THIN LIZZY - Night Life
Mehr über Thin Lizzy
- Genre:
- 1970er Prog- / Hard Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Vertigo (Universal Music Austria)
- Release:
- 18.01.2007
- She Knows
- Night Life
- It's Only Money
- Still In Love With You
- Frankie Carroll
- Showdown
- Banshee
- Philomena
- Sha-La-La
- Dear Heart
Das erste Album von THIN LIZZY mit Scott Gorham an der Gitarre. Das kann ja nur toll sein.
Eine Band mit einer sehr langen Lebenslinie, die von vielen Höhen und einigen sehr tiefen Tiefen markiert ist. Gegründet bereits Ende der 60er Jahre entstand das damalige Ur-Trio Phil Lynott (bass,vocals), Brian Downey (drums) und Eric Bell (guitar) aus der Verschmelzung zweier Bands: Dem Duo Orphanage (Downey/Lynott) und der Covertruppe Shades Of Blue, der Eric Bell angehörte. Der Gitarrist war sogar kurzzeitig Mitglied der legendären Formation THEM – ja, die um Van Morrisson – und man könnte vermuten, dass über diese Verbindung der Kontakt zur Plattenfirma Decca entstand. Für dieses Label wurden drei Alben eingespielt, die kommerziell nicht sonderlich erfolgreich waren. Lediglich ihre Version eines alten irischen Traditionals namens 'Whiskey In The Jar" kletterte kurzzeitig in die Charts. Sehr zum Leidwesen der Band, die den Song ursprünglich gar nicht veröffentlichen wollte. Heute kennt diese Nummer wahrscheinlich jeder. Und sei es nur die gruselige Version unserer Freunde von METALLICA. Ein gutes Beispiel, wie man einem Song die Seele durch Überproduktion rauben kann. Aber lassen wir das. Auf diesen ersten drei Alben spielt das Trio eine aufregende Mixtur aus Hardrock, Blues und irischen Melodien. Bereits in dieser frühen Phase der Band kann man begeistert wahrnehmen, welches Gespür Mister Phillip Paris Lynott hat, mit wieviel Soul in der Stimme er seine wohl durchdachten Texte intonieren konnte und mit welcher Leichtigkeit das Trio interagierte. Traumwandlerisch.
Ich beginne meine kleine Review-Reise mit dem ersten Album auf dem neuen Label Vertigo. Ein Album, auf welchem neben Phil und Brian zuerst ein gewisser Gary Moore zu hören sein sollte, den die Band im Jahr 1973 von der Dubliner Truppe Skid Row abgeworben hatte. Eric Bell hatte THIN LIZZY kurz zuvor aufgrund der obligatorischen musikalischen Differenzen verlassen. Aber auch Mister verlässt die Band noch während der Aufnahmen. Dieses Mal erkennen die beiden Urmitglieder den Vorteil in einer Aufstockung des Personals und holen den aus Glasgow stammenden Brian Robertson, sowie den aus Kalifornien kommenden Scott Gorham in die Band. Die bereits eingespielten Spuren von Gary Moore werden mit Ausnahme der Überballade 'Still In Love With You' komplett gelöscht und vom neuen Team aufgenommen. Heute wird gemunkelt, dass die beiden neuen Mitspieler der Ansicht waren, man könne dieses einmalige Feeiling von Mister Moore bei diesem Song nicht nachspielen. Weise Worte, zählt dieser Song doch bis heute zu den Perlen im langen Backkatalog von THIN LIZZY. Und so nebenbei bemerkt, zählt die Nummer auch zu den besonders bewegenden Balladen der Rockmusik. In der Studioversion bekommt die Band gesangliche Unterstützung von Frankie Miller. Dieser schottische Musiker dürfte einigen älteren Semestern vielleicht ein Begriff durch seine Kollaboration mit Robin Trower (PROCOL HARUM) sein. Auf jeden Fall ist das Duett von ihm und Phil Lynott bei dieser getragenen, bluesigen Nummer einfach nur wunderschön. Und wenn Gary Moore, der damals seinen Blues schon gefunden hatte, sein Solo erklingen lässt, wird jeder Freund der gehobenen Rockmusik mit verklärtem Blick vor seiner Anlage sitzen. So viel Gefühl passt in ein Lied. Unfassbar. Aber auch spätere Liveversionen, die nur von Lynott gesungen wurden, stehen dieser Version in nichts nach. Ein ergreifender Song ist einfach ein ergreifender Song. Ich schweife ab. Zurück zu "Nightlife".
