ich meine Ballade, wie man Ballade nur meinen kann!!!) und vertracktem Rocksong ist dermaßen mit musikalischer Raffinesse (eine Gratwanderung zwischen instrumentalem Chaos und mitreißender Melodie)vollgestopft, dass einem die Spucke wegbleibt, was sich ziemlich fatal auswirkt, wenn sich im Schlusspart in der Bauchgegend ein Eisblock bildet.
'Vermillion Pt. 2' stellt das Ganze nochmal in akustischer Form dar, reißt aber nicht annähernd das Maß an Gefühl ein wie der erste Teil. Auf den letzten drei Songs toben die Neun dann noch ihre verbliebenen Ideen an musikalischen Variationen aus, und zollen noch einmal kurz ihrer zweiten Platte mit ihrer Mülltonnenpercussion Tribut, bevor sie sich wieder völlig in der wirren Welt zwischen 70er-Synthiesounds, komplexen Gitarrenstrukturen und den tausend Gesichtern der Rhythmik verlieren.
Dass die Scheibe verdammt gewöhnungsbedürftig ist, merkt man selbst nach dem zwanzigsten Mal Anhören: Immer wieder tauschen neue Facetten im Sound auf, die man vorher nicht gehört bzw. begriffen hatte und die diesen Exkurs in Sachen musikalischer Selbstverwirklichung immer wieder neu erscheinen lassen. An sich ist die Scheibe eigentlich eine chaotische Selbstdarstellung ALLER Musiker in der Band. Man kann wirklich jeden Einzelnen raushören, was bei den Vorgängeralben so gut wie unmöglich war. Dass man diese normalerweise unlösbare Aufgabe in eine derart krasse Musik verpackt hat, bleibt dem Produzenten Rick Rubin zu danken, der auch dafür verantwortlich ist, dass SLIPKNOT erstmals als klare Rockband erscheinen und nicht als elektronisch gepushter Dampfhammer, wie sein Vorgänger Ross Robinson die Bands zu produzieren pflegte.
Die erste Band, die mir zum Vergleich einfiele, würde sich zunächst nicht einmal im Entferntesten mit SLIPKNOT vereinbaren lassen, aber dieser bunte Bastard, der es geschafft hat, alle möglichen Einflüsse und Eindrücke der Band darzustellen, hätte genauso gut von OPETH stammen können.
"Vol. 3 – The Subliminal Verses" ist ein absoluter Geniestreich, den wahrscheinlich NIEMAND dieser Band zugetraut hätte, und der wahrscheinlich genau deswegen zustande gekommen ist.
Obwohl mir die Knüppelarien der beiden Vorgängeralben besser gefallen, halte ich die ruhigen Songs für die besten auf der Scheibe, und bin ich zutiefst beeindruckt von diesem Werk, das hoffentlich nicht wenige andere populäre Bands zu mehr Mut und Freiheit inspiriert, auch wenn SLIPKNOT mit dieser Scheibe nicht wenige Fans unglücklich machen werden.
This is rock 'n' roll!
Anspieltipps: Prelude, Circle, Vermillion, The Nameless, The Virus Of Life, Danger – Keep Away
- Redakteur:
- Michael Kulueke