I'm Not There
- Regie:
- Todd Haynes
- Jahr:
- 2008
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA/Deutschland
1 Review(s)
17.10.2008 | 14:01Woody Guthrie (Marcus Carl Franklin) ist ein elfjähriger Vagabund mit der Lebenserfahrung eines 45-Jährigen, ausgebüchst aus einem Heim und als Tramper mit seiner Gitarre unterwegs, um ein großer Star zu werden. Er singt von Dingen, die so passieren, und sein Gitarrenkoffer trägt die Aufschrift "This machine kills fascists".
Arthur Rimbaud (Ben Wishaw) erklärt sich einem Untersuchungsausschuss und vermittelt seine Sicht der Kernexistenz eines Künstlers.
Jack Rollins (Christian Bale) hat als Musiker alles erreicht. Er ist das Vorbild einer ganzen Generation, singt ihnen in seinen Folk-Songs direkt aus und in die Seele und gilt bereits als Legende. Doch der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit lastet schwer auf ihm, und nach diversen Fehltritten sucht er sein Heil schließlich ihm Christentum.
Schauspieler Robbie Clark (Heath Ledger) steht vor dem Höhepunkt seiner Karriere und dem Tiefpunkt seiner Ehe. Der Erfolg ist ihm zu Kopf gestiegen, ließ ihn egozentrisch und zynisch zugleich werden und entzweit ihn so von Frau und Kindern.
Jude Quinn (Cate Blanchett) durchlebt einen musikalischen wie politischen Umbruch, gibt sich als fatalistisch-unnahbarer Rockstar und raucht Kette. Von allen Seiten gerät er in die Kritik, sei es wegen seines fragwürdigen Stilwandels oder seiner überheblichen Selbstdarstellung. Noch dazu kämpft er gegen sich selbst, seine Drogensucht und eine verflossene Affäre.
Billy the Kid (Richard Gere) hat sich in einem verlassenen Provinznest niedergelassen, lebt abgeschieden von der Außenwelt und genießt seine Freiheit, als sein gewissenloser Rivale droht, die Stadt für den Bau einer Straße dem Erdboden gleichzumachen. Das ruft den verwahrlosten Kid zurück auf den Plan, um ein letztes Mal gegen seine Gegner anzutreten.
Die angelegten Eckdaten dieses Films sowie die Person (bzw. deren Leben), die als Inspiration für dieses Monumentalwerk diente, sollten für jeden Vorwarnung genug sein, der mit sprunghafter Handlung, surreal anmutender Philosophie und metaphorischer Erzählweise nichts am Hut hat. Sechs hochklassige Schauspieler verkörpern sechs Facetten eines Künstlers, der in seiner Karriere unzählige Wandel und Schwankungen durchlebt und die Musik der 60er und 70er entscheidend geprägt hat.
Die Art und Weise, wie der Film sich aufbaut, ist dermaßen unklassisch, dass ich zumindest zu Beginn keinerlei Ahnung hatte, was mir das Ganze sagen oder wohin es mich führen soll. "I'm Not There" verbindet Roadmovie, Biographie, Dokumentarfilm und Drama gekonnt zu einem konfusen Schnittwerk, das aber speziell durch die Musik nicht auseinanderfällt, sondern fernab jeglicher chronologischer Zwänge ein umfassendes Charakterporträt Bob Dylans abliefert. Verwirrend ist vor allem, dass Dylan selbst nicht vorkommt, sondern für jede Lebensphase eine metaphorische Figur geschaffen wird, die an seiner statt die Kerncharakterzüge einer jeden Phase wiedergibt. Dass diese Figuren zum Teil die Namen wahrhaft existierender Personen tragen, trägt nicht gerade zur Klarheit bei, kann aber akzeptiert werden (zumal jede Person auch im wahren Leben Bezug zu Dylan hatte, inklusive des Erzählers, der niemand anderer ist als Kris Kristofferson).
Bob Dylan hat vor allem durch seinen sprachlichen Anspruch in Texten und Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht, und der Film sieht sich genauso, wie sich ein Dylan-Text liest: rätselhaft, nicht einfach zu fassen, voller Metaphorik und irgendwie weltfremd. Dabei sind die Themen zum Teil denkbar banal. Eine durch Drogen und Erfolg verkorkste Musikerpersönlichkeit, eine gescheiterte Liebesbeziehung, der Weg zur geistigen Erleuchtung. Nichts Außergewöhnliches, aber so gekonnt und ungewöhnlich erzählt, dass es außergewöhnlich erscheint. Bei der Entstehung des Films hat man sich sichtbar tief mit dem Schaffen Dylans auseinandergesetzt. Jede Sekunde atmet ihn, und in so liebevollen Details wie der Neuverarbeitung eines seiner Filme, um ihn selbst zu charakterisieren, zeigt sich, dass es hier nicht um eine "stumpfe" Künstlerbiographie wie zum Beispiel "Walk the Line" handelt. Dylans Leben war ein Experiment, so auch dieser Film.
