VON HERTZEN BROTHERS - Red Alert In The Blue Forest
Auch im Soundcheck: Soundcheck 03/2022
Mehr über Von Hertzen Brothers
- Genre:
- Progressive Rock
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Doing Being Music
- Release:
- 18.03.2022
- Day Of Reckoning
- Blue Forest
- The Promise
- All Of A Sudden, You're Gone
- Peace Patrol
- Pirates Of The Raseborgian
- Anil
- Elbowed
- Northern Lights
- Söderskär
- Disappear There
Hört mehr Brüdermusik!
Nun, das hat ganz schön gedauert. Deutlich mehr als vier Jahre sind vergangen seit die VON HERTZEN BROTHERS mit "War Is Over" ein lupenreines Zehn-Punkte-Album veröffentlicht haben. Dass es so lange gedauert hat, lag auch an CoVid-19, das Mikko von Hertzen einen länger als geplanten Aufenthalt in Indien beschert hat.
Wie bei einigen anderen Bands auch, hat die mit Corona einhergehende Entschleunigung einen anderen Fokus beim Songwriting beschert. Raus aus dem urbanen, hektischen Alltag, in ruhige, aber eben auch verwilderte Gegenden. Ich finde, das hört man "Red Alert In The Blue Forest" auch an, woran ich mich tatsächlich erst gewöhnen musste. Ich war beim ersten Durchlauf noch etwas irritiert, ja, fast schon enttäuscht, denn der Zugang, der mir auf Alben wie "Nine Lives", "New Day Rising" oder "War Is Over" so leicht fiel, war nach der ersten Runde mit den 70 Minuten Musik, einfach noch nicht da.
Allerdings hat sich das relativ schnell gelegt, denn "Red Alert In The Blue Forest" ist eine sehr aufregende Entdeckungstour geworden, in der die Brüder oftmals Dinge tun, die man so nicht erwarten würde. Ja, 'Days Of Reckoning' ist als Opener vielleicht noch am ehesten in der Tradition der Vorgänger, aber schon das folgende 'Blue Forest' steigert sich in den neun Minuten Laufzeit sehr beständig und wenn nach etwa fünf Minuten sich die Nummer voll entfaltet, kann man vor so viel Kompositionskunst nur den Hut ziehen. Im Anschluss überrascht 'The Promise' mit orientalischer Instrumentierung, bevor die erste Single 'All Of A Sudden, You're Gone' vor allem emotional unglaublich aufwühlt. Der Beginn ist noch eine recht einfache, akustische Ballade, die lyrisch zu Herzen geht. Nach etwas über vier Minuten nimmt aber auch dieser Song eine Wendung, wie sie einfach nur die Brüder hinbekommen. 'The song we used to sing is just a howl in the wind'. Ich kann das nicht beschreiben, aber Tränen sind immer ein gutes Zeichen für ein Lied.
Ich werde jetzt nicht auf jeden Song einzeln eingehen, aber zumindest 'Peace Patrol' und 'Pirates Of The Raseborgian' möchte ich noch hervorheben. Ersterer ist mit ziemlich genau zehn Minuten der längste Track im blauen Wald und hat auch einen Looping eingebaut. Die ersten vier Minuten gehören einem treibenden, eingängigen Brüder-Rocker, wie ihn Mikko, Kie und Jonne in Perfektion können, doch dann gibt es plötzlich eine 180°-Wendung und wir finden uns mitten in einer Jam-Session, die beinahe jazzige Ausamße annimmt, was durch das Saxofon nur unterstrichen wird. Dies war natürlich eine der Nummern, die mir den Einstieg nicht so leicht gemacht haben, aber wie sehr liebe ich mittlerweile den Mut und die Freiheit hier einfach mal alle Konventionen über Bord zu werfen. Großartig. Das gilt ähnlich auch für 'Pirates Of The Raseborgian', das völlig relaxt, beswingt und gut gelaunt durch die Boxen kommt und so einen tollen Kontrast zur sonst doch sehr ernsten, oftmals sogar melancholischen Stimmung auf "Red Alert In The Blue Forest" setzt.
Für euer eigenes Hörvergnügen und eure Spannung gehe ich jetzt auf die zweite Hälfte nicht so sehr ein, auch wenn 'Anil', 'Elbowed' (der heimliche Hit!) und 'Northern Lights' viele warme Worte verdient hätten. Wenn ich einen Punkt an "Red Alert In The Blue Forest" kritisieren kann, dann vielleicht, dass ich die beiden balladesken 'Söderskär' und 'Disappear There' nicht hintereinander an den Schluss dieses so abwechslungsreichen Werkes gepackt hätte, sondern entweder nur einen Song verwendet oder 'Söderskär' als Ruhepol zwischen 'Peace Patrol' und 'Pirates Of The Rasoborgian' platziert hätte. So kann zumindest der Eindruck entstehen, dass das Album etwas dem Ende entgegen plätschert und das ist natürlich fatal.
Einmal mehr state-of-the-art ist natürlich die Produktion, die so lebendig und warm ist, wie es der Alarm im Wald ganz unbedingt verlangt. Der Mix lässt allen Instrumenten ausreichend viel Platz und manchmal fühle ich mich, als würde ich selbst im Wald stehen und die Band live nur für mich spielen. Ich würde sogar sagen, dass "Red Alert In The Blue Forest" die am besten produzierte Scheibe seit "War Is Over" ist. Und das bezieht sich natürlich nicht nur auf Brüderwerke.
In der Diskographie gefallen mir persönlich zwar "War Is Over" und "Approach" noch besser, aber mit "Nine Lives" oder "New Day Rising" kann "Red Alert In The Blue Forest" ganz sicher mithalten. Für mich damit das bisher beste Album des Jahres.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Peter Kubaschk