WATAIN - The Wild Hunt
Auch im Soundcheck: Soundcheck 08/2013
Mehr über Watain
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Century Media (Universal)
- Release:
- 16.08.2013
- Night Vision
- De Profundis
- Black Flames March
- All That May Bleed
- The Child Must Die
- They Rode On
- Sleepless Evil
- The Wild Hunt
- Outlaw
- Ignem Veni Mittere
- Holocaust Dawn
Von der Kunst, Musik zu schreiben
Mit "Lawless Darkness" setzte sich die Band 2009 ein Monument, welches sie, wie Kollege Rüdiger in seinem damaligen Review treffend bemerkte, "unsterblich machen wird". Das Problem am Unsterblichsein ist in diesem Fall die Weiterexistenz als Band, will sagen: Der Zwang zu einer neuen Veröffentlichung, die alte Meilensteine in den Schatten zu stellen weiß. WATAIN ist dieses Kunststück gelungen - und mit welcher Bravour!
Den Auftakt bildet 'Night Vision', das erste Intro der Band. Ruhig ist dieser Anfang, auch träumerisch, wenngleich auf eine sinistre Art und Weise, bevor sich eine majestätische Leadgitarre über langsamer Doublebass erhebt. Feedbacks und leises Klimpern schaffen eine düstere Ruhe vor dem Sturm, die brutal von 'De Profundis' zerfetzt wird. Der Kontrast zum ruhigen Beginn könnte größer nicht sein. Mörderisches Riffing, hohes Tempo, bis abrupt die Bremse zum Chorus hin gezogen wird in einen pompösen, mit Pauken unterlegten Break. WATAIN ziehen alle erlernten, hier passenden Register: Eingängigkeit trotz eines strukturell unvorhersehbaren Songwritings, Brutalität und Erhabenheit vereint in einem Orkan ungestümer Wildheit.
Wie auch beim Band-Klassiker 'Legions Of The Black Light' verfasste Live-Gitarrist Set Taitan den Text zu 'Black Flames March', der bald wohl einen ähnlichen Stellenwert im Set der Band einnehmen wird. Eine tiefe Verbeugung gen BATHORY in Teilen der epischen, im Hintergrund von einer Akustikgitarre begleiteten, Strophe und ein Chorus, der als Archetyp des Faustreckens fungieren könnte. Auch hier wird im weiteren Verlauf nicht stupide schon bekannte Elemente wiederholt, sondern das Stück entwickelt sich weiter, wird eingerissen, baut sich auf, explodiert in einem mörderischen Break und findet schließlich zum Anfangsschema zurück.
Die beiden folgenden Stücke sind dem Hörer vermutlich schon bekannt. 'All That May Bleed' stellt eine weitere, erneuerte Facette im Kosmos der Band dar, der Beweis eines ureigen entwickelten Stils: Wahnsinn, aber kontrolliert. Chaos durch Strukturvielfalt und abwechslungsreiches, anbetungswürdiges Riffing. In diesem Fall weniger stürmisch nach vorne preschend oder stoisch voranschreitend, dieses Stück ist wie ein Kriegsschrein, ein Altar auf Schlachtfeldern, unter dessen Panzerketten alles, was sich wiedersetzt, zu Staub zermahlen wird. Dagegen wirkt 'The Child Must Die' zunächst wie eine Antithese. Eingängiges Riffing und ein episch-melodischer Refrain, in dem Eric Danielson von einer schwebenden Lead-Gitarre begleitet wird; näher waren WATAIN nie an der Vorbildband DISSECTION. Auch hier zerstört ein Break, dessen Chromatik irgendwo aus der Hölle stammt, die Sicherheit der eingängigen ersten Hälfte. Gewinner des Stückes ist die Lead-Gitarre, welche dem Ganzen mit einer Gänsehaut-Darbietung eines typisch schwedischen Singlenote-Leads die Krone aufsetzt.
