WAITS, TOM - Bad As Me (Limited Edition)
Mehr über Waits, Tom
- Genre:
- Songwriter / Rhythm'n'Blues / Rock / Indie / Alternative
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Anti-
- Release:
- 24.10.2011
- Chicago
- Raised Right Men
- Talking At The Same Time
- Get Lost
- Face To The Highway
- Pay Me
- Back In The Crowd
- Bad As Me
- Kiss Me
- Satisfied
- Last Leaf
- Hell Broke Luce
- New Year's Eve
- She Stole The Blush
- Tell Me
- After You Die
Bad as him? Good enough for me!
TOM WAITS ist inzwischen zweifelsohne einer jener Künstler, bei denen das Publikum im Vorhinein weiß, was es an ihnen hat. Und doch wiederholt er sich nie 1:1, sondern entwickelt sich stetig weiter, sucht nach neuen Nuancen seiner Ausdrucksform, stöbert im alten Wurzelwerk des Rock, Rhythm & Blues, oder bedient sich mittlerweile auch hitziger Hiphoprhythmik, um die er seine urigen Clang Boom Baps erweitert. "Bad As Me" heißt sein jüngstes Album, und dessen limitierte Sonderausgabe kommt in einem schönen Hardcoverbüchlein (nahezu DIN-A5-Maße) daher, mit 17 Fotos/Collagen und zwei CDs sowie den Songtexten darin. Auf der ersten CD findet sich das reguläre Album, auf der zweiten sind drei Bonustracks eingepresst.
Äußerst lebhaft eröffnet 'Chicago' das Album mit jazzigem Klavierrhythmus und harten, heißblütigen Bläserstößen (Clint Maedgen am Sax, Ben Jaffe an Posaune und Bassklarinette). Waits' rostiges doch kräftiges Organ beschwört eine hoffentlich bessere Zukunft und den Mut des Aufbruchs. "This bird has flown from its cage" intoniert er mit lebenshungriger Stimme, derweil Schlagzeug, Gitarren und Charlie Musselwhites Harmonika den Sound eines ratternden Dampfkesselzuges heraufbeschwören. Die langjährigen Weggefährten Larry Tailor und Marc Ribot sind unverkennbar wieder mit von der Partie, zudem greifen hier noch Keith Richards und Tom persönlich in die Saiten. Genauso agitiert wie 'Chicago' tönt 'Raised Right Men', ein wahrer Groovehexenkessel mit einem monströsen Rhythm'n'Blues-Rhythmus, der soulful und hiphopgestählt zugleich wirkt: urban, kraftvoll, schwitzig, schwül und nervös, vor allem aber sehr dominant. Man denke an eine Jamsession von Ray Charles, James Brown und dem Wu-Tang Clan, wozu ein von Nick Cave imaginierter Höllenhund mit der Stimme von Tom Waits knurren darf. Der kauzt knorrig krasse Aussagen ins Mikrofon: "There ain't enough raised right men / Gunplay Maxwell and / Flat Nose George / Ice Pick Newcomb / on a slab in the morgue / Flat Nose looked at Gunplay / and they all looked at me / with a good woman's love we / could have saved all three." Im Bild zum Song sieht Waits aus wie der fiesere Bruder von Mickey Rourke und Bruce Willis, Gangster Style. "Bad-ass me". Das passt wie die Faust auf's Auge. Flea von den RHCP am Bass fällt kaum auf, fügt sich als echter Teamplayer perfekt in den Gesamtsound ein.
Das Licht heruntergedimmt, edle Nachtclub/Jazzbar-Atmosphäre, ein Soundtrack zwischen Depressionsära- und "Pulp Fiction"-Film; kühles Jazzpiano, David Hidalgos tiefmelancholisches Gitarrenflair und dazu ein schleichender Bläserschmoove bilden die Kulisse für Tom Waits' sauberen Falsettgesang in 'Talking At The Same Time' und einen Text, der verdeutlicht, dass der Westen™ gegenwärtig wieder dort steht, wo er vor rund neunzig Jahren schon stand: "Well it's hard times for some / for others it's sweet / someone makes money when there's blood in the street / ... / well we bailed out all the millionaires / they got the fruit / we got the rind / and everybody's talking at the same time."
Eingängiger ist er geworden, der alte Waits. Und er hat den jungen Waits, Sohn Casey am Schlagzeug, mit ins Familienunternehmen aufgenommen. Mutter Kathleen Brennan ist ja seit über zwanzig Jahren zuverlässige Mitstreiterin und hat auf "Bad As Me" sämtliche Songs mitverfasst. Besonders eingängig und aus einem Guss klingt 'Get Lost', wo Gastgitarrist David Hidalgo von den LOS LOBOS und Casey Waits den Rhythmus am swingen halten, während Ol' Tom wie Altpunk Alan Vega im Elvis-Presley-Modus abgeht. Maedgen und Jaffe blasen das Proto-Rock-Feuer dieses altmodischen Beatmonsters zusätzlich an, und Patrick Warren steuert ein paar Tastentöne bei, während das Duo infernale Taylor/Ribot die zundertrockenen Elektro-Saiten hart twangen und wilde Funken schlagen lässt. Man wähnt sich in den Fünfzigern, mitten in einem außer Rand und Band tobenden Tanzschuppen.
