Eden Log
- Regie:
- Vestiel, Franck
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Science-Fiction
- Land:
- Frankreich
- Originaltitel:
- Eden Log
1 Review(s)
08.12.2008 | 14:55Das geschieht:
In einer Höhle tief unter der Erde erwacht ein halbnackter Mann in einer Schlammpfütze: Tolbiac kennt nicht einmal seinen eigenen Namen. Wer er ist und wie es ihn in diese düstere, lebensfeindliche Zone verschlagen hat, weiß er erst recht nicht.
Tolbiac will flüchten, zumal Heulen und Knurren aus dem Off ihm anzeigt, dass er nicht allein in der Dunkelheit ist. Auf seiner Odyssee durch den riesigen Irrgarten stößt er immer wieder auf zertrümmerte Labors und die Wurzeln einer gigantischen Pflanze. Über allem schwebt das Logo von „Eden Log“, einem Konzern, der durch die Herstellung alternativer Energie reich, mächtig – und korrupt geworden ist.
Allmählich kann sich Tolbiac orientieren. Er befindet sich in einer Station mit vier unterirdischen Geschossen, weshalb er beginnt, sich zur Oberfläche durchzuschlagen. Dabei trifft er Menschen – einen mit den Pflanzenwurzeln ‚verbundenen‘ Architekten, eine verstörte Botanikerin, schwarz gepanzerte Wachen, grässlich verunstaltete und aggressive Mutanten. Sie kennen alle nur Bruchstücke des Geheimnisses, dem Tolbiac allmählich auf die Spur kommt.
Beim Prozess der Energiegewinnung ist es zu schweren Zwischenfällen gekommen, die „Eden Log“ mit aller Gewalt vertuschen will. Der Konzern führt einen Krieg mit den eigenen Arbeitern, in den Tolbiac immer wieder verwickelt wird. Dass er in diesem Chaos eine zentrale Rolle spielt, wird ihm ebenfalls klar. Die Flucht nach ‚oben‘ wird immer mehr zur Ermittlung in eigener Sache. Als Tolbiac endlich herausfindet, wer er wirklich ist, ist das Erwachen grausam aber nicht hoffnungslos ...
Der Versuch ‚echter‘ Science Fiction
"Eden Log“: ein Film, an dem sich die Geister der Zuschauer scheiden werden. Der eingeschworene Freund des Popcorn-Kinos à la "Star Wars“ oder "Terminator“ wird vermutlich nach wenigen Minuten ratlos und entnervt das Weite suchen, denn obwohl „Eden Log“ durchaus eine Geschichte erzählt, muss diese vor allem im eigenen Kopf zusammengesetzt werden.
Regisseur Vestiel und Drehbuchautor Bordage liefern nur einen groben Plan und einige Bausteine. Sie müssen nicht stets dasselbe Gebäude ergeben; Vestiel selbst interpretierte sein Werk (im Audiokommentar) teilweise auf ganz andere Weise als der Rezensent. So wünschte er es, der alles, nur keinen ‚typischen‘ Science-Fiction-Film drehen wollte. Mit Bordage, einem dem Metaphysischen zugeneigten SF-Schriftsteller, fand Vestiel den idealen Mitstreiter. Ungenannt bleiben aber mit fast jedem Bild zitiert werden SF-Comic-Künstler der „Métal-hurlant“-Schule wie Moebius oder Enki Bilal.
"Eden Log“ ist ein Film, der mit einem ungemein niedrigen Budget realisiert werden musste. Das sieht man ihm nