WINTERSUN - Time II
Auch im Soundcheck: Soundcheck 08/24
Mehr über Wintersun
- Genre:
- Melodic Death Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Nuclear Blast
- Release:
- 30.08.2024
- Fields Of Snow
- The Way Of The Fire
- One With The Shadows
- Ominous Clouds
- Storm
- Silver Leaves
Was lange währt, wird endlich gut?
Kann das wirklich sein? Liegt hier wirklich "Time II" von WINTERSUN vor mir auf dem Schreibtisch? Als Mastermind Jari Mäenpää vor wenigen Wochen die Veröffentlichung ankündigte, war ich zumindest noch skeptisch, ob das wirklich alles wahr ist, immerhin hat sich die Scheibe schon lange vor Release einen nahezu mythischen Ruf erarbeitet, mit dem in der Rock- und Metalszene sonst wohl nur "Chinese Democracy" von GUNS'N'ROSES mithalten kann. Doch was ist eigentlich passiert? Nun, im Jahr 2012 erschien nach ebenfalls langer Wartezeit "Time I" und befeuerte den Hype weiter, der um WINTERSUN herum nach dem grandiosen Meilenstein von einem Debüt entstanden war.
Der im Titel angedeutete zweite Teil sollte dann eigentlich zeitnah erscheinen, doch im Anschluss häuften sich die Probleme beim Mix des Albums. Erst war Jaris Rechner nicht ausreichend dimensioniert, dann hatte er nicht die passenden Räumlichkeiten und technischen Mittel, um das von ihm ersehnte Ergebnis zu erzielen. Im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne, in deren Zuge auch das Album "The Forest Seasons" erschien, wurde daher versucht, Geld für ein eigenes Studio aufzutreiben. Die Kampagne war im Jahr 2017 zwar mehr als erfolgreich, doch wirklichen Fortschritt gab es auch im Anschluss nicht zu vermelden, während sich die Band mehr mit Content auf Patreon und den sozialen Medien im Gedächtnis der Fans zu halten versuchte und Kai Hahto, Jukka Koskinen (beide NIGHTWISH) und Teemu Mäntysaari (MEGADETH) sich Jobs in anderen großen Bands suchten, um den eigenen Lebensunterhalt zu stemmen.
Die Basis der Fans spaltete sich während all dieser Entwicklungen in zwei Lager: Auf der einen Seite die Kritiker, die Jaris Ausflüchte nicht mehr hören wollten und darauf verwiesen, dass auch andere Musiker mit zeitlichen, finaziellen und technischen Restriktionen tolle Alben produzieren, während die anderen den Mastermind weiterhin vergötterten und ihn dafür respektierten, dass er mit allen Mittel seine kreative Vision so perfekt wie möglich umsetzen wollte. Ich bin ehrlich, ich gehöre tatsächlich eher zur ersten Fraktion und habe über das ganze Hin und Her, wie auch durch das doch schwache "The Forest Seasons", nach und nach mein Interesse an der Band verloren, die dennoch mit dem Debüt weiterhin eines meiner liebsten Melodic-Death-Alben aller Zeiten stellt. Die Spannung, nun das lange ersehnte "Time II" doch endlich zu hören, könnte trotz dieser Entwicklung auf meiner Seite aber nicht größer sein. Damit also genug des Vorgeplänkels und ran ans Eingemachte, das uns in über 45 Minuten sechs frische Kompositionen präsentiert.
Die Eröffnung fällt mit dem Intro 'Fields Of Snow' etwas ernüchternd aus, denn auch wenn die japanisch angehauchten Melodien mir sehr gut gefallen und in Sachen Sound wunderbar in Szene gesetzt werden, ist die Nummer doch irgendwie etwas zu lang geraten und kann die Spannung mit gleichförmigen Melodien trotz schöner Steigerung nicht halten. Glücklichweise entpuppt sich 'The Way Of The Fire' danach als kompromissloser Volltreffer, der bei mir sofort wieder eine Gänsehaut auslöst und wohlige Gedanken an das grandiose Debüt weckt. Klar, der Zugang zum Longtrack fällt dabei leichter, weil man den Song bereits von vergangenen Touren und diversen YouTube-Mitschnitten der Live-Aufführungen her kennt, doch auch ohne diese Vorkenntnisse bietet die Nummer alle Trademarks, die Zuhörende sofort in ihren Bann ziehen. Die temporeichen Drums und Rhythmusgitarren krachen mit ordentlich Wucht, die Gitarrenmelodien haben die von mir so geliebte folkige Note und sägen teils einfach nur herrlich aus den Boxen, während Jari sich nicht nur wuchtig die Seele aus dem Leib growlt, sondern mit seinen Klargesängen dem Track die nötige Portion Epik verpasst. Das gewohnt innovative und schlicht perfekte Gitarrensolo ist da nur die Kirsche auf der WINTERSUN-Torte, die heute noch genauso gut mundet, wie beim Erstkontakt, der mich sofort zum Fan der Band bekehrte.
Auch 'One With The Shadows' nimmt den zugespielten Ball sofort auf, drosselt allerdings das Tempo ein wenig und entpuppt sich als melodisch-groovender Epik-Brocken, dem Jaris' großartige Gesangsharmonien die Krone aufsetzen. Auf einen tollen Mittelteil mit prägnanten Gitarrenleads müssen wir dennoch nicht verzichten, bevor die gewohnte Melodie-Handschrift WINTERSUNs im letzten Drittel das Zepter übernimmt und einen weiteren grandiosen Song komplettiert. Schade, dass im Anschluss das bluesig angehauchte und für mich etwas unnötige Zwischenspiel 'Ominous Clouds' das Tempo noch weiter rausnimmt, bevor sich 'Storm' als temporeiche Abrissbirne im Stile eines Krachers wie 'Beautiful Death' gibt. Das Problem ist hier nur, dass weder die Riffs noch die Leads im Großen und Ganzen richtig hängen bleiben wollen, auch wenn die Brillianz aller Musiker immer wieder durchscheint. Erschwert wird die Sache dann auch noch davon, dass Jari es bei der Produktion mit Orchester-Schichtung und den Gewitter-Sound-Effekten für meinen Geschmack etwas übetrieben hat, was den Fokus zusätzlich vom metallischen Kern der Nummer weg lenkt, deren epische Spielzeit hinten heraus von einem akustischen Nachspiel künstlich etwas aufgebauscht wird. Gleiches gilt übrigens auch für 'Silver Leaves', dessen zweiminütiges Rausch-Ende auch nicht zwingend nötig gewesen wäre. Dafür präsentiert die Nummer mit teils fast balladesken Zügen und episch-wuchtigen Refrains eine etwas andere Seite des Bandsounds, bei der sich vor allem Jari mit seinen dichten Gesangsarrangements hervorragend in Szene setzen kann, während die Gitarren mit gewohnt folkig angehauchten Leads ebenfalls zahlreiche Akzente setzen und einen weiteren starken Song veredeln.
So überwiegen bei mir am Ende, gerade im Vergleich zu "The Forest Seasons", vor allem positive Gefühle, denn über weite Strecken präsentiert "Time II" genau die grandiose Band, in die ich mich mit dem Debüt verguckt habe. An den rohen Charme und die schlicht überbordende Hit-Dichte kommt "Time II" dennoch nicht heran, auch weil mir oftmals gerade in Sachen Keyboards und Orchester-Samples doch etwas zu viel passiert, was stellenweise die Songs fast schon überfrachtet. Die große Frage bleibt damit am Ende, was aus "Time II" hätte werden können, hätten die vielen Stolpersteine das Album nicht über zwei Dekaden hinweg geplagt. Mit der Kürzung von ein paar Füllern und überlangen Outros, etwas weniger Zeit, um manchen Song vielleicht zu oft zu "zerdenken", und einer Raffung der Höhepunkte zu einem "Time"-Album, hätte das Material nämlich locker das Potential dazu, mit dem über allem thronenden Debüt mitzuhalten und zehn Zähler einzufahren. In der aufgeteilten Fassung reicht es für mich aber "nur" zu 8,5 Punkten, aus denen in der Langzeitwirkung vielleicht noch neun Zähler werden könnten. Eine Anschaffung der Scheibe rechtfertigt sich für Fans aber allein schon wegen 'The Way Of The Fire', denn die Nummer ist schlicht und ergreifend ein Meisterwerk!
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Tobias Dahs