Mit dem Bawler 'Face To The Highway' und Dawn Harms an der Violine sowie bei 'Pay Me' mit dem prairiefolkig inspirierten Akkordeon/Violine-Duo Augie Meyers & David Hidalgo zu Toms sanft-rauchiger Balladenstimme kehrt einstweilen etwas Besinnlichkeit ein, und wer im Finale von 'Pay Me', nachdem die letzte Zeile "and the next stage I am on, it will have wheels" verklungen ist und Tom zu einem nostalgisch traurigen Westernpianosolo anhebt, keinen Kloß im Hals spürt, hat kein Herz. Diese leichte Bluegrassnote setzt sich noch ein wenig fort im vorwiegend von Hidalgo begleiteten 'Back In The Crowd', einem wunderschönen Abschiedssong für frisch Verlassene.
Danach darf Innovationsgitarrero Marc Ribot wieder zeigen, dass er der mit Abstand baddest motherfucker der mager-sehnigen, stoischen Spielweise ist. Musselwhite an der Harmonika ist sowieso legendärer als Charles Bronson an Strick und Colt zusammengenommen. Der von Tom Waits neu hinzugewonnene Saxofonist Clint Maedgen springt mit ein paar wohlgesetzten Baritonstößen in die Breschen, die Casey Waits an der dröhnenden Bassdrum und Ribots nervenzerrende Licks ihm überlassen, alldieweil Old Grumpy lässig dreifach gereimte Metaphern ("you're the wreath that caught fire / you're the preach to the choir") aus seiner Krächzkehle zieht, dass Ol' Dirty Bastard dagegen wirkt wie ein ausgebleichter Blueser, der seinen Groove verloren hat.
Doch auch die alte, leicht süßliche, kaum herbe Songwriterromantik der Siebziger Jahre darf 2011 noch einmal zum Zuge kommen. So klingt das nostalgische 'Kiss Me' wie eine Reminiszenz an Waits' Tage der Adoleszenz und Alben wie "The Heart Of Saturday Night". Mit 'Satisfied' allerdings haut Tom dann wieder einen schwer groovenden Rootsrock raus, der sich nichtmal zu waschen braucht. "Wenn ich abgetreten bin, rollt meine Wirbel wie Würfel aus", fordert er da und stellt gegenüber dem dritten Gitarristen Keith und dessen langjährigem Weggefährten Mick klar, dass Tom nicht gedenkt, ohne seine Satisfaction abzutreten.
Man braucht allerdings nicht zu meinen, "Bad As Me" sei ein reines Retroalbum. 'Last Leaf' ist eine nahezu zeitlose Songwriterballade, die zu den schönsten zählt, die je geschrieben wurden, und direkt danach folgt mit dem großartigen 'Hell Broke Luce' ein Stück, wie es aktueller kaum sein könnte. Das kaum gezügelte Pandemonium von "Real Gone" wird hier noch auf die Spitze getrieben, sodass dieser (Anti-)Krieg-Song auch ohne Metal heavier als MOTÖRHEADs 'Orgasmatron' und ähnlich zerrissen wie Jimi Hendrix' 'Star Spangled Banner'-Version klingt.
Wenn David Hidalgo dann zu 'New Year's Eve' endlich doch noch sein Akkordeon hervorholt, ist eh alles aus, man sitzt nur noch gebannt da, Mund und Ohren weit offen, die Augen wässrig, und lauscht und laucht und lauscht wie ein lebendiger Schwamm nach Monaten der Dürre, begierig alles in sich aufzusaugen und nie mehr zu vergessen.
Kommen wir zu den Bonustracks der Limited Edition:
'She Stole The Blush' ist spartanischer Schrägiejazz mit einem klackernden Rhythmus, 'Tell Me' erinnert am ehesten an 'Downtown Train', doch 'After You Die' geht in eine völlig neue, frische Richtung. Mit so einer, etwas quäkenden, Stimme wie hier sang Waits noch nie, und auch der sehr offene, nächtlich anmutende Sound der Instrumentalbegleitung verleiht seiner Kunst eine neue Facette. Da freut man sich schon jetzt auf weitere Alben des Gespanns Brennan/Waits.
Anspieltipps: Raised Right Men, Talking At The Same Time, Pay Me, Bad As Me, Hell Broke Luce, New Year's Eve, After You Die.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Eike Schmitz