Was bei diesem Album auffällt, ist die sehr relaxte, ja beinahe jazzige Grundausrichtung des gesamten Albums. Wenn man bedenkt, dass die Band eigentlich in einer Art Aufbruchstimmung hätte sein müssen, da man einen neuen Vertragspartner – Vertigo Records – befriedigen musste und man plötzlich doppelte Gitarrenkraft an Bord hatte, ein sehr erstaunliches Stimmungsbild. Klar, THIN LIZZY haben selten wirklich durchgängig harte Alben veröffentlicht – dazu mehr in späteren Berichten – aber so smooth wie "Nightlife" ist keines ausgefallen. Die wenigen Ausschläge nach oben hören auf die Titel 'It's Only Money' und – nicht lachen – 'Sha-La-La'. Das gerade diese zweite Nummer mit diesem witzigen Titel ein so heftig nach vorne treibendes Stück Swing-Metal ist, vermutet niemand. Aber genau darin liegt ja auch der Spaß. Das ist so eine kurze, aber typische Nummer, von der wir in der späteren Diskographie noch einige zu hören bekommen werden. Geprägt von Mister Downeys extrem galoppierender Rhythmik herrschen in den Gesangspassagen abgestoppte Klampfen vor, die nur um immer wieder doppelläufige kurze Leads einflechten. Die großen Helden der Heavy-Metal-Szene nennen nicht umsonst gern das sympathische Quartett als massiven Einfluss. Neben JETHRO TULL sicherlich die Erfinder dieser Spielart. Und Scott Gorham, bis heute aktiv in der Besetzung, ist einer der unterbewertetsten Musiker der Rockwelt.Was hat das Album noch zu bieten? Mit dem verträumten 'Dear Heart' finden wir eine mit Streichern unterlegte Ballade, die sich in eine Reihe mit 'Beth' von KISS stellen kann. Der einzige Unterschied dabei: Hier hören wir die unheimlich wohlig-warme Stimme von Phil und nicht den lispelnden Peter Criss, der mit seiner Art nicht singen zu können 'Beth' natürlich erst den gewissen Charme aufdrückt. Wo war ich doch gleich?
Ach ja, die anderen Songs auf diesem wundervollen Album wollte ich noch besprechen. Der Titelsong entpuppt sich als swingende Steh-Bass-Rocknummer, die von einem Akustik-Gitarrensolo verziert wird und auch 'Showdown' swingt mit lässigen Basslinien aus der Hüfte um die Ecke. Dazu offene Akkorde, die mich beinahe an eine Slide-Gitarre erinnern. Dazu ein Text, in dem es sich ganz offensichtlich um einen Gangfight dreht. Man sieht förmlich die schmutzigen Seitengassen von Chinatown – hoppla, so heißt doch ein Album von den Jungs – und man riecht die verräucherte Kneipenluft. Lynott macht einen auf dicke Hose. Erinnert sich jemand an den Disney-Film "Susi & Strolch"? Da gibt es doch auch diesen coolen Kater, der sich an alle Katzendamen heran macht. Hier heißt der streunende Obersympath Phil Lynott. Eine Nummer zum Verlieben. Nicht nur wegen des Solos am Ende. Hach. Und dass danach gleich das knapp anderthalb Minuten lange 'Banshee' das Herz mit wundervoll verträumter Countryromantik versüßt, passt danach wie die berühmte Faust auf ein noch berühmteres Auge.Dann gibt es noch das eröffnende 'She Knows', welches die Richtung des Albums schon gut vorgibt. Eine dieser typischen THIN-LIZZY-Nummern, die niemals richtig groß heraus gekommen ist, für die tausende von anderen Bands aber töten würden. Es gibt eben Bands, bei denen auch C-Seiten noch zu gut für A-Seiten anderer Bands sind. Die tiefe, beruhigende Stimme von Lynott, sein immer prominentes Bassspiel, die aufregenden Gitarrenideen in allen Nummern und das unheimlich flexible Schlagzeugspiel von Brian ergeben in Allianz immer wundervolle Musik. Immer. So auch beim traurigen Pianostück 'Frankie Carroll', einer Komposition, die man nicht ohne Taschentuch übersteht. Geht es doch um Alkoholabhängigkeit. Ein Thema, welches sich durch die Texte und das Leben von Phil Lynott wie ein roter Faden zog. Und man hört ihm an, dass er aus Erfahrung singt. Leider. Überhaupt sind viele seiner Texte beinahe autobiografisch. So ist die Titelheldin im weiter oben bereist erwähnten 'Philomena' seine Mutter, die ihn im Alter von vier Jahren zu seiner Oma Sarah gab. Auch dieser widmete Phil später einen Song. Aber das soll noch fünf Jahren dauern.
So viel zu dieser wundervollen Scheibe, die so viel Herzblut, Schweiß, aber auch Feinfühligkeit, Musikalität und Hingabe beinhaltet und vermittelt, wie heute nur noch selten ein Album.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae