Captivity
- Regie:
- Joffé, Roland
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Thriller
- Land:
- USA
1 Review(s)
30.05.2008 | 13:47Jennifer Tree ist Model und Schauspielerin der besonders erfolgreichen Art. Ihr Leben spielt sich ausschließlich an der Spitze der Gesellschaftspyramide ab. Viele Augen richten sich auf sie; das ist ihr Job, dessen Schattenseite sie nun drastisch erleiden muss: Ein psychopatischer Serienkiller reiht sie in die Galerie seiner Opfer ein, die er in seinem zum Gefängnis umgebauten Weinkeller obskuren 'Prüfungen' unterzieht, um sie bei - natürlich vorkalkuliertem - 'Versagen' durch drastische Psycho- und Körperfoltern zu 'bestrafen'.
Vorgebliche Fluchtwege gehören dabei zum bösen Spiel, dem sich Jennifer trotz erbitterten Widerstandes allmählich zu unterwerfen beginnt, was gefährlich ist, denn sie beginnt ihren Peiniger zu langweilen. Das Blatt scheint sich zu wenden, als Jennifer durch ein Loch in der Wand in eine andere Zelle blicken kann: Dort sitzt Gary, der dem Killer ebenfalls in die Falle ging. Das gemeinsame Schicksal eint, sodass Jennifer und Gary trotz diverser Strafaktionen des Killers zueinander finden wollen.
Der Preis für die Erfüllung dieser Sehnsucht ist hoch, doch Jennifer ahnt nicht, dass allein sie es ist, die ihn zahlen soll. In ihrer unterirdischen Haft gibt es keine Sicherheiten. Jeder Schritt ist vom durch mörderische Erfahrung klug gewordenen Kerkermeister geplant, dessen Grausamkeit durchaus subtile Züge annehmen kann.
Allerdings nimmt das Spiel dieses Mal einen unerwarteten Verlauf. Mit Jennifer Stone wurde ein Opfer einbezogen, dessen Verschwinden nicht so schnell ad acta gelegt wird wie das der zuvor Entführten. Die Polizei lässt nicht locker, und die Detectives Bettiger und Di Santos kommen im Rahmen der Ermittlungen auch zum Haus der Brüder Dexter, die einen Partyservice führen und sehr zurückgezogen leben.
Ihr Erscheinen fällt auf einen sehr ungünstigen Zeitpunkt, denn im Folterkeller beginnen die Ereignisse völlig aus dem Ruder zu laufen. Das Spiel ist außer Kontrolle, und Jennifer kommt frei - der Auftakt zu einem Duell, das weitaus leichenträchtiger ausgehen wird, als selbst ein abgebrühter Serienmörder es für möglich gehalten hätte ...
Einen "Genrefilm" zu drehen, das habe ihn gereizt, erzählt Regisseur Roland Joffé, denn das habe er bisher nicht gemacht. Dies ist nicht der richtige Ort für Nachforschungen in der Frage, ob Joffé, der zwar Filmklassiker und Blockbuster wie "The Killing Fields" (1984), "The Mission" (1986) oder "City of Joy" (1992) inszeniert, aber zwischen 2000 und 2007 gar nicht gedreht hat, "Captivity" nicht quasi übernehmen musste, um zurück ins Geschäft zu finden. Das würde auch das schmale Budget erklären, denn Joffé-Filme kamen bisher mit Weltstars, Statistenheeren und auf Breitwand daher.
Selbst wenn dies zutreffen sollte, dürfen sich die Produzenten gratulieren, denn sie heuerten einen echten Fachmann seines Metiers an. "Captivity" ist technisch betrachtet ein Werk ohne Makel. Schon die Kulissen sind bemerkenswert, aber sie werden grandios durch eine Kamera, die genau weiß, was sie tut, und einen Regisseur, der seinen Job nicht nur beherrscht, sondern über echtes Talent jenseits nur handwerklichen Geschicks verfügt.
Eins zieht das andere nach; im Interview bestätigt es der Produzent: Als Joffé an Bord war, zierten sich auch andere Spezialisten nicht, sich für einen eher obskuren Horror-Thriller zu verdingen. David Pearl steht schon seit 1974 hinter der Kamera, Mario Beltrami komponierte Musik für die "Scream"-Trilogie, für "Hellboy" oder "3 : 10 to Yuma", Richard Nord schnitt u. a. für den kritischen Woody Allen.
Als schwaches Glied in dieser Kette erwies sich ausgerechnet Larry Cohen, als Autor ein Veteran mit 70 verfilmten Drehbüchern sowie selbst Regisseur diverser Genre-Klassiker, von denen die "It's Alive!"-Trilogie längst in die Horrorfilm-Geschichte eingegangen ist. Mit "Captivity" ruhte er sich allzu stark auf angewelktem Lorbeer aus - oder ist es der äußere Glanz, der zunächst vergessen lässt, dass wir eben doch 'nur' einen Genrefilm sehen?
Die erste Hälfte von "Captivity" ist großartig, weil an den Nerven zerrend, voller Ungewissheiten und Phänomene wie Isolation und Ausgeliefertsein mit einzigartigen Bildern verdeutlichend. Hier sprengt "Captivity" die Genregrenzen und rührt an grundsätzlichen menschlichen Ängsten. Jennifer wird zur Identifikationsfigur für uns, die wir bald den Zeitpunkt fürchten, an dem wir in eine ähnliche Situation wie sie geraten. Ist es zu gewagt interpretiert, wenn ich die Frage stelle, ob "Captivity" nicht auch dem Konzept der Isolationshaft, wie sie in den 'zivilisierten' Staaten dieser Welt gern beschwichtigend genannt wird, erschreckend entlarvende Züge gibt?
Joffé ist groß darin, in einem kleinen Raum zu inszenieren. Er zwingt die Kamera zu ständiger Bewegung und lässt sie doch die Beschränkungen des Gefängnisses darstellen, in dem Jennifer sich wiederfindet. Verlischt das Licht, weitet sich der Raum scheinbar und öffnet Portale, durch die Nachtmahre eindringen und Jennifer quälen, die an panischer Angst vor der Dunkelheit leidet. Das ist Kino im Vollbesitz seiner in über 100 Jahren gewonnenen Erfahrungen.
Leider demonstriert uns "Captivity" ebenso deutlich die Kehrseite. So perfekt ist das Verlies, dass bald der Zufall einspringen muss, um eine Bresche in dessen Wände zu schlagen, damit die Handlung einigermaßen logisch weiterlaufen kann. Die Einführung einer weiteren Figur ist an sich ein guter Weg, auch wenn nicht nur im geschulten Zuschauer schnell ein Verdacht aufsteigt, in welche Richtung er laufen wird.
Als es in der Tat so kommt wie geahnt und die Handlung den Keller verliert, kippt die Stimmung abrupt. Aus "Captivity", dem Psycho-Thriller, wird eine konventionelle, mit allen bekannten Klischees befrachtete Hit-and-Run-Story. Was zuvor sorgfältig vermieden wurde, wird nun alltäglich. Immer wieder muss sich Jennifer in Sackgassen verheddern, die Todesgefahr suggerieren, um sich gemäß des bekannten Hollywood-Credos zu befreien: Du musst noch viel brutaler werden als dein Gegner.
Auch im Klischee ist Joffé zu sehr Profi, um die Spannung völlig zu töten. Dem Ausgang der Geschichte kann er trotzdem nicht mehr geheimnisvoll gestalten. Es kommt, wie es kommen muss, und wir können von Glück sprechen, dass ein ursprünglich vorgesehener und auch gedrehter Epilog - wir finden ihn in den DVD-Extras - gestrichen wurde, der nunmehr Jennifer Serienmörder, die dem Gesetz entwischen konnten, jagen und umbringen ließ.
Obwohl seit Jahren im Filmgeschäft kaum mehr präsent, ließ der Name Roland Joffé die Schauspieler aufhorchen, die das Drehbuch zu "Captivity" zu lesen bekamen. Vor allem Elisha Cuthbert betont im Interview, wie wichtig ihr die Arbeit mit Joffé war, die sie zusagen ließ. Hatte sie gehofft, auf diese Weise endlich ihren Durchbruch in die Star-Liga von Hollywood zu schaffen? In diesem Punkt müsste sie enttäuscht sein, denn Joffé drehte einen Film, der von vornherein nicht für ein Massenpublikum gedacht war.
"Captivity" ist kein reiner Folter-Porno wie die unsäglichen "Hostel"-Streifen, überschreitet die Grenze aber trotzdem mehrfach. Dank der Regie wirken diese Szenen überaus beklemmend und gar nicht 'anregend'. Das intensive Spiel der Darsteller unterstützt dies. Der Kammerspiel-Charakter der Handlung fordert gutes Schauspiel, denn die wenigen Darsteller sind praktisch ständig im Bild. Mit Cuthbert hat Joffé eine gute Wahl getroffen. Sie ist wehrlos oder wehrhaft, wie es die Ereignisse jeweils herausfordern. Erst in der zweiten Filmhälfte gerät sie auf ausgetretene Pfade, denen sie wohl oder übel folgen muss.
Joffé sieht in "Captivity" mehr als eine spannende Geschichte. Jennifer Tree definiert er als upper class lady, die im Folterkeller einen Crashkurs über das 'wahre' Leben außerhalb ihres von goldenen Mauern geschützten Elfenbeinturms erhält. Der zur Göttin geschminkten Jennifer auf ihren überlebensgroßen Plakaten stellt er im Schlussbild die zerbrochene, 'wirkliche' Jennifer gegenüber. Allerdings will sich dieses Bild dem Zuschauer nicht recht mitteilen; ohnehin wirkt solcher Symbolismus reichlich platt.
ACHTUNG: Spoiler!
Besser gelungen ist die Darstellung des Psychopathen. Pruitt Taylor Vince als Ben Dexter ist riesig, fett und haarlos und verfügt schon körperlich über die Attribute des bedrohlichen Außenseiters. Gefährlicher ist indes sein Bruder Gary, der wie ein freundlicher, harmloser, sogar attraktiver Jedermann wirkt und doch die treibende Kraft des mörderischen Bruderpaars bildet. Bei aller dramaturgisch implizierten Übertreibung gelingt die Charakterisierung eines Serienmörder-Typus', der in der Kriminalistik durchaus bekannt ist. Der Folterkeller der Dexters ist diversen Orten realen Grauens schaurig nachempfunden.
Daniel Gillies ist allerdings kein Schauspieler, der die Ambivalenz des Gary Dexter wirklich überzeugend darstellen kann. Sein 'Sprung' vom Opfer zum Täter ist zudem keine echte Überraschung. Als Gary in echter Liebe zu Jennifer entbrennt und Bruder Ben, der dies nicht dulden mag, kurzerhand abmurkst, geschieht dies viel zu abrupt, nachdem man in traulicher Gemeinsamkeit viele Jahre 'zusammengearbeitet' hat.
Und selbstverständlich steht der 'tote' Ben noch einmal auf und greift meuchelnd ins Geschehen ein.
SPOILER ENDE
Daten
Originaltitel: Captivity
USA 2007
Regie: Roland Joffé
Drehbuch: Larry Cohen u. Joseph Tura
Kamera: Daniel Pearl
Schnitt: Richard Nord
Musik: Marco Beltrami
Darsteller: Elisha Cuthbert (Jennifer Tree), Daniel Gillies (Gary Dexter), Pruitt Taylor Vince (Ben Dexter), Michael Harney (Detective Bettiger), Laz Alonso (Detective Di Santos), Maggie Damon (Detective Susan Luden), Chrysta Olson (Mary D'Abro), Carl Paoli, Trent Broin (Mordopfer), Elijah Runcorn (Ben als Kind), Remy Thorne (Gary als Kind), Olivia Negron (spanische Frau)
Anbieter: Sony Pictures Home Entertainment (www.sphe.de)
EAN: 4030521521766
Erscheinungsdatum: 10.01.2008 (Verleih-DVD) bzw. 07.02.2008 (Kauf-DVD)
Bildformat: 16 : 9 (2,35 : 1 anamorph)
Audio: DTS 5.1 (Deutsch), Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch)
Untertitel: Deutsch, Englisch
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: ca. 81 min
FSK: keine Jugendfreigabe
DVD-Features
Dass "Captivity" keine Billig-Produktion ist, belegt die reichhaltige Ausstattung der DVDs. Auf die Scheibe gebrannt wurde dabei nicht nur der übliche Mist, d. h. Trailer und TV-Spots für den Hauptfilm und vor allem Werbetrailer für weitere Filmangebote des Anbieters, sondern teilweise wirklich informative Beiträge.
Das besondere Interesse des Filmfans werden die beiden alternativen Enden sowie eine Reihe entfallener Szenen finden. Zum Lobe des Regisseurs ist festzustellen, dass die endgültige Fassung von "Captivity" die beste aller möglichen Versionen geworden ist. Der Film war ursprünglich 'offener' geplant, d. h. die Handlung verließ zwischenzeitlich das Dexter-Haus und schilderte in einem parallelen Strang die Suche der Polizei nach Jennifer und ihrem Kidnapper. Diese Szenen wirken, nachdem man "Captivity" gesehen hat, fehl am Platz. Der Kammerspiel-Charakter gibt diesem Film seine besondere Spannung, und das ist den Machern hinter der Kamera letztlich klargeworden.
Weniger erträglich ist das "Making-of", das allzu sehr verlängerter Werbetrailer ist und nur dort interessiert, wo auf die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte von "Captivity" eingegangen wird. Der Film entstand als US-amerikanisch-russische Koproduktion und wurde weitgehend in Moskau gedreht. Selbstverständlich standen primär finanzielle Gründe hinter dieser 'globalisierten' Filmarbeit, doch das Ergebnis gibt dem nicht unkomplizierten Vorgehen recht: "Captivity" vereinigt zumindest technisch das Beste der amerikanischen und europäischen Welten. Die eigene Tradition des russischen Films bedingt ein Vorgehen, das eher von Sorgfalt als von Geschwindigkeit bestimmt wird. Das führte zu Konflikten mit den 'Gästen' aus dem Westen, die umgekehrt lernten, dass in den Studios von Moskfilm großartige Fachleute arbeiten. Die großartigen Kulissen des Addis Gadzhiyev sind nur ein Beispiel für das Know-how, auf das die Amerikaner zurückgreifen konnten.
Diverse Interviews mit den Schauspielern, dem Regisseur und den Produzenten lassen sich auch mit einem Ohr erfassen. Hellhörig muss man nur werden, wenn zwischen gegenseitigen Lobhudeleien filmtechnische Aspekte angesprochen werden. Regisseur Joffé gibt informative Einblicke in seine Arbeit, und auch die Produzenten plaudern ein wenig aus dem Nähkästchen.
Über die Homepage des deutschen Anbieters lässt sich eine eigene, schön gestaltete Website zum Film ansteuern (www.sphe.de/specials/captivity), die weitere Features anbieten, welche zum Teil das Anschauen durchaus lohnen.
Ein Rätsel zum Abschluss: Laut "www.imdb.com" läuft "Captivity" in der US-Fassung 96 Minuten. Die deutschen Fassungen werden mit 77 bzw. 81 Minuten angegeben, wobei Erstere sicherlich geschnitten ist, während Letztere 'integral' wirkt, d. h. die typischen Heckenscheren-Schnitte deutscher Als-ob-Zensurstellen vermissen lässt. Ich nehme an, es werden sich bald Fachleute dieser Frage annehmen.
- Redakteur:
- Michael Drewniok