Nun legen wir bitte eine kurze Gedenkminute ein. Denn was nun kommt, ist etwas, das fast unmöglich ist und gleichzeitig und gerade deswegen wunderbar. Es wird noch melodischer als zuvor und Eric Danielson schreit nicht, er singt! Was ist geschehen? Die Band hat mit 'They Rode On' ihre erste Ballade geschrieben und passender war ein Stück selten auf einem Album der Band. Nie ging man emotionaler, auch verletzlicher (dies wohl zum ersten Mal) zu Werke. Und doch: Es ist WATAIN, unverkennbar, spätestens zu diesem Zeitpunkt hat es das Trio geschafft, ein weiteres Meisterwerk zu schreiben. Der Leser mag es schon bemerkt haben, dass "The Wild Hunt" sehr stark von seinen Kontrasten lebt, weswegen mit 'Sleepless Evil' ein Brecher folgt, der zu Anfang klingt, als ob SARCOFAGO nach Schweden gereist wären. Doch WATAIN sind weiter, gereifter als die Underground-Legende, nie wird ein Stück in nur einer Artikulationsart bestritten und das einzige, was wirklich vorhersehbar ist, ist der Wechsel, welcher in der Mitte kommt. Ohne nur aus Blastbeats zu bestehen, zusammen mit 'De Profundis' das brutalste Stück des Albums.
Das Titelstück folgt und kehrt die epische Seite der Schweden bevor, mit einem nie zuvor von der Band gehörten BATHORY-Einschlag, Eric klingt stellenweise sogar etwas nach Quorthon, was am schwedischen Akzent liegen mag. Und doch, und das ist das Wichtige und Geniale: Die Band klingt nie wie eine Kopie, sondern wahrt stets ihre Identität und eigenen Stil. Gleichzeitig ist auf 'The Wild Hunt' mit 'They Rode On' das melodischste Stück, was die Band bis dato geschrieben hat – eher melancholisch als aggressiv, mit dunklen Chören und einem gefühlvoll-melodischen Solo zum Niederknien, welches, abgerundet von spanischen Gitarren, das Stück beschließt.
Für 'Outlaw' nutzt die Band Voodoo-artige Trommeln und beschwörende Rufe als Rahmen, welcher einen höchst aggressiven Bastard aus chaotischem Black Metal und räudigem Speed Metal einfasst. Bevor das Album mit 'Holocaust Dawn' beschlossen wird, gibt es 'Ignem Veni Mittere' ein Instrumental, welches überlebensgroße DISSECTION-Referenzen mit einer dissonanten zweiten Hälfte, ganz als ob die Band sagen wollte "es gibt noch weit mehr als das", kontrastiert. Das elfte Stück, das Ende eines Meilensteins: Der 'Holocaust Dawn' vereint Altes wie Neues retrospektiv und ist als solcher, zumindest musikalisch, ein Statement, wie unglaublich vielfältig Black Metal im Allgemeinen sein kann und diese Band im speziellen ist: Rasende Blastbeats und schleppende Doublebass, typischer, eiskalter schwedischer Black Metal, majestätische Erhabenheit und Pomp, das morbide Bild einer sinistren Welt (hier auf die Spitze getrieben in einem herrlichen Waltzer-Part mit Akkordeon) die Grauen, Melancholie, Schönheit und bestialische Brutalität kennt.
Was könnte ich kritisieren? Das Album wird auf viele durch die größere Bandbreite vermutlich weniger hart als die Vorgänger wirken, insbesondere natürlich im Vergleich zu den ersten zwei Alben. Doch brutal geht es auf "The Wild Hunt" definitiv zu, auf verschiedenen Ebenen, in meinen Augen stellenweise sogar härter, als auf "Lawless Darkness" oder "Sworn To The Dark". Die Kehrseite dieser Diversität wiederrum ist, dass man der Band ebenso "zerfahrenes Songwriting" vorwerfen wird, da man in Teilen auch die Eingängigkeit der beiden Vorgänger wieder etwas abgestreift hat und verdrehter, überraschender zu Werke geht.
Handwerklich ist das Album über jeden Zweifel erhaben. Nicht die instrumentale Technik, die in den Stücken dargeboten wird ist virtuos, aber die Kunst, mit der die Stücke arrangiert wurden. Das Trio Eric, Pelle und Hakan ist zu Musikern gereift. Ein Frontmann, der seinesgleichen sucht, Pelle, dessen gefühlvolles Solospiel (They Rode On, The Wild Hunt) wie auch die heftigsten Riffmassaker à la 'Outlaw' eine größere Musikalität offenbaren, als sie viele Bands je erreichen werden und Hakan, der zwar kein Frost oder Helhammer ist, dessen Drumming dafür aber durch größtmöglichen Abwechslungsreichtum glänzt. Dabei bleibt "The Wild Hunt" als Ganzes stets ein Black Metal-Album, egal ob eine Ballade zum Blaupausen-Material der Szene gehört oder nicht, egal, ob man sich immer wieder bei den Strukturen "klassischer" Metal-Riffs bedient. Das, was am Ende dabei rauskommt, klingt immer unverwechselbar nach WATAIN.
Ein wichtiger Faktor für diese Fülle an Details und sichtbare Sorgfalt in allen Belangen dürfte auch der längste Studioaufenthalt bis dato gewesen sein. Selbstverständlich wurde wieder bei Necromorbus aufgenommen, zudem nutzte man für Teil-Aufnahmen noch drei weitere Studios. Das Endergebnis ist ein Sound, der, vergleichsweise leise abgemischt, ein rundes Ganzes bildet, in dem jedes Instrument genug Luft zum Atmen hat, ohne drucklos zu verpuffen oder den brutalen Stellen ihre Wildheit zu nehmen. Sehr schön sind kleine Feinheiten, wie die Halleffekte in 'De Profundis', die zeigen, wie durchdacht hier zu Werke gegangen wurde.
Selbstverständlich schreiben WATAIN streng genommen nichts Neues, im Sinne eines extremen stilistischen Wandels. Die Band begeht nicht den Fehler, Weiterentwicklung mit dem Fehler manch anderer Künstler zu verwechseln: Das sich vergebliche Recken entweder nach einer verlorenen Jugendlichkeit oder nicht erreichter Reife, ausgedrückt in bemühten Änderungen im eigenen Schaffen, im krampfhaften Hieven auf eine augenscheinlich neue Stufe, die nur Rückschritt bedeutet. Eric Danielson hat recht gehabt, als er von der Band sagte, sie seien "zu rastlos, um stillzustehen." Entwicklung ist Teil des Naturells dieses Trios. Das stark retrospektive Moment, das "The Wild Hunt" oft innewohnt (der Titel selber ist auch eine Anspielung auf die Geschichte der Band) verhält sich dazu gewissermaßen komplementär. Retrospektiv ist auf seine Weise auch der Umgang mit offensichtlichen Wurzeln, die diesmal so stark wie nie zuvor treten: Sei es BATHORY-artige Akustikgitarren-Arrangements hier oder dort 'They Rode On', das erstmals die Wichtigkeit von FIELDS OF THE NEPHILIM für die Band auch musikalisch deutlich macht.
Wie auch schon der Vorgänger präsentiert sich "The Wild Hunt" als perfektes, in sich geschlossenes Ganzes, welches mit jedem feinen Detail, das beim tieferen Eintauchen in dieses Kunstwerk entdeckt wird, weiter wächst. Nicht nur unter diesem Gesichtspunkt ist WATAIN eine Band, die für mich einen Idealtyp verkörpert: Stets feiner, musikalischer und ideenreicher als zuvor, ohne sich einen Deut um die Erwartungshaltungen anderer zu scheren. WATAIN gelingt es, in einer Szene, welche abartigerweise in gewissen Teilen primitiven Dilettantismus aus dem missverstanden Ruf nach Reduzierung auf das Wesentliche kultiviert hat, ein Monument zu errichten, etwas Neues und Eigenes zu schaffen. Besonders: Musik. Die Band schafft es, allem Schmutzigem und Rohem, das natürlicherweise der Musik angelegt ist, etwas Edles beizufügen, eine Eleganz, die ich nur von wenigen anderen Bands des Genres kenne. Über eine Dekade lang erschufen sich WATAIN einen eigenen Stil - auf "The Wild Hunt" ist er unkopierbar geworden.
Anspieltipps: Alles, wieder und immer wieder und 'They Rode On' noch ein bisschen mehr!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Christian Schwarzer