WATCHTOWER - Concepts Of Math:Book One
Mehr über Watchtower
- Genre:
- Techno Thrash
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Prosthetic Records
- Release:
- 07.10.2016
- M-Theory Overture
- Arguments Against Design
- Technology Inaction
- The Size of Matter
- Mathematica Calculis
Nach 27 Jahren wird im Wachturm kalkuliert.
Das seit 27 Jahren angekündigte, dritte Album der texanischen Frickel-Thrasher WATCHTOWER, welches den Titel "Mathematics" tragen soll, ist ein ewiger Running Gag unter Freunden verschachtelter Rhythmikverschiebungen. Die Band, die in den letzten Jahren immer wieder mal für einzelne Festivalauftritte aus der Versenkung auftauchte, nur um danach recht schnell wieder in eben jener zu versinken, sorgte zuletzt im Jahr 2010 für Verwirrung. Erschien in diesem Jahr mit dem famosen 'The Size Of Matter' doch tatsächlich ein neuer Song, der als Appetizer für den Maulsperren-Auftritt auf dem Keep-It-True-Festival, diente. Alles sah danach aus als würden die Aufnahmen im legendären "Control & Resistance"-Line-Up tatsächlich weitergehen. Aber bereits kurz nach dem umjubelten Auftritt folgte die Ernüchterung: Sänger Alan Tecchio wurde aus den Diensten entlassen und alles sah so aus als könnte man das Kapitel "Mathematics" endgültig ad acta legen. Gitarrist Ron Jarzombek konzentrierte sich mehr auf sein Baby BLOTTED SCIENCE und seine Touraktivitäten als Sidekick von Marty Friedman und Sänger Alan Tecchio erfreute uns mit gelungenen Auftritten von HADES und HEATHENS RAGE. Niemand rechnete mehr mit einem Lebenszeichen des texanischen Wachturms.
Als hätte das Quartett genau darauf spekuliert, erschienen anno 2015 drei brandneue Nummern digital im Netz und die Ankündigung, man würde demnächst eine EP in physikalischer Form nachlegen. Dies ist nun geschehen und etliche Farben des limitierten Vinyl sind bereits ausverkauft. Ein eindeutiges Zeichen, dass noch immer ausreichend viele Freaks heiß auf solche Musik sind.
Für alle, die sich die digitalen Veröffentlichungen vorab nicht angehört haben bleibt natürlich die bange Frage, ob die Band dort ansetzt, wo sie 1985 ("Energetic Disassembly") und 1989 ("Control & Resistance") staubwirbelnd im Underground herumgetobt ist. Aber auch für die, die die vier Songs bereits auswendig mittanzen können, bleibt mit dem 10 Minuten langen Abschlusstitel noch ein unbekannter Song übrig. Frickeling value also.
Das dreieinhalb Minuten lange, instrumentale 'M-Theory Overture' zeigt dann sofort, wer der Herr Des Frickels ist. Als hätte man in den letzten beiden Dekaden tagtäglich nichts anderes gemacht als progressive Cerealien in sich hinein zu schaufeln, zwirbeln die drei Musikanten hier diagonal verknotete Swings auf Parkett, die Gene Kelly die Plättchen unter der Sohle schmelzen lassen. Wie gewohnt, hat man das Gefühl mindestens drei Jarzombeks Gitarre spielen zu hören, aber jeder, der die Band schon mal live erleben – in diesem Fall ist "sehen" ein Understatement – durfte, weiß, dass Ron die anderen Spuren per Fußpedal jederzeit abrufen kann. Ein Auftakt nach Maß also. 'Arguments Against Design' beginnt dann mit einem knackigen Keyser-Bass, welcher quasi während der gesamten Nummer für eine angenehme Unruhe sorgt. Die ganze Zeit blubbern die vier Saiten pumpend nervöse Noten aus den Boxen und ohne Tecchios' Gesanglinien wäre man im instrumentalen Dschungel komplett verloren. Heiße Scheiße.
Ganz anders tönt dann 'Technology Inaction'. Diese Nummer scheint mit so etwas wie einem Refrain ausgestattet zu sein, was aber auch nur eine akustische Täuschung sein kann, denn wirkliche Hooks entwickelt dieser Titel auch erst nach etlichen Umdrehungen. Deutlich melodischer als sein Vorgänger entpuppt sich 'Technology Inaction' schnell zum heimlichen Hit dieser EP. Die eingestreuten abgestoppten Passagen, sowie der Rhythmusunfall in der Mitte der Nummer werden bei ungeübten Ohren allerdings erneut auf Fragezeichen stoßen. 'A Size Of Matter', der Song, welcher bereits auf dem in der Einleitung erwähnten Festival gespielt wurde, klingt dann wie eine Mischung aus den beiden voran gegangenen Nummern. Ein zackiges Riffing über Primzahlen-Takten, dazu ein ungewohnt harter Gesang, welcher erst im Pre-Chorus leicht und melodisch wird. Mittendrin gibt es erneut wunderbar verzwirbelte Instrumentalpassagen, die von einer Narration unterbrochen werden. Exzellent.
Kommen wir nun zu dem gierig erwarteten komplett unbekannten Song namens 'Mathematica Calculis', dem Quasi-Titelsong des lange überfälligen Albums. Etwas über zehn Minuten lang ist er ausgefallen und schon die ersten zwei Minuten verwirren den Hörer. Er erinnert ein wenig an SPASTIC INK mit seinen verschleppten, wuchtigen Drumbeats und der plötzlich auftauchenden Leadgitarre. Wer nun eine irrwitzige Achterbahn mit Schwindel erwartet, wird leicht irritiert sein, denn dieser Song ist anders strukturiert als alles, was wir bisher von WATCHTOWER zu hören bekommen haben. An manchen Stellen glaube ich die akustische Umsetzung von hektischem Doom zu hören, an anderen bewegt sich das Quartett so dicht an Radiotauglichkeit wie nie zuvor. Nicht, dass jetzt jemand befürchtet, es gäbe so etwas wie Eingängigkeit in dieser Nummer, aber die Gesangsmelodie zwischendurch ist schon sehr einprägsam. Ich muss nicht erwähnen, dass die Instrumente dazu recht schräges Zeug spielen, oder? Völlig überraschend kommen dann plötzlich kurze Gangshouts aus dem Nichts und im Finale scheinen die Herrschaften im RUSH-Wahn zu musizieren, was natürlich dem vertonten Wahnsinn gleich kommt.
Ihr merkt also: Die fünf Nummern sind pures WATCHTOWER-Futter und obwohl sie so klingen, wie der direkte Nachfolger des Jahrhundertalbums "Control & Resistance", tönen sie noch immer ihrer Zeit voraus. Klar, die damalige Definition von Sci-FI-Metal kommt heute nicht mehr hin, aber es ist doch erstaunlich, wie wegweisend diese Band (noch immer) ist. Nun können wir nur hoffen, dass jetzt nicht wieder Schicht im Schacht ist und dass wir die restlichen Nummern auch noch zu hören bekommen und dass es noch ein paar Liveaktivitäten in der alten Welt geben wird. Denn: Eine abgefahrenere Performance habe ich noch nie gesehen.
Resistance is still out of control!
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae