Carlos - Der Schakal (Director's Cut, DVD)
- Regie:
- Assayas, Olivier
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Drama
- Land:
- F / D
- Originaltitel:
- Carlos
1 Review(s)
05.09.2011 | 12:10Terroristen-Biopic: Das Monster als Mensch und Söldner
Sein Name ist Ilich Ramírez Sánchez, doch die Welt kennt ihn als Carlos. Carlos - Der Schakal. Berühmt. Berüchtigt. Ein Phantom und ein Phänomen. 1975 verantwortet er den Anschlag auf das OPEC-Hauptquartier in Wien, in den Jahren darauf agiert er als kaltblütiger Mörder und effizienter Manager organisierter Gewalt – und macht den Terror zum Business. Er wird zum meistgesuchten Terroristen der Welt, doch Fotos gibt es kaum von ihm. Auf den Fahndungsplakaten ist er nur der Mann mit der Sonnenbrille.
Immer wieder schafft er es unterzutauchen, verprasst sein auf Schweizer Konten angehäuftes Vermögen in Luxushotels, macht sich Frauen hörig, nutzt sie für seine Zwecke aus und lässt seine Kontakte zu den Geheimdiensten in Ost und West spielen. Mit den Jahren verlassen ihn jedoch sein sicheres Gespür und seine Energie – und schließlich auch seine treuen Partner und Unterstützer, die ihn nun als blutbesudeltes Relikt des Kalten Krieges möglichst unauffällig loswerden wollen. (Verleihinfo)
Ich bespreche den Director's Cut. Leider wurde mir die 4. Disc nicht zur Verfügung gestellt. Sie enthält die Kinofassung (180 Min.) und den Trailer - völlig unnötig für eine Würdigung.
Handlung
Erster Teil
Der Venezolaner Ilich Ramírez Sánchez, der sich später den Kampfnamen "Carlos" zulegt, besucht Ende Juli 1973 in Beirut den Leiter des palästinensischen Abwehrkampfes PFLP, Wadi Haddad. Er will nämlich Nachfolger des vom Mossad, Israels Geheimdienst, getöteten Pariser PFLP-Leiters Mohamed Boudia werden. Haddad fragt "Carlos" nach seinen Qualifikationen. Null problemo: militärische Ausbildung in Algerien und Libanon. Ist er selbst Palästinenser? Er sagt, er will für die gerechte Sache der Palästinenser kämpfen. Hm. Haddad sagt, "Carlos" müsse sich erst bewähren. Er schickt ihn zu "André", dem jetzigen Pariser PFLP-Leiter. Der gibt ihm eine Pistole und einen Auftrag in London.
Der Besitzer der Kaufhauskette Marks & Spenser ist ein führender Zionist, sagt André. Doch im entscheidenden Moment kann "Carlos" nur einen Schuss abfeuern, dann versagt die Pistole. Das Opfer ist nur schwer verletzt, als Carlos mit knapper Not der bereits herbeigerufenen Polizei entkommt. Er baut eine Scheinexistenz auf. In London dient ihm Lidia als Kontaktperson, und bei ihr deponiert er einen seiner Waffenkoffer. Es gelingt ihm, Lidia als Helferin zu rekrutieren - eine von mehreren in ganz Europa, bei mehreren Geliebten.
Die Gegenseite schläft nicht. Jean Herranz vom französischen Inlandsgeheimdienst DTS leitet die Antiterroreinheit. Ihm geht ein Japaner mit falschen Pässen ins Netz, der sich als Sympathisant der Palästinenser ausgibt. In einer Kontaktwohnung finden sich weitere gefälschte Pässe: Die japanische revolutionäre Zelle ist ausgehoben, denkt er. Aber nicht ganz: Carlos organisiert mit drei weiteren japanischen Genossen den Überfall auf die französische Botschaft in Den Haag. Sie pressen den verhafteten Japaner frei und fliegen in den Orient. Eine Schlappe für Herranz - und den DTS.
Das Ende des Ölboykotts der Araber. Als 1974 Arafats PLO in der UNO Israel den Frieden anbietet, macht er sich gegenüber der PFLP zum Verräter. Zusammen mit Angehörigen der Revolutionären Zellen in Deutschland verüben Carlos und Co. zwei Anschläge auf israelische Flugzeuge in Paris Orly. Beide werden ein Fiasko. Schlimmer wird es, als Herranz' DTS-Einheit "André" verhören lässt. Das macht Carlos nervös und er lässt einen Waffenkoffer verlagern. Als Herranz André beschattet, gerät Carlos ins Blickfeld: ein verhängnisvolles Foto. Schließlich verpfeift André Carlos und dessen Pariser Wohnung.
Es soll nur ein Routinebesuch werden, sagt Herranz zu seinen Kollegen, doch als er Carlos zur Rede stellt, das Foto zeigt und schließlich sogar André Carlos identifiziert, ist Schluss mit lustig: Carlos schießt alle nieder - und sogar André, obwohl dies gar nicht unter seine Machtbefugnis fällt. Doch Herranz lebt noch, als er flüchtet.
Wadi Haddad ist stinksauer über Andrés Liquidierung und die damit verbundene Anmaßung. Doch er gibt Carlos noch eine letzte Chance: Ein Kommando soll zusammen mit den Irakern von Oberst Saddam Hussein den saudi-arabischen und den iranischen Ölminister in Wien töten, wo die OPEC eine Konferenz abhalten wird. Der Zweck: Saddam braucht Geld für den Krieg gegen den Iran und dafür soll der Ölpreis um 30% steigen. Das geht nur ohne die Saudis.
Die Vorbereitungen laufen nach einem dreimonatigen Training auf Hochtouren. Alles ist bereit für den Angriff im Dezember 1975. Sogar drei Deutsche machen diesmal mit: Angi, Boni und Nada. Und diese könnten sich als Schwachstelle erweisen ...
Zweiter Teil
Der Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien beginnt. Die Terroristen sind bis an die Zähne bewaffnet. Doch schon gleich zu Beginn macht Carlos einen kapitalen Fehler, der das Ende der Aktion zu einem völligen unerwarteten Ausgang zwingt und noch Jahre später einen Schatten wirft ...
Mein Eindruck
Carlos war bislang für die meisten Menschen ein Phantom, für einige Sympathisanten sogar eine Legende. Dieser Film soll ihm ein Gesicht verleihen, aus dem Phantom einen Menschen mit einer Biografie machen. Aber die Haltung des Regisseurs bleibt durchweg neutral, indem er beide Seiten zeigt: die Aktionen der Carlos-Gruppe und die Reaktionen der staatlichen und geheimdienstlichen Behörden, Letztere mitunter unter Verwendung von filmischen Zeitdokumenten. Es ist eine Chronik, doch ein mit Lücken. Die Lücken, so die Vorbemerkung, wurden mit Erdachtem gefüllt. Man sollte diese Darstellung also als eine subjektive, vorläufige betrachten.
Die Frauen
Im Zentrum steht unweigerlich die charismatische Persönlichkeit von Carlos als dem Chef jeder Einheit, die er leitet. Als Erstes verlangt er von jedem Mitarbeiter militärischen Gehorsam, ganz besonders auch von Frauen. Diese macht er sich durch Sex nicht nur gewogen, sondern auch allzu häufig auch gefügig. Und er betrügt alle - miteinander und mit seinen Besuchen bei Nutten.
Die einzige Frau, die er heiratet, ist die Deutsche Magdalena Kopp aus Neu-Ulm, die auch Mutter seiner Tochter Elba wird. Mehr als einmal verzweifelt sie an seinem autoritären Gehabe, das sich auf Soldatentum beruft, doch er lässt sie nie in den bewaffneten Kampf. Als er ihrer tränenreichen Forderung nachgibt, geht der Anschlag in Paris in die Hose - er scheitert an einem fehlenden Parkticket.
Die Unterstützer
Eine Kreatur wie Carlos kann nur durch Unterstützung, Duldung und Auftraggeber existieren. Deshalb ist seine Geschichte auch ihre Geschichte. Und diese ist nur vor dem Hintergrund des Wandels in den internationalen Beziehungen zu verstehen. Daher sollte der Zuschauer über die Geschichte der siebziger und achtziger Jahre recht gut Bescheid wissen, etwa über die PLO vs. PFLP, den Ölboykott anno 1973, den Kalten Krieg und die Revolutionären Zellen, die RAF und die Bewegung 2. Juni in Deutschland. Dieser Zeitraum reicht bis zum Ende des Kalten Kriegs, zur deutschen Einheit und den Angriff der Amerikaner auf Tripolis, auf Beirut und den 2. Golfkrieg 1992 unter US-Präsident Bush.
Die üblichen Verdächtigen tauchen unter den Unterstützerstaaten auf. Neben allen sozialistischen Staaten von Kuba bis Syrien sind dies natürlich die PFLP-Organisation der Palästinenser, die DDR, der KGB (in einer Szene tritt dessen Chef Andropov selbst auf), Syrien, Irak, Iran, Libyen (beschränkt auf Geld), Süd-Jemen und der Sudan. In dieser Liste fehlen die Saudis, Ägypten und selbstverständlich Israel.
Die Gegner
Die Ziele liegen in Frankreich, Niederlande, Großbritannien und Österreich, folglich sind dies die Staaten, die Carlos und seine Genossen aktiv verfolgen und seine Auslieferung betreiben. Im Sudan - einem ziemlich unwahrscheinlichen Kandidaten - haben sie schließlich Erfolg. Der Grund ist nicht leicht zu verstehen, aber al-Turbani, der islamistische Führer der sudanesischen Regierung, betrachtet Carlos' westlichen Lebenswandel als wenig wünschenswert. Und das, obwohl Carlos angeblich zum Islam übergetreten ist, um seine Freundin Lana heiraten zu können.
Doch ein festes Element eines Terroristenlebens besteht darin, dass es immer ein Kopfgeld gibt. Es muss nur hoch genug und willkommen genug sein, um die Auslieferung schließlich wünschenswert erscheinen zu lassen. Dass die Franzosen den Amis zuvorkommen, ist nicht zuletzt der direkten Betroffenheit des französischen DTS zuzuschreiben - hier sind die Aussichten auf Verurteilung des Terroristen am besten.
Follow the money
Ironische Spiegelung: Die Libyer, Syrer und viele andere Araber hatten ein Kopfgeld auf den ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat ausgesetzt, nachdem dieser die Amis, die Freunde Israels, ins Land ließ. Carlos und Co. ließen sich von Oberst Gaddafi nicht weniger als vier Millionen Petrodollars (die er wahrscheinlich von den Amis bezahlt bekommen hat) zahlen, um den Ami-Freund Sadat umzulegen.
Letztlich machten jedoch andere das Rennen um Sadats Kopf, wahrscheinlich die Syrer. Kein Wunder also, dass Carlos nach seiner Ausweisung aus Syrien in Libyen nicht willkommen war - genauso wenig wie 1975 nach der Sache in Wien. Ging es Carlos also nicht um den bewaffneten Kampf, sondern letzten Endes ums Geld? Das würde ihn - und seine Auftraggeber - diskreditieren.
Der bewaffnete Kampf
Selbstverständlich versteht Carlos seinen Terror nicht als solchen, sondern als bewaffneten Kampf der palästinensisch-arabischen Front gegen Israel und palästinensische Verräter. Jeder Anschlag muss einen Zweck haben. Zumindest zu Anfang liegt dieser Zweck außerhalb von Carlos, doch in den achtziger Jahren gelten mehrere Anschläge der Erpressung der französischen Regierung: Sie soll Magdalena und ihren Komplizen freilassen. Eine Parallele zu Mogadischu, als deutsche RAF-Sympathisanten deutsche RAF-Häftlinge freipressen wollten (mit den bekannten Folgen). Dies ist ein privater Krieg, den Carlos gegen die französische Regierung führt. Ist das noch legitim?
Die Bilder von den Anschlägen, besonders von der OPEC-Geiselnahme in Wien, sind äußerst realistisch dargestellt. Man sieht also jeden Kopfschuss, jede Liquidierung, jede Handgranatenexplosion. Der Regisseur verschont unsere Augen nicht, wenn es um die Vernichtung von Menschenleben geht. Es gibt nur zwei Ausnahmen: den Anschlag auf den Zug, in dem Jacques Chirac, der Bürgermeister von Paris, sitzt - hier sehen wir ein Live-Interview mit einem blutüberströmten Opfer; und der Autobombenanschlag auf das Pariser Büro einer libanesischen Zeitung, die Carlos und die Syrer diskreditiert hat - hier sehen wir nur eine Schwarzblende und wieder ein Interview mit einem Mitarbeiter der Zeitung.
Wer den Film im Director's Cut ansehen will, sollte also einen robusten Magen und stabile Nerven mitbringen.
Die Schauspieler
Edgar Ramirez spielt den Venezolaner Carlos in all seinen Erscheinungsformen und Verkleidungen glaubwürdig: mit Ché-Guevara-Baskenmütze, als fetter Geschäftsmann, als Chefstratege, als Taktiklehrer und so weiter. Aber er wirkt sowohl furchteinflößend durch sein wütendes Herumballern als auch erotisch aufreizend, wenn er eine Frau anmacht - und das ist keineswegs selten.
Ramirez ist vielfach umgeben von japanischen, arabischen und afrikanischen Nebendarstellern, deren Namen wir schon bald wieder vergessen, denn allein ihre Funktion ist wichtig. Ganz besonders blass sind die Vertreter der Stasi in Ost-Berlin. In ihren grauen Anzügen scheinen sie mit den Wänden zu verschmelzen. Aber sie sind die wichtigsten Waffenlieferanten von Carlos. Einzige Ausnahme ist "Ali", der Kontakt in Damaskus, der Carlos schließlich an Syrer und DTS verrät.
Carlos ist überraschend häufig von deutschen Kämpfern umgeben. Die Revolutionären Zellen unterstützen ihn aktiv, sowohl männliche als auch weibliche Mitglieder. Angi, der später aussteigt und beim SPIEGEL auspackt, Nada, die Fanatikerin, Boni, der Organisator - und schließlich der treue Mitkämpfer Weinrich, Deckname "Heinrich" (Alexander Scheer), Carlos' Mann in Ost-Berlin.
Und schließlich ist da ab ca. 1978 die Deutsche Magdalena Kopp, fabelhaft gespielt von Nora von Waldstätten. Sie sieht so zerbrechlich aus, doch sie steht ihre Frau, wenn sie mit dem Terroristen ins Bett geht und ihre erste Kampfaktion vorbereitet. Ihre Magdalena, die 14 Jahre an Carlos' Seite war, entwickelt sich von einer Rekrutin über die Unterstützerin zur (vielfach betrogenen) Ehefrau und Mutter, bis zur Kämpferin, die kläglich scheitert und zur Gefängnisinsassin wird. Schließlich landet sie wieder bei ihrer Mutter in Neu-Ulm (wo es eine notorisch islamistische Szene geben soll). Ihre Biografie ist hier zwar marginal dargestellt, aber zusammenhängend, stimmig und konsequent.
Der Abspann lässt keine losen Fäden übrig. Alle Biografien der Hauptakteure in Carlos' Kampf werden kurz resümiert. Carlos selbst sitzt mit dem Urteil "lebenslänglich" in einem französischen Gefängnis. Interessanterweise sind keineswegs alle Beteiligten für die OPEC-Geiselnahme 1975 in Wien verurteilt worden. Diese kuriose Straffreiheit würde eine gesonderte Untersuchung rechtfertigen.
Mein Eindruck: die DVD
Das Bild entspricht zwar modernem HD-Videomaterial, ist aber dennoch merkwürdig. Besonders auf der 2. Disc, die die Jahre 1975 bis 1978 schildert, gibt es Überstrahlungen von hellem Gegenlicht auf die umgebenden Objekte - ein typisches Siebzigerjahre-Phänomen. Das kann natürlich ein gewolltes Stilmittel des Regisseurs sein. Die Tonspur der Originalfassung liegt in fünf Sprachen vor, ich habe die deutsche Fassung angesehen. Ich konnte keine Mängel an der DD-5.1-Fassung feststellen. Man bekommt also in den einwandfreien Genuss des Films.
EXTRAS:
1) Fünf Interviews mit vier Hauptdarstellern und dem Regisseur (ca. 31:30 min)
Die Darsteller bereiteten sich intensiv auf die neunmonatigen Dreharbeiten in sieben Ländern nach dem Drehbuch von Assayas vor. Ramirez war eh schon dreisprachig und hatte das richtige Alter (Mitte 30), Carlos lehnte ein Treffen ab. Alexander Scheer wollte eigentlich den sehr interessanten Aussteiger Hans-Joachim Klein spielen, doch Assayas bestimmte, er solle Johannes Weinrich spielen, den Scheer nicht leiden kann. Auch Weinrich, der in Haft sitzt, lehnte ein Treffen ab.
Also waren alle Schauspieler auf die Lektüre von Büchern und Zeitdokumenten angewiesen. Nora von Waldstätten wuchs jedoch in Wien auf und ihr Vater erzählte ihr stets von dem Überfall auf die OPEC-Konferenz, der 1975 stattfand, daher hatte sie einen persönlichen Bezug zu Carlos.
Christoph Bach konnte sehr viel mit Kleins Rolle als Aussteiger anfangen. Denn Klein fing als Kriegsdienstverweigerer an, war also Pazifist, radikalisierte sich dann und endete als schwerbewaffneter Kämpfer bei einer Geiselnahme in Wien, deren Zweck er nicht sah. Er schrieb sein Manuskript mit der Pistole neben der Schreibmaschine. Klein hatte Riesenglück, dass ihn die Schusswunde von Wien nicht das Leben kostete.
Alle sind sich darüber einig, dass Carlos als charismatischer und charmanter Typ darzustellen war, der praktisch jede Frau herumkriegte. Aber Assayas macht auch klar, dass sein Film Fiktion ist, selbst wenn sie auf Fakten beruht: dass also künstlerische Freiheit gilt. Wie auch immer: Bei der Premiere in Cannes, erzählt von Waldstätten, gab es Standing Ovations. Geschlagene zehn Minuten lang!
2) Zwei Trailer zu je 1:20 min, die die reißerischen Höhepunkte herausstellen.
3) Zwei TV-Spots zu je 20 sec, die dies noch viel kürzer tun.
4) Kinofassung (180 Min.)
5) Sieben Trailer in der "Programmvorschau":
a) An einem Samstag (Tschernobyl 1986)
b) Das letzte Schweigen (Psychothriller)
c) Das Blaue vom Himmel (D, mit Hannelore Elsner)
d) Last Night )mit Keira Knightley, Sam Worthington und Eva Mendes)
e) Mitten im Sturm (mit Emily Watson; über die russ. Dichterin Eugenia Ginzburg)
f) Von Menschen und Göttern (Mönche in Algerien)
g) Pina - Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren (für Pina Bausch, von Wim Wenders)
Unterm Strich
Biopics sind natürlich in Mode und selbst Revolutionsführer wie Ché Guevara und Castro inzwischen Leinwandlegenden. Nun war also der größte Terrorist von allen dran: der Mann, der sich "Carlos" nannte. Die Biografie versucht ihm in neutraler Darstellung gerecht zu werden, Realismus und Authentizität haben Vorrang - so sehr, dass jeder Kopfschuss getreulich den Weg auf die Leinwand findet. Wohl dem, der einen robusten Magen und gute Nerven besitzt.
Dies ist allerdings keine Gewalt-Pornografie, sondern erscheint durch den Realismus und die Unvoreingenommenheit als Teil der terroristischen Realität. Tod ist stets ein Faktor in der Gleichung. Der Zuschauer muss sich dessen bewusst sein. Ebenso wie er den politischen und geschichtlichen Hintergrund als Weltwissen mitbringen sollte.
Dass 1973 ein Ölboykott den Westen in die Knie zwingen sollte, spielt ebenso eine Rolle wie der Fall der Mauer 1989 und die Erstürmung der Stasi-Zentrale 1990. Die DVD bietet keinerlei Material, dass diesen historischen Hintergrund auch nur im Mindesten erhellen würde. Ein Blick in die Wikipedia könnte hier Hilfe bringen. Wenigstens wird der Hintergrund durch die Zeitdokumente wie Videos, Nachrichten, Zeitungen skizziert. Der Blickwinkel der Opfer wird keineswegs ignoriert, obwohl sich Carlos nicht im Mindesten damit aufhält.
Wer noch nie von Carlos, dem arabischen Terrorismus in Westeuropa und den deutschen "Terroristen" (das ist jetzt der offizielle Sprachgebrauch) usw. gehört hat, dem werden durch diesen Film die Augen geöffnet. Im Vergleich zu Produzent Bernd Eichingers "Baader-Meinhof-Komplex" wirkt "Carlos - der Schakal" wesentlich realistischer, authentischer und ernstzunehmender. Er wirft ein anderes Licht auf den Kampf der RAF-Generationen und könnte dafür neues Interesse wecken. Die Aufarbeitung des deutschen Terrors ist bis heute nicht abgeschlossen. Und sie wird es auch nicht sein, bis der letzte "Terrorist", selbst wenn er oder sie bereut hat, unter der Erde ist.
Die DVD
Die drei Discs, die ich bespreche, zeigen den Director's Cut komplett. Die Tonspur der Originalfassung liegt in fünf Sprachen vor, ich habe die deutsche Fassung angesehen. Sehr hilfreich sind die 31 Minuten an Interviews. Die vier Hauptdarsteller und der Regisseur erzählen, wie sich vorbereiteten, die neun Monate Dreharbeiten in sieben Ländern durchstanden und schließlich sogar - in Ramirez' Fall - eine Therapie brauchten, um von dem Trip wieder runterzukommen. Das ist durchaus erhellend und willkommen.
Unbedingt sehenswert.
Filminfos
O-Titel: Carlos (Deutschland / Frankreich 2010)
Dt. Vertrieb: Warner Home Video - DVD
Erscheinungstermin: 27. Mai 2011
EAN-Nummer: 5051890026859
Ladenpreis: 24,99 EU
FSK: ab 16
Länge: ca. 330 Min. plus 187 Min.
Regisseur: Olivier Assayas
Drehbuch: Olivier Assayas, Dan Franck
Musik: diverse
Darsteller: Edgar Ramirez (Carlos), Nora von Waldstätten (Magdalena Kopp), Alexander Scheer (Weinrich), Christoph Bach (Klein), Katharina Schüttler u. a.
Bildformat: 16:9 - 2.35:1
Tonformate: Deutsch (Dolby Digital 5.1); Originalfassung in: Englisch (Dolby Digital 5.1), Französisch (Dolby Digital 5.1), Arabisch (Dolby Digital 5.1), Spanisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: D
Extras:
- Fünf Interviews mit vier Hauptdarstellern.
- 2 Trailer
- 2 TV-Spots
- Kinofassung (180 Min.)
- Programmvorschau (7 DVD-Trailer)
- Redakteur:
- Michael Matzer