TEXTURES - Polars
Mehr über Textures
- Genre:
- Progressive Death Metal
- Label:
- Eigenproduktion
- Swandive
- Ostensibly Impregnable
- Young Man
- Transgression
- The Barrier
- Effluent
- Polars
- Heave
Hey Baby, Lust auf was abgefahrenes? Was innovatives? Was krankes, mit Herz, viel Kopf und Seele? Mit Krach und Melodie? Und ganz ohne Schokolade.
Die Wirkung der von TEXTURES abgefeuerten musikalischen Breitseite lässt sich am besten mit der einer amerikanischen Brand- oder Splitterbombe vergleichen: Verboten, geächtet, verheerend und in einem perversen Sinne beeindruckend. Political correct ausgedrückt könnte man auch einfach nur sagen, dass das Sextett aus dem Nachbarland (ihr wisst schon: Tulpen, Käse, keine WM) nicht nur unerhört unkonventionell, sondern vor allem auch mächtigst brutal aus den Boxen rauscht.
Wenn sich neben wirre Takte, polyrhythmische Gefüge und eine unverschämte Stilvielfalt auch noch eine Mischung aus krankem Kreischgesang und äußerst gefühlvollen Clean Vocals gesellt, dann sollte an sich jedem klar sein, dass diese Truppe, meine Damen und Herren, weder nullacht noch fuffzehn ist.
Zunächst ist klar, was hier vorherrscht: Chaos. Geht auch gar nicht anders. Wer glaubt, dass man alleine schon bei den o.g. Zutaten etwas wenigstens halbwegs Strukturiertes hinbekommt, der sollte am besten gar nicht weiterlesen. Krasse Stimmungswechsel - von jenen in den Taktbereichen mal ganz zu schweigen - sind dabei noch das geringste Problem. TEXTURES scheinen sich jedoch vorgenommen haben, so ziemlich alle erdenklichen Klangspektren abdecken zu wollen: So findet man auf "Polars" wirre, mit ausdrucksstarkem Gekreische untermalte Skalenfrickeleien, welche jäh von einem fast schon unverschämt harmonischen, clean gesungenen Refrain abgelöst werden, der einem vor Gänsehaut-Feeling fast die Fußnägel aufrollt. Noch normal genug? Okay. Saxophon-Soli gibt's auch. Und Industrial-Intermezzi. Vertracktes Drumming, Blastbeasts, spacige Keyboard-Teppiche. Und eine Rhythmik, die selbst SPIRAL ARCHITECT oder MESHUGGAH zu einem anerkennenden Nicken hinreißen würde. Jetzt besser? Gut. Und doch, auch das Chaos ist organisiert...
Zerlegt man dieses ungemein wohlschmeckende Klang-Filet nämlich in einige kleinere Fasern, so wird recht schnell klar, dass die Milchbubis (Durchschnittsalter: 24. Frechheit, da schon so verdammt kreativ zu sein) gewisse Lieblingsbands haben. Zum Bleistift MESHUGGAH, die sehr deutliche Spuren im Sound von TEXTURES hinterlassen haben, was alles vertrackt-chaotische an den Saiteninstrumenten und auf den Fellen betrifft. Jedoch ist der Gesang von Pieter Verpaalen noch deutlich heftiger und energiegeladener ausgefallen, was nur positiv zu werten ist. Auch wenn "Polars" in seinen krassen Momenten teilweise klingt, als hätte man alle Alben der bekloppten Schweden in einen Mixer geworfen, so wird doch schnell klar, dass sich die Holländer auch hier noch einen Schritt weiter wagen: Die Keyboards spielen eine deutlich tragendere Rolle, Blast-Parts hat meine Wenigkeit in Schweden noch nicht vernommen und im Gesamtbild gibt sich der Sechser -Achtung, Blasphemie- noch innovativer im Sinne von Wie-viele-Stile-können-wir-miteinander-verknüpfen als die Elchjäger.
Klar, ohne MESHUGGAH würden TEXTURES wahrscheinlich nicht klingen wie sie es tun, aber den Kram muss man immerhin erst einmal spielen können. Wollte ich nicht mal versuchen.
Wird es dann mal etwas harmonischer, klarer vom Gesang her und wenig kranker, so wabert der Name FAITH NO MORE im Makrokosmos der TEXTURES'schen Kompositionen herum. Hier hat ganz eindeutig Mike Patton Pate gestanden - und da hätte man sich doch einen weitaus Schlechteren aussuchen können, oder?
Die acht Stücke (minus einigen instrumentalen, sehr spacig gehaltenen Intermezzi sowie ein recht langes, leicht dubbig geratenes Outro, das den verdammt positiven Gesamteindruck ein wenig schmälert, strotzen nur so vor einem Ideenreichtum, um den die Band schätzungsweise 99.5% aller restlichen Metal-Truppen beneiden sollte - so etwas auf einem Erstwerk, das bekommen nur ganz wenige hin. Und die ganz Großen. Hier gibt es keine musikalischen Klischees, keine Grenzen, und keine Langeweile. Dafür einen Arsch voll zum Entdecken, Verstehen und Nachvollziehen. Das tolle ist noch, dass die Jungs es schaffen, schätzungsweise 17,9 verschiedene Stimmungen und Klangfarben in einen einzigen Song einzubauen, welcher im Nachhinein trotzdem noch wie aus einem Guss wirkt - knapp sechzig Minuten Spielzeit bei acht Songs sprechen für sich.
Wer sich erst einmal in akustische Monster wie 'Swandive', das AT THE GATES-lastige 'Young Man', das durch einen tollen Saxophon-Mittelpart glänzende 'Transgression' oder den mit wirrer Gitarrenarbeit ausgestatteten Titeltrack komplett reingehört hat, wird wissen und verstehen, was ich meine.
Der überaus knackig, druckvoll-glasklar geratene Sound tut schließlich sein Letztes, um "Polars" zu einer vollends überzeugenden Sache zu machen, die sich Frickeljünger jeglicher Coleur schnellstens einverleiben sollten - überraschend frischer wird's in diesem Jahr wohl kaum noch.
Das Beste übrigens wie gehabt zum Schluss: TEXTURES haben dieses mit Worten im Parinzipiep nur noch unzureichend zu beschreibende musikalische Juwel komplett in Eigenregie verbrochen und stehen ohne einen Plattendeal da. Klingt blöd, ist aber so. Ihr da draußen: Ändern!
Ab dem 29.08. gibt's das Teil im äußerst schnieken Digipack via http://www.textures.nl zu erstehen, Hörproben sind ebenfalls online.
Anspieltipps: Swandive, Young Man, Transgression, Polars
- Redakteur:
- Rouven Dorn