VOIVOD - Target Earth
Auch im Soundcheck: Soundcheck 01/2013
Mehr über Voivod
- Genre:
- Heavy Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Century Media (EMI)
- Release:
- 22.01.2013
- Target Earth
- Kluskap O'Kom
- Empathy For The Enemy
- Mechanical Mind
- Warchaic
- Resistance
- Kaleidos
- Corps Étranger
- Artefact
- Defiance
Das erste Album, ohne aus dem Fundus von Piggy schöpfen zu können.
Ein neues Album der kanadischen Sci-Fi-Thrasher VOIVOD ist immer eine spannende Angelegenheit. Dieses Mal ist die Spannung aber besonders groß. Der Grund: Erstmalig kann man nicht auf alte Gitarrenspuren des viel zu früh verstorbenen Gitarristen Denis D'Amour aka Piggy zurück greifen. Dieses Mal muss sein Nachfolger Daniel "Chewy" Mongrain selber kreativ tätig werden. Der gute Mann hat Erfahrung in Sachen Songs schreiben, denn er war jahrelang Kopf der technisch anspruchsvollen Deather MARTYR und zockte zeitweise unter anderem bei CRYPTOPSY. Alles Bands, deren Material man nicht mal eben nebenher einübt. Ein weiterer Grund für erhöhte Aufmerksamkeit ist die Tatsache, dass mit Ur-Basser Jean-Yves "Blacky" Thériault nach Jahren nicht mehr Jason Newstedt als Sessionmusiker auf einer VOIVOD-Scheibe zu hören ist. Sehr spannend.
Erste Höreindrücke, die Livemitschnitte aus dem weltweiten Internetz preisgaben, sowie die digitale Veröffentlichung von 'Mechanical Mind' im Vorfeld, ließen aber entspannt aufatmen. Denn das war VOIVOD-Maetrial, wie wir es uns in den kühnsten Träumen nicht erhofft hatten. Und nach unzähligen Durchläufen kann ich diese ersten Eindrücke bestätigen: "Target Earth" ist das VOIVOD-Album, welches locker flockig an die verquerte Eingängigkeit des Überalbums "Dimension Hätröss" anknüpft, ohne dabei wie ein Abklatsch eben dieser Scheibe zu klingen.
Schon die fantastische Eröffnungsnummer lässt alle Nackenhaare in Alarmbereitschaft stehen. Der furztrockene Bass von Blacky knattert in bekannt schnodderiger Art und Weise diagonal zu den hackenden Schlagzeugmustern von Away aus meinen Boxen. Da wippen sofort alle Gliedmaßen mit. Und wenn Chewy nach einigen Sekunden das erste Mal in die Saiten langt, glaubt man in einem Space Shuttle eine Zeitreise zu machen. Das kreischt und rrrööääärt so herrlich, wie zuletzt auf der oben erwähnte Monsterscheibe. Ein Auftakt nach Maß, mit dem die Herren ganz offensichtlich sofort klar stellen wollen, womit der Chewy seine Locken gebürstet bekommt. Mit dem Laserschwert natürlich. Im Chorus wird es dann schön spacig, ohne dass die Drumbeats an Fahrt verlieren. Ich bin jetzt schon völlig aus dem Häuschen. Allerdings verwirrt mich das nachfolgende 'Kluskap O'Kom' mit seinem abgehackten Refrain, der irgendwie so gar nicht zum dieser extrem flotten Nummer passen will. Während sich der VOIVOD mit dieser Nummer so dicht am lupenreinen Faustmetal entlang jongliert wie selten, scheint dieser geshoutete Mini-Chorus der Nummer etwas die Fahrt zu nehmen. Meckern auf ganz hohem Niveau, denn der Titel ist natürlich ebenfalls großartig.
'Empathy For The Enemy' würde ausgezeichnet auf "Angel Rat" passen. Weniger aggressiv, schwingt diese Nummer, die in den Versen ungewohnt leichtfüßig klingt, mit herrlich abgestoppter Rhythmik um die Ecke. Wie überall, ist auch der Bass schön dominant in Szene gesetzt, sodass auch in den behutsamen Momenten keine Dynamik verloren geht. Ein toller Longtrack, der gar nicht lang ist. Mit 'Mechanical Mind' folgt die Single des Albums. Dass die Kollegen hier ausgerechnet ihren längsten Song ausgewählt haben, zeigt nur, wie schräg sie ticken. Ich denke, an dieser wundervollen Achterbahnfahrt haben sich alle bereits im Vorfeld die Ohren rund gehört. Soon-to-be-classic!
Es folgt eine beinahe epische Nummer. 'Warchaic' startet sanft gezupft und mit geflüsterten Vocals bis urplötzlich die Chewytatze in die Vollen greift. Im Hintergrund gibt es wabernde Untermalung. Sehr lecker. Auf halber Strecke treten die Jungs unerwartet das Gaspedal durch und jagen mit irrwitzigen Riffs im Zickzack durch ein Meteoritenfeld. Die Einschläge sind zu spüren. Immer wieder wackelt das Raumschiff bedrohlich und droht mehrfach aus der Bahn zu fliegen, aber die Meister des gegniedelten Melodic-Prog-Thrash verlieren nie die Kontrolle. Unglaublich. Unterhaltsam.
'Resistance' ist dann eine weitere Nummer, bei der die Klampfe so richtig saftig aus den Boxen spritzt. Beim Chorus quietscht Chewy in altbekannter Piggy-Manier schief-gewickelte Akkordfolgen aus dem Griffbrett. Das macht er ganz ausgezeichnet und die Parallelen zum verstorbenen Mister D'Amour sind sicherlich gewollt. Wer hier das negativ behaftete Wort "abkupfern" in den Mund nimmt, hat nichts verstanden. Wir können uns alle glücklich schätzen, dass VOIVOD einen Gitarristen gefunden hat, der in der Lage ist, dies überhaupt zu spielen. Und dann auch noch mit dieser Klasse. Und von dieser Klasse ist auch 'Kaleidos': Allein das röhrende Bassintro erhellt meinen Horizont. Aber auch sonst ist diese Nummer extrem knorke. Durch die charismatische Gesangsmelodie von Snake würde ich hier sogar vom Hit des Albums reden. Die Melodie geht mir jedenfalls nicht mehr aus dem Kopf. Mit 'Corps Etranger' gelingt den Jungs dann noch mal eine handfeste Überraschung: Es wird in Französisch gesungen. Ein Umstand, der bei mir im Normalfall Minuspunkte einbringen würde. Nicht in diesem Fall. Unterlegt von einem Marschrhythmus zelebriert Snake hier quasi einen Chanson-Thrash der Sonderklasse. Zuerst von wütenden Riffstakkatos unterlegt, mutiert der Song im weiteren Verlauf zu einer ungeheuer facettenreichen Nummer. Da wird die Rhythmik plötzlich stampfend, da schlagen die Gitarren plötzlich Querschläger in die Hörwände und über allem thront Snake mit seiner extrem flexiblen Stimme, die – ich deutete es bereits an – ganz zum Schluss sogar den Charme eines Chansoniers einnimmt. Ganz wundervoll. Wie auch das nachfolgende, beinahe bedrohliche 'Artefact', welches sogar zweisprachig vorgetragen wird. Dazu die tollen Gitarrenideen von Chewy und ich bin verzaubert. Da stört es mich zuerst auch gar nicht, dass die letzte Nummer 'Defiance' bereits nach Anderthalb Minuten ausgeblendet wird. Nach etwas Recherche löst sich das Rätsel. Die Nummer dient als Appetitanreger für das nächste Album. Wer VOIVOD kennt, wird die Parallele zu ihren Vorbildern VENOM erkennen, die dieses Spielchen vor knapp 30 Jahren mit "At War With Satan" machten. Coole Idee.
Wie unschwer zu erkennen ist, bin ich mit "Target Earth" mehr als glücklich. Der einzige Grund, weshalb hier (noch) nicht die Höchstnote gefallen ist, ist der Chorus im zweiten Song und die Hoffnung auf eine weitere Steigerung beim nächsten Mal. Ich denke, hier hat sich eine Band neu zusammen gefunden. Der Einstieg von Daniel scheint ein neues Feuer entfacht zu haben, denn so grantig und gleichzeitig so spritzig hat VOIVOD schon sehr lange nicht mehr geklungen. Ich hoffe, es stehen uns noch etliche Alben dieser Qualität ins Haus.
Alle Daumen hoch!
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Soundcheck 01/2013
Gruppentherapie
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae