THOUGHTS FACTORY - Lost
Mehr über Thoughts Factory
- Genre:
- Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Record Jet / Membran.net
- Release:
- 15.02.2014
- Awakening
- The Deep Forest
- Desperation
- Light
- Voices From Heaven
- No Way Out
- The Mire
- Death Of A Dream
Großartiges Debüt eines neuen Sternchens am deutschen Neo-Prog-Himmel.
Es kommt ja eher selten vor, dass ich angesichts progressiver Klänge so richtig aus dem Häuschen gerate. Doch alle Jubeljahre einmal passiert es dann doch. Da werde ich ganz unverhofft zum Zeugen des Aufgehens eines neuen Sternchens am deutschen Neo-Prog-Himmel, und heute ist mal wieder ein solch magischer Tag: Es erscheint das Debütalbum von THOUGHTS FACORY. Nie gehört? Doch, vielleicht schon! Als bestätigter Tour-Support für die kommende Tour mit SUBSIGNAL! Auch wenn sich jemand von euch in den nächsten Wochen zu Bülent Ceylan verirren sollte, wird er dort als Einlass- und Pausenmusik von den Klängen dieser jungen Band beschallt werden.
Junge Band? Nun, wie man es nimmt, denn die Jahrgänge der Musiker umfassen eine Spannweite von 1967 bis 1991, und das Besondere daran ist, dass der Jüngste im Bunde, Keyboarder Sven Schornstein, als Gründungsmitglied und Hauptsongwriter quasi der Kopf der Band ist, die er vor gut fünf Jahren zusammen mit Sänger Marcus Becker - einem langjährigen Atem-, Stimm- und Sprachlehrer mit umfangreicher Coverband-, Musiktheater- und Musical-Erfahrung - aus der Taufe hob. In den letzten Jahren wuchs die Band dann zunächst um Bassist Bernd Schönegge, an den sich mancher Leser vielleicht noch von unseren Besprechungen zu SPOONFULL OF LIFE und RUSTED erinnern kann, sowie zuletzt um die Profimusiker Markus Wittmann (Gitarre) und Chris Maldener (Drums), die beide bereits seit den Achtzigern ihrer Musikleidenschaft privat und auch beruflich frönen, sei es als Musikdozent, als Endorser oder als Session- und Livemusiker.
Dass hier also weder auf handwerklich-instrumentaler, noch auf kompositorischer oder soundtechnischer Ebene etwas anbrennen kann, das sollte bereits jetzt klar sein; ebenso, dass hier die Musik für sich selbst spricht, und keinerlei Klischees bedient werden. Was wir zu hören bekommen, ist instrumental bestechender, sehr atmosphärischer, dabei aber auch sehr songorientierter Progressive Metal, dem man die Spielfreude und die Hingabe ans musikalische Schaffen auf jeder Ebene anmerkt. Der Sound ist druckvoll und differenziert, zeitgemäß und wuchtig, aber niemals kalt und steril. Das Keyboard spielt erwartungsgemäß eine tragende Rolle und glänzt dabei sowohl bei der Erzeugung einer mystischen, ätherischen Atmosphäre, als auch als Melodieinstrument. Die Gitarre agiert - durchaus Prog-typisch - oft sehr rhythmisch, kann aber an zahlreichen Stellen auch mit sehr schönen Melodien begeistern, während die Rhythmusgruppe sich sehr tight und anspruchsvoll präsentiert, ohne dabei den Songs den Fluss zu nehmen oder dem Hörer Knoten ins Hirn zu frickeln.
Als wären dies der Trümpfe noch nicht genug, sei ein ganz besonderes Lob auch der Vielseitigkeit des Sängers ausgesprochen. Marcus Becker kann mit seiner kristallklaren, sehr angenehmen Stimme wirklich in allen Lagen fesseln und immer wieder für Gänsehaut sorgen, ist sich aber auch nicht zu fein, an den passenden Stellen auch etliche sparsam dosierte Aggressionsmomente durch Shouts und gemäßigte Growls zu setzen. Eine Kunst, die auch Gitarrist Markus Wittmann meisterlich beherrscht, wie etwa das absolute Nackenbrecherriff zum Ende von 'Desperation' eindrucksvoll beweist. Doch auch die feinfühligen, zarten Töne beherrscht die Band perfekt, wie es sich sehr gut bei der wunderschönen, sehr kurzen Ballade 'Light' nachhören lässt, die allen Raum der Stimme und dem Piano lässt. Herrliche Space-Melodien beim knapp viertelstündigen 'Voices From Heaven' lassen sicher auch den Lucassen-Fan kurz aufhorchen, nur um dann in ein sehr schönes, erdig rockendes Hauptriff mit leicht orientalischem Einschlag überzugehen.
Daneben finden sich auch stilistische Parallelen etwa zu TRANSATLANTIC oder DREAM THEATER, doch kann mich "Lost" deutlich mehr fesseln als die jüngeren Werke der genannten Bands, weil sich mir der rote Faden des Konzepts besser offenbart, und weil zudem eine Nähe zu sowohl 70er- und 80er-Prog der Marke YES und MARILLION, als auch zu etwas härterem Prog-Metal spürbar wird. Inhaltlich behandelt das Album die Gefühlwelt eines Protagonisten, der sich mit der Verlassenheit nach dem Suizid eines geliebten Menschen konfrontiert sieht. Bei einer intensiven Auseinandersetzung mit der einfühlsamen Musik und den tief gehenden Lyrics sollte daher die eine oder andere Gänsehaut garantiert sein.
THOUGHTS FACTORY gehört für mich mit diesem großartigen Debütalbum zusammen mit DANTE und MECHANICAL POET zu den besten Prog-Newcomern der letzten zehn Jahre, weshalb ich "Lost" jedem Freund des Prog-Metal-Genres, aber durchaus auch jenen empfehlen will, die nur gelegentlich mal für progressive Klänge zu begeistern sind. Wenn euer Interesse geweckt ist, dann schaut bitte mal bei Bandcamp vorbei, wo ihr zahlreiche Hörproben findet und die Band das Album für schlanke 10 Euro auch im Eigenvertrieb anbietet.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle