TVANGESTE - Firestorm
Mehr über Tvangeste
- Genre:
- Orchestraler Black Metal
- Label:
- World Chaos Production
- Release:
- 10.11.2003
- Introduction
- Under The Black Raven's Wings
- Birth Of The Hero
- Fire in Our Hearts
- Perkuno's Flame
- Godless Freedom
- Storm
- Tears Will Wash Off The Blood From My Sword
Wir schreiben das Jahr 1225 nach der Geburt des Bastards. In einer regnerischen und stürmischen Nacht tobt eine blutige Schlacht zwischen christlichen und prußischen Kriegern. Der baltische Stamm der Prußen lebt in den Landen östlich der Weichsel. Trotz der Missionierungsversuche bleiben die Prußen der Religion und den Sitten der Vorväter treu. Sie werden jedoch von christlichen Deutschordensrittern besiegt und später geht ihre Kultur spurlos im großen russischen Reich unter. Spurlos? Nein, denn es gibt ja noch Tvangeste, die das prußische Erbe wachhalten und das Schwert der Rache zücken. Tvangeste haben sich nach einer altheidnischen Siedlung benannt, an deren Stelle heute die russische Stadt Kaliningrad steht – die Heimatstadt der Bandmitglieder.
Um es gleich vorweg zu sagen – das Schwert der Rache könnte gar nicht funkelnder und wirkungsvoller gezückt werden als mit dieser absolut geilen Mucke! Der heidnische orchestrale Black Metal von TVANGESTE stellt vielleicht das Missing Link zwischen DIMMU BORGIR und CRADLE OF FILTH auf der einen Seite und MOONSORROW auf der anderen dar. Mit den beiden erstgenannten Gruppen haben TVANGESTE außerdem noch gemeinsam, dass sie ein klassisches Ensemble für ihre Musik verpflichten konnten, genauer gesagt gleich zwei: das Baltische Symphonieorchester und den Prußischen Kammerchor. Diese schöne Verbindung von Tradition und Moderne kann man schon fast als einen Trend im Bereich des melodischen Black und Pagan Metal bezeichnen. TVANGESTE fügen dem ihre ganz eigene machtvolle Interpretation hinzu. Die Orchesterparts für dieses Album schrieb die Band im Verein mit Ekaterina Sapogova, die im Baltischen Symphonieorchester die erste Violine spielt. Schon für ihr Debütalbum "Damnation Of Regiomontum" hatten TVANGESTE auf diese fruchtbare Kooperation gesetzt, die zu Jubelstürmen in der russischen Metalpresse führte und ihnen die Bezeichnung "Beste Black Metal Band des Jahres 2000" einbrachte.
Nach diesen Worten sollte klar geworden sein, das man auf "Firestorm" primitives "True Black Metal"-Gebolze vergeblich suchen wird. Vielmehr bemüht sich die Band auch bei den Hochgeschwindigkeitspassagen um Klarheit und Transparenz, was den komplexen Sound vor der Gefahr bewahrt, in einem chaotischen Sumpf zu versinken. Es ist schon irre zu hören, mit welcher Perfektion knallhartes Riffing, Keyboards, Chöre und Violinen ineinandergeschachtelt werden, um einen alles niederwalzenden Bombast zu erzeugen. Der Drummer Cezar Mielko (ansonsten Mitglied bei der polnischen Gruppe DOMINIUM) hat in der osteuropäischen Szene einen gewissen Kultstatus – kein Wunder, er verdrischt seine Felle mit einer solchen Präzision, das er einen Drumcomputer beschämen würde. Die Stimme von Miron hingegen keift und geifert, was das Zeug hält und verbleibt damit ein typisches Schwarzwurzelelement. In allen Stücken des Albums wird sein Gekeife aber mit Chor und Frauengesang kontrastiert.