Der Soundtrack besteht, natürlich, aus einem Querschnitt der Dylan'schen Musik, teilweise original, teilweise neuinterpretiert. Mich, der ich bis dato weder von Dylan noch seiner Musik wirklich einen Begriff hatte, hat es angestoßen, mich in diese so bodenständige und doch irgendwie abgehobene Musik zwischen Folk und Rock einhören zu wollen. Überhaupt hat der Film das vermeintliche Ziel eines Biopics, nämlich das Interesse an einem Künstler zu wecken, genauso erfüllt wie die Verneigung vor dessen Kunst selbst.
Kritisieren muss man lediglich, dass die große Ansammlung aus Musik- & Bildcollagen einem so häufig das Filmende vorgaukelt, dass die 135 Minuten Länge am Ende wirken wie drei Stunden. "I'm Not There" ist kein Popcornkino, sondern hochgradig anstrengend. Und teils verliert er sich ein wenig in der eigenen Verworren- und Verspieltheit. Wer aber nicht (wie ich anfangs) verzweifelt nach einem Handlungsstrang sucht, sondern das Gesamtbild einfach auf sich wirken lässt, kann am Ende eigentlich nur begeistert sein. Vorwissen über die Biographie Dylans kann sicherlich nicht schaden, wobei ich es fast für intensiver halte, den Film erst auf sich wirken zu lassen und zum Anlass zu nehmen, mehr zu erfahren. So entfaltet Todd Haynes' Drama seine volle Wirkungskraft und transportiert Dylan erfolgreich ins neue Jahrtausend. Der dokumentarische Stil, der vor allem in der Jack-Rollins-Episode absolut glaubwürdig gefälscht wurde, ist ein hervorragend eingesetztes Stilmittel, das im Kontrast zur dramatischen Prosa der Jude-Quinn-Story oder dem Western-Flair eines Billy the Kid eine herrliche Mischung aus Interesse, Faszination und Mitgefühl weckt.
Die Namensriege, mit der Haynes aufwarten kann, spielt bereits auf dem Papier große Teile des aktuellen Kinoportfolios an die Wand. Da wäre der junge Marcus Carl Franklin, der das viel zu früh gealterte Kind mit Hang zu Philosophie überzeugend rüberbringt. Da ist natürlich Christian Bale, ein Charakterkopf, wie er im Buche steht, der vor allem als angetrunkener Dankesredner sowohl zum Nachdenken als auch zum Schmunzeln anregt. Heath Ledger, der sich undankbarer Weise erst durch seinen Tod unsterblich gemacht hat, wird die irdischste der Dylan-Facetten zu teil, in der er vor allem mit anziehenden Monologen glänzt. Ben Wishaw bekommt wohl am wenigsten Leinwandzeit, zieht jedoch wiederkehrend unfreiwillige Fazits und beeindruckt dadurch, denkwürdige Thesen freischwebend in den Raum zu stellen und wirken zu lassen. Richard Gere hat es in der surrealsten Episode wohl am schwersten, meistert das mit all seiner Erfahrung jedoch grandios. Und da ist da noch Cate Blanchett in der Rolle ihres Lebens. Voller Leidenschaft Gleichgültigkeit zu spielen, ist eine Kunst, noch dazu in einer geschlechtsfremden Rolle. Die Geschichte um Jude Quinn erscheint die zentralste zu sein und wurde somit absolut glänzend besetzt. Und selbst die Nebenrollen sind mit u. a. Julianne Moore hochkarätig ausgefüllt.
"I'm Not There" ist wahrlich nicht jedermanns Film. Im Gegenteil, das Biopic ist eine Geduldsprobe, die, nachdem man sich darauf eingelassen hat, mit sechs künstlerisch hochwertig erzählten Geschichten belohnt und ganz nebenbei einen der größten Musiker des letzten Jahrhunderts ein würdiges Denkmal setzt. Wer Unterhaltungskino für den Filmabend sucht, sollte Haynes' Werk überspringen. Wer sich von außergewöhnlicher Filmkunst und hochklassiger Musik begeistert fühlt, ist hier genau richtig.
- Redakteur:
- Dennis Hirth