TIDAL - Abraxas
Mehr über Tidal
- Genre:
- Art Punk
- Label:
- incendiry.records / www.m-system.de
- Release:
- 05.04.2004
- Timeout Deluxe
- Seifenblasen
- Apocalypse Now!
- Actor's Cut
- Cada Mono En Su Gira
- Some Time, Our Time
- Peacemaker
- Das Sein und das Nichts Teil Zwei
Anfangs konnte ich mit TIDAL so gar nichts anfangen und hätte ihre in Hieronymus Bosch nachempfundene Kunst gehüllte CD "Abraxas" am liebsten gleich wieder zurückgegeben.
Das fing schon mit dem ersten Song an, der mir wie ein illegitimer Bastard, als das Resultat von Tocotronic fucking with Black Metal erschien (und teilweise immer noch erscheint, aber da kann der Kleine ja nichts zu, blame the parents). Melodisch und krachend zugleich legt 'Timeout Deluxe' mit frischer Verve los, der Gesang klingt zwar so, als hätte er zunächst Reißnägel gegurgelt und danach ein extrastarkes Eukalyptusbonbon eingeworfen, aber wenn man damit erst mal klarzukommen gelernt hat, besitzt das Stück durchaus Charme. Frei drehende Gitarrenwirbel und eine lo-fi gehaltene Produktion zu treibenden Drums - das ist psychedelischer Punkrock! Der heiser geschrieene Song ist in jeder Hinsicht fordernd, sehr schartig und sperrig, meist getrieben, zwischendurch aber auch mal fast jazzig entspannt. Irgendwie wird hier wohl der Augenblick besungen, aber der tiefere Sinn des Textes will sich mir auch nach Einsicht in das schön gestaltete Faltblatt einfach nicht erschließen.
Mediterran feurig beseelt ist der klappernde Tanzrock von 'Seifenblasen' zunächst, um danach erst in ernüchternden Jazzcore und dann schließlich in rauen Emopunk zu verfallen. "Irgendwann zerstör ich eure Seifenblasen", heißt es da, und: "Wie faszinierend kann Fassade sein / Groß, rosa, mächtig / Bis zu dem Moment / an dem man erkennt, / dass es nur Zuckerwatte ist / die die Lippen verklebt / und die Zähne zerfrisst."
'Apocalypse Now!' ist eine morbide Depri-Punk-Ballade. Mit ähnlichem Stoff haben mir auch LACRIMOSA schon einige miese Trips beschert. Ein von lauter feinen Haarrissen zerfressenes Klangbild aus Grau in Grau, mit einigen Spritzern Giftgrün darin starrt mich an; irgend ein kauerndes, leidgeprüftes Wesen krächzt mir derweil verbittert und misstrauisch aus einem düsteren Winkel seiner Verstörtheit ein paar wirre Zeilen zu: "Kalter Schweiß im Bewusstsein der Dinge / Kannst du hören, wie ich mit meinen Gedanken ringe?"
Mal verzweifelnd, davon sich aber niemals frei schwimmend, mal trunken hin und her pendelnd, kreisen die E-Gitarrentöne im Szenario des 'Actor's Cut'. Schlagzeug und Bass sorgen derweil für eine verstrickte, mehr beklemmende denn triste Monotonie, gegen die sich mit Inbrunst der verzweifelte Gesang wirft. Das Stück ist ein kleines verfremdetes Drama auf der Seelenbühne, in dem sich Schauspieler und Regisseur einen erbitterten Machtkampf liefern. Die zweite Hälfte des Textes gleicht einem Manifest: "Wenn hinter der Mechanik des Films / die Wirklichkeit Einhalt gebieten muss, / verbirgt sich die Erotik doch gerade erst / in der Abweichung der Vollendung // Der Vorhang fällt und alles was uns bleibt / sind die tristen Kulissen eben jener Bühne / Sind Bäume aus Plastik und Emotionen aus Stein / das Traumschiff aus Pappe, / dein Lächeln, / ein gottverdammter Schrei! // Wir brauchen keine Helden / Wir brauchen keine Schurken / Wir brauchen Menschen! / Die Bühne gesprengt, der Baum gepflanzt / Und er ward nimmer gesehen"
Typisch punkig beginnt 'Cada Mono En Su Gira', doch schon recht bald mischt sich ein grelles, dadaistisches Stimmenwirrwarr unter die ebenfalls schriller werdenden Instrumente. Chaos entfesselt.
'Some Time, Our Time' zerrt und zurrt, punk-t und schwoft sich einmal mehr zäh und submelodisch ins Ohr, versteckt seine Harmonien unter Tonscherben und Narbengesang.
Das Stück 'Peacemaker' ist ebenfalls ein Punkabkömmling - allerdings erscheint es mir wie ein verhärmter, ausgemergelter Stonerrocktrack, der nach 40 Tagen Staubfressen in der Wüste zum Propheten geworden, verwirrten Geistes und roten Auges die Apokalypse herbeizuwettern trachtet. "I'm fixing points in the sky, doch / dem Blick nach oben halten die Kontraste nicht stand // [...] // Who stole the colors of my dreams? / Is this you, Peacemaker?"
'Das Sein und das Nichts Teil Zwei' ist balladesk gehalten, melancholisch und spröde. Es erinnert mich von der Stimmung her zum einen an ACHIM REICHEL und sein Album "Regenballade", zum anderen an den Song 'Jericho' von DAS ICH.
Wie gesagt, anfangs hätte ich die Scheibe am liebsten wieder abgegeben. Mittlerweile habe ich mich ein wenig eingehört, und muss sagen, dass sie durchaus interessant ist; so richtig dafür erwärmen konnte ich mich aber bislang nicht.
Als langweilig würde ich die Musik - zumindest, wenn man richtig zuhört - nicht bezeichnen wollen, wohl aber als äußerst anstrengend.
Direkt empfehlen möchte ich "Abraxas" daher nicht; aber wen dieser Bericht angesprochen hat, mag es durchaus nicht für Zeitverschwendung halten, bei Gelegenheit mal reinzuhören.
Anspieltipps: Seifenblasen, Actor's Cut, Das Sein und das Nichts Teil Zwei.
- Redakteur:
- Eike Schmitz