Nach einigen Violinenklängen und einem Rabenschrei, bricht das musikalische Inferno über den Hörer herein. 'Under The Black Raven’s Wings' beginnt mit einem melodischen Riff, bevor ein fast hysterisch zu nennender Chor für aufreibende Dramatik sorgt. Bald lodern auch die wunderschönen Violinenmelodien auf – wie eine Flamme in der Nacht. Ein besonderes Kennzeichen von Tvangeste ist, dass sie den Klassikpassagen sehr viel Raum lassen. Der Sturm wird sehr häufig von Violinensolos, Flöten und musikalischer Ruhe durchbrochen. Ganz deutlich wird das beim Stück 'Perkuno’s Flame'. Perkuno war der blitzeschleudernde Donnergott und wurde von allen baltischen Stämmen verehrt. Die Violine klagt in einem langezogenen Solo das Verlöschen seiner Flamme zum Himmel. Dann erscheint der Streicher im Verein mit den Gitarren wieder kraftvoll und aufwühlend, das Schwert darf geschwungen werden – doch die Melancholie lässt sich nicht vertreiben und kehrt im Laufe des Stückes wieder. Die Violinenmelodien haben dabei immer etwas Trauriges und Wehmütiges, ja etwas typisch Russisches an sich.
Ein weiteres Highlight ist das mit dramatisierenden Streichern wie in einem Filmsoundtrack beginnende Stück 'Storm', das programmatisch alle Qualitäten von TVANGESTE vorführt: technische Virtuosität, viele Breaks, unterschiedliche Gesangparts, kurze erzählerische Einschübe, Klangwände, theatralischer Bombast. Das nachfolgende 'Tears Will Wash Off The Blood From My Sword' beginnt mit einem Chorpart, der etwas an die letzten Werke von THERION erinnert. Vielleicht könnten sich auch Freunde der ebenfalls neoklassizistischen Schweden für TVANGESTE erwärmen.
TVANGESTE setzen auf Melodie, verzichten deswegen aber längst nicht auf Härte. Wuchtige Gitarrenwände krachen immer wieder in dem Strudel aus Keyboards und Orchester, wobei das hämmernde Schlagzeug von der Produktion stark in den Vordergrund gestellt wird. Dadurch erhält die Musik einen sehr rhythmischen Touch. Die klangreine und druckvolle Produktion entstand zum Teil in dem bekannten polnischen Studio Selani, in dem z.B. auch VADER und BEHEMOTH ihre Alben aufnahmen.
Oft entsteht in mir der Eindruck, der Aufführung eines alten Heldenepos auf der Bühne beizuwohnen – aber natürlich!: schließlich erzählen Worte und Musik die tragische Geschichte vom Untergang der Prußen. Doch unsere BM-Dramatiker richten mahnende Sätze in Englisch an den heute lebenden Hörer: (aus 'Storm' in meiner Übersetzung) "Sein oder Nichtsein – es gibt keine solche Frage! Sein! Aber was sein? Ein Schaf mit schwachem Willen, das sich zum Schlachhaus führen lässt? Oder ein stolzer Wolf, dessen Herz von der Freiheit erfüllt ist?" Möglicherweise klingt das ein wenig klischeehaft, aber es erinnert daran, das Metal ursprünglich nicht vordergründig irgendwelche Unterhaltungsmusik war, sondern eine nonkonforme Lebenseinstellung voraussetzte. Leider sind heutzutage viele Metal-Hörer im Grunde Schafe, die brav jeden Morgen ins Büro oder auf den Bau dackeln – oder positiver ausgedrückt: verhinderte Wölfe!
"Firestorm" jedenfalls entfacht eine solchen in meinem Herzen und läßt mich begeistert durchs Zimmer springen. Fünfundvierzig Minuten lang wird eine archaische Welt aus zuckenden Blitzen und grollendem Donner vor dem Hörer heraufbeschworen. Diese Scheibe ist ein definitiver Pflichtkauf für jeden Freund melodischen Black und Pagan Metals! Schweißgebadet und mit zittriger Hand drücke ich die Repeattaste, um den alten Heidenkrieger ein weiteres Mal in mir zu spüren. Die finsteren Klänge ertönen: Wir schreiben das Jahr 1225...
Anspieltipps: Under The Black Raven's Wings, Perkuno’s Flame, Storm
- Redakteur:
- Jörg Scholz