SLIPKNOT - Vol. 3 (The Subliminal Verses)
Mehr über Slipknot
- Genre:
- Nu Metal
- Label:
- Roadrunner (Universal)
- Release:
- 24.05.2004
- Prelude 3.0
- The Blister Exists
- Three Nil
- Duality
- Opium Of The People
- Circle
- Welcome
- Vermillion
- Pulse Of The Maggots
- Before I Forget
- Vermillion Pt. 2
- The Nameless
- The Virus Of Life
- Danger - Keep Away
Es gibt wohl kaum ein Album, bei dem es so leicht fallen sollte, ein Review zu schreiben. Denn welche Meinung auch immer vertreten wird, man könnte Romane darüber schreiben.
Wie ein Tornado hatte ihr selbstgetiteltes Debüt 1999 aus der Provinz von Iowa über diesen Planeten gefegt. Man erschuf einen eigenen Stil. Wahrscheinlich sogar mehr äußerlich als musikalisch. Aber man war in allem, was man tat, in höchstem Maße konsequent. Auch im zweiten Machwerk ließ man davon nicht ab. Doch verrannte man sich in unoriginellem Geknüppel statt kreativ zu wirken. SLIPKNOT spielte nur noch, um in irgendeiner Form den Medien die blutende Stirn zu bieten. Das Album 'Iowa' aber blieb taktlos und lange Zeit sollten SLIPKNOT nicht nur musikalisch sondern auch öffentlich taktlos bleiben. Nicht durch die Aussagen eines Corey Taylor, der all seinen aufgestauten Frust über den internen Bereich der Band Luft machte, sondern aufgrund des Verhaltens danach. Denn plötzlich verstehen sich alle wieder prächtig und das ist auch so schön vereinbar mit dem Roadrunner-Vertrag. Hach, wie das alles immer so gut passt. Aber man kann das Ganze auch von einer weniger abwertenden Seite sehen. Man kann davon ausgehen, dass es SLIPKNOT bisher gut verstanden, ihren Unmut über die Welt auszudrücken, aber in der eigenen Familie nie die Möglichkeit hatten aufzuräumen. Taktlos war auch die große Fresse, mit der das neue Album promotet wurde. Doch nach dem Release konnte man das nicht mehr geltend machen. Zu viel steckt hinter der großen Schnauze …
Ich weiß noch wie es war, das Debüt-Album zum ersten Mal zu hören. Und wie sehr mich doch damals der erste Eindruck getäuscht hatte. Aber innerhalb kürzester Zeit erkannte ich doch, welch ein Metal-Juwel ich hörte. Beim zweiten Album war es der erste schlechte Eindruck, der blieb. Wohlwollend konnte man "Iowa" durchwachsen oder mittelmäßig nennen. Aber bei einer Band, für die es nun mal nur ganz oder gar nicht gibt, sollte man dann doch lieber zum gar nicht tendieren. Und so erstickt die "Iowa" unter dem Krachbolzen - 'Disasterpieces' eben. Damals war ich sehr neutral, wenn nicht sogar mit Vorfreude an das Album herangegangen. Und dieses Mal? Die Großmäuligkeit der Bandmitglieder noch im Ohr, und die zweifelhaften ersten Lieder, die vom neuen Album durchsickerten, konnten kaum überzeugen. Hoffnung machte lediglich der Gedanke, dass ein Corey Taylor zweifellos an seiner Band STONE SOUR gereift war, und sicherlich etwas Gefühl in das Album spritzen würde. Dass die ersten Bilder in der Presse mal wieder die mehr oder minder abgeänderte Masken zeigten, machte nicht gerade den besten Eindruck. Irgendwann fielen alle Masken, selbst bei KISS. Dass man diese Sache fortsetzt, zeugt von Stagnation. Und Stillstand ist Rückschritt. Doch glücklicherweise bezieht sich das in diesem Fall nicht auf die Musik. Und das ist es doch letztlich, worauf es ankommt.
Wie ein Donnerschlag erklingt der erste Ton der "Vol. 3". Was sich danach hymnenhaft als 'Intro' präsentiert, ist mehr Gefühl und Innovation als der gesamte Zweitling. 'Now it’s over' seuselt Corey, aber von wegen! Die Bezeichnung "Intro" ist viel zu gering für ein Lied, das mit seiner schlichten Präsenz schon weit mutiger die Grenzen von SLIPKNOT in völlig neue Richtungen auslotet, als Maggots es je für möglich gehalten hätten! Doch was man da hört, ist erst der Anfang. Das Eintauchen in ein Album, das so mächtig und tief ist, sowohl lyrisch als auch musikalisch, dass es an das legendäre Debüt-Album des Neuners heranreicht! Gefesselt von Texten voller Windungen, Schlingen und Widerhaken wird man in musikalische Abgründe geführt, die aus Facettenreichtum einen Irrgarten zu bauen scheinen. Hat sich Corey erst mal ausgeschrieen, folgt der nächste Eisberg, an dem jeder mies gelaunte Kritiker scheitern sollte. 'The Blister Exists' – und ob er das tut! Sich unaufhaltsam aufbauend wie ein Schneesturm, dazu schreddert Micks unverwechselbares Gitarrenspiel wie die Kettensäge von Leatherface, folgt letztlich ein Befreiungsschlag von Corey: "One, two, three!", schmettert es dem Hörer entgegen und fasst möchte man ein 'Want to be free!” heraushören. Dann prügelt endlich wieder ein richtig guter SLIPKNOT-Song durch den Kopf, denn das Fegefeuer aus neuen Ideen geht unvermindert weiter. Nicht nur, dass es der melodischste Song seit den beiden Einzelstücken 'Wait & Bleed' und 'Left Behind' ist, nein, auch die genialen Marschtrommeln zum Ende hin erheben dieses Lied in Höhen der Unverwechselbarkeit. 'Three Nil' steht da kaum in etwas nach. Das Album verliert sich nicht in unnötiger Härte, sondern achtet stattdessen auf permanente Geschwindigkeit. Mit 'Duality' serviert man den wohl legitimsten Nachfolger von 'Wait & Bleed'. Und ja, zugegeben, dieses Lied ist eigentlich schon etwas zu weich, um als hartes Lied von SLIPKNOT durchzugehen. Dennoch hat man nichts falsch gemacht mit einer hypnotischen Melodie und einem Refrain, der zum Mitsingen zwingt. Das fette Gitarrenriff macht süchtig und der Baseball-Schläger-Anschlag von Shawn - oder "Clown", wie er sich im Booklet nur noch nennt - ist das coolste überhaupt. Spätestens hier steht fest: SLIPKNOT haben ihren Thron wieder bestiegen. Womöglich haben sie ihn nie verlassen, aber nun haben sie ihn entstaubt. Und sie tun das, indem sie den alten zermalmen und sich ein neues Denkmal setzen. Statt mit brüllender Wut zuzuschlagen, überzeugen sie mit simpler Qualität. Und auch bei 'Opium For The People' sucht man vergeblich nach Schwächen. Kraftvoll treibt Corey mit seinen Vocals die Geschwindigkeit des Songs an und Joey sorgt mit rotierenden Doublebass-Attacken für die nötige Härte. Alles klingt unverwechselbar nach SLIPKNOT und doch erfrischend neu. Und wen es bis dahin nicht vom Stuhl gefegt hat, der fällt spätestens bei 'Circle'. Man traut seinen Ohren kaum, wenn sich in Sids Mixereien plötzlich die Akustikgitarre durchsetzt, und nicht nur eine Ballade auf den verdutzten Hörer niedergeht, sondern auch noch eine verdammt gute. Nun könnte man daherkommen und behaupten, dieses Lied klinge einfach nur wie STONE SOUR. Aber das wäre unfair. Denn auch wenn Mr. Taylor seine sensible Seite zum ersten Mal in seinem sehr erfolgreichen Nebenprojekt offenbarte, so sollte man sie nun auch SLIPKNOT einverleiben. Deshalb klingt SLIPKNOT 2004 unglaublich sensibel und hart zugleich. Vor allem aber gut! Die neue Verletzlichkeit macht nicht nur sympathisch, sondern auch glaubwürdiger. Wenn man 'Circle' das erste Mal hört, möchte man Sid für die irren Beats am Ende des Songs zwar zunächst killen, doch irgendwie passt das ins Konzept der Band. Man sollte eben dankbar sein, dass diese Bande aus Geisteskranken überhaupt einen solchen Song auf ihr Album gelassen hat. Dass sie ihn zum Ende hin "zerkratzen", ist okay, gibt diesem den angenehm unsauberen Ausklang, und unterstreicht den Ruf der Band. Dennoch tut es gut, dass man daran gleich den härtesten Song des Albums knüpft. 'Welcome' ist ein Monster aus brachialen Anfällen und schnellem Sprechgesang, begleitet von wütenden Schlagzeugeinlagen. Bewusst wird auf einen eingängigen Refrain verzichtet und fokussiertes, kontrolliertes Chaos geschürt. Doch noch ehe sich die Made an die vertrauten Klänge gewöhnen kann setzen SLIPKNOT mit 'Vermillion' einen Song ein, der in Gangart und Tempo absolut untypisch ist. Obwohl man ihn getrost als Neuland bezeichnen kann, besticht er dennoch durch Qualität. Mystische Klänge und dunkle Atmosphäre dominieren statt direkter Gewalt. Gewöhnungsbedürftig, aber gut.
Mit Sirenen kündigt sich die erste "Schwachstelle" des Albums an. Trotz des verheißungsvollen Intros kann 'Pulse Of The Maggot' nicht überzeugen. Wohlgemerkt auf diesem Album. Keine Experimente, aber auch keine Innovation. Lediglich Härte und das alte "Ihr kriegt uns nicht tot"-Thema. Wohl mit 'Welcome' der "Iowa"-ähnlichste Song des Albums. Tut aber niemandem weh, denn der Höhenflug setzt sich mit dem absolut genialen 'Before I Forget' unvermindert fort. Mit einem überheblich eingängigen Refrain überzeugt der Track auf der ganzen Linie. Langsam wird deutlich, wie clever SLIPKNOT ihre neuen Monster angeordnet haben. Wie sie den Hörer vom Eisbaden in die Wüste jagen und zurück. Das bestätigt auch 'Vermillion Pt. II'. Teil zwei? - Da war doch was. Und während der Hörer nunmehr ein zweites Mal seinen Ohren nicht trauen will, wenn Corey eine Engelsstimme auf die Akustik-Gitarre legt, wird ein längst gelaufener Track ungemein aufgewertet. Denn hört man nun noch einmal den ersten Teil von 'Vermillion' so steht man Zwillingen gegenüber, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Und man bekommt das Gefühl, dass SLIPKNOT alles können. Man stelle sich nur mal ein 'Welcome Pt. II' vor …
Der Mix aus dem Krach-Gefühl-Wechselbad 'Nameless' will nicht auf Anhieb zünden. Das gab’s von SYSTEM OF A DOWN und (erschlagt mich) METALLICA jüngst schon weitaus besser. Glaubt man zunächst, aber hat man den Song erst mal als eigenständigen Track und nicht als Abklatsch akzeptiert, dann geht er doch recht gut ins Ohr. Wenn gegen Ende der klare Gesang und die harten Instrumentals fusionieren, hat auch dieses Lied seinen Beitrag geleistet und den Hörer in seinen Bann gezogen. Da ist es schon relativ unerheblich, was der Rest des Albums noch zu bieten hat. Dennoch recht schön, dass man selbst auf der Zielgeraden mit meilenweitem Vorsprung nicht aufhört zu rennen. Dass man es allerdings nicht eilig hat, das Album zu schließen, zeigt 'Virus Of Life'. In verzerrter Stimme vegetiert Corey eine innerliche Zerrissenheit, die im Einklang mit Text und verstörendem Drumming steht. Sicherlich sehr versöhnlich für alle Fans, die noch heute ins Steckbriefheftchen 'Sciccors' als Lieblingslied schreiben. Aber 'Wait! Not yet!', wer will sich schon versöhnen? Deshalb findet man als allerallerletzen Track 'Danger - Keep Away', einen Faustschlag mit dem Plüschhandschuh oder einen Flügel aus dem Fenster vom Dritten Stock direkt auf den Kopf, denn von Piano begleitet sinniert Corey: 'We two feel alone'. Ob er damit wohl sich und die Fans meint, die das alte und das neue Material von SLIPKNOT mögen? Ganz sicher gab es große Veränderungen in den Fanscharen dieser Band nach diesem Album. Aber was soll’s, jeder wird mal erwachsen. Und wenn es diese Band schon nicht äußerlich wird, dann doch wenigstens in ihrer Musik.
Fazit: Absolut lobenswert. SLIPKNOT sind zurück. Vielleicht nicht so, wie sie einige gern gesehen hätten. Aber sie hätten kaum ein besseres Album veröffentlichen können. Einige Kanten sind etwas zu glatt geraten und sicherlich wird die Eingängigkeit etwas an der Wirkungsdauer des Albums nagen, aber dennoch hat man lyrisch und musikalisch Großes geleistet. Wenn die Band so lange braucht, um ein gutes Album auf den Markt zu werfen, sollte man ihnen um Himmels Willen immer diese Zeit einräumen. Die beiden Akustik-Tracks, ich tendiere sogar zu vier, wenn man das Intro und Outro noch mitzählt, machen das Album eigentlich nicht weicher, weil man sie losgelöst von den härteren Liedern betrachten kann. Was wirklich Einfluss auf den Härtegrad hat, sind Lieder wie 'Before I Forget', die es mit der Melodie vielleicht ein klein wenig übertreiben. Ansonsten tut es furchtbar gut, mal wieder ein Album zu haben, das die 60-Minuten-Grenze knackt. Was auch der Tatsache zu verdanken ist, dass man bei 14 ausgewiesenen Liedern auch eben diese Anzahl genießen kann, ohne dass sich hinter ihnen Zeitschinder-Spielereien oder Stumpfsinn-Intros verbergen. SLIPKNOT 2004 ist jeden Pfennig wert, und präsentieren sich bodenständiger denn je. Die neue Messlatte ist gesetzt. Wer kommt drüber?
Anspieltipps: The Blister Exists, Duality, Circle, Before I Forget, The Virus Of Life
- Redakteur:
- Michael Langlotz