Dumplings - Delikate Versuchung
- Regie:
- Fruit Chan
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Hongkong
- Originaltitel:
- Gaudzi
1 Review(s)
28.02.2006 | 17:05Was ist der Preis für ewige Schönheit? Wozu ist man bereit, um ein jugendliches Äußeres zu konservieren? Und welche Folgen nimmt man dadurch billigend in Kauf? Für die alternde Schauspielerin Ching, die Hauptfigur in Fruit Chans "Dumplings", gibt es im Bestreben, Makellosigkeit zu erlangen, keine Grenzen. Wie weit sie dabei wirklich geht, erfährt der Zuschauer im Verlauf der nicht gerade zimperlichen Geschichte. Und die Konsequenz, die der Chinese bei der Vermittlung seiner Botschaft an den Tag legt, nötigt Respekt ab, stellt aber das Publikum auch vor eine Herausforderung.
Es fängt alles ganz harmlos an. Die ihrem Jugendstarruhm nachtrauernde Ching hat erfahren, dass die Teigtaschen der geheimnisvollen Mei den Alterungsprozess aufhalten sollen. Etwas skeptisch, aber doch sehr interessiert sucht sie die Frau auf und lässt sich von ihr bekochen. Bei einem ihrer Besuche sieht Ching zufällig mit an, wie das Essen zubereitet wird. Die mysteriöse Zutat, die eine Erhaltung der Schönheit herbeiführen soll, lässt sie erschaudern: Es ist Menschenfleisch! Genauer gesagt handelt es sich um tot geborene Föten, die Mei sowohl aus einem Krankenhaus als auch durch zum Teil von ihr selbst durchgeführte illegale Abtreibungen bekommt.
An diesem Punkt dürfte die Toleranzschwelle für viele sicher erreicht bzw. bereits überschritten sein. Und Fruit Chan hält sich wirklich nicht zurück. Dabei ist "Dumplings" – von ein paar expliziten Szenen abgesehen – alles andere als ein Splatterfilm, was die Intensität aber eher steigert als mindert. So wird man beispielsweise Zeuge einer von Mei vorgenommenen Abtreibung, die, gerade weil der Regisseur auf den inflationären Gebrauch drastischer Bilder verzichtet, psychisch sehr fordernd ist und zart besaitete Naturen an ihre Grenzen führen wird.
Was den Filmemacher zu solchen Mitteln greifen lässt, ist das ernsthafte Anliegen, das er durch seinen Streifen vermitteln möchte. Er rechnet kompromisslos mit dem ebenfalls in den Medien kommunizierten Schönheitswahn ab, der auch abseits der High-Society-Glamour-Welten schon längst um sich gegriffen hat. 16-Jährige streben total überflüssige Nasenkorrekturen an oder hungern sich auf die Breite eines Streichholzes herunter, während Leute in den Wechseljahren oder der Midlife-Crisis ihre Ersparnisse irgendeinem Arzt hinterherschmeißen, auf dass dieser den "Lebensabend" durch gestraffte Gesichter oder abgesaugte Bäuche erträglicher gestalte. Stellvertretend für all diese Lieschen Müllers und Max Mustermanns steht die Hauptfigur Ching, die in ihrem Bemühen, ewige Jugend zu erlangen, fast schon paranoide Verhaltensweisen entwickelt. Obwohl sie zunächst geschockt und angeekelt ist, als sie Mei bei der Zubereitung ihrer Teigtaschen überrascht, blendet sie diese Gefühle im Folgenden völlig aus und verzehrt die Mahlzeiten auch weiterhin.
Fruit Chan gelingt es auf faszinierende Weise, den Horror, der hinter der Geschichte lauert, im Kopf des Zuschauers entstehen zu lassen. Die wenigen expliziten Sequenzen wirken dabei wie kleine Nadelstiche und verankern Bilder im Bewusstsein des Publikums. Jedes Mal, wenn sich Ching in Zeitlupe eine Teigtasche in den Mund steckt, werden diese sofort hervorgerufen und setzen eine unangenehme Assoziationskette in Gang.
Die Inszenierung trägt diesem psychologischen Charakter des Films zusätzlich Rechnung. Es herrschen ruhige Einstellungen vor, die den Zuschauer solange in Sicherheit wiegen, bis ein neuer Teller auf dem Tisch oder Mei an der Tür eines Apartments steht, in dem illegale Abtreibungen durchgeführt werden. Und ohne dass an dem fast schon meditativen Stil etwas verändert wird, fühlt man sich plötzlich unwohl.
Neben der vorliegenden Version von "Dumplings" existiert auch eine rund vierzigminütige Kurzfassung, die auf der sehr sehenswerten "Three...Extremes"-Compilation vertreten ist und bis auf eine winzige Abweichung tatsächlich nur aus Szenen der abendfüllenden Variante besteht. Erwartungsgemäß bleibt diese etwas vager und lässt einige Zusammenhänge bzw. Begebenheiten außen vor; zudem tritt die Charakterzeichnung zugunsten der Geschichte in den Hintergrund. Die Botschaft ist in beiden Fällen tendenziell die gleiche, wobei Fruit Chan durch die Wahl der Szenen in der Kurzversion fast ausschließlich den Schönheitswahn kritisiert, während er im Neunzigminüter auch das Thema Abtreibung etwas eingehender beleuchtet. Welche Fassung man letztlich bevorzugt, dürfte individuell verschieden sein.
Bei der Thematik des Films sollten sich Stammgäste des chinesischen Restaurants um die Ecke genau überlegen, ob sie sich "Dumplings" anschauen. Die Wan-Tan-Suppe könnte nachher eventuell nicht mehr so gut schmecken wie gewöhnlich. Nichtsdestotrotz ist Fruit Chan mit diesem Streifen ein bitterböses Werk gelungen, das genug Gesprächsstoff bereit hält und zum Nachdenken anregt. Mutig und empfehlenswert!
- Redakteur:
- Oliver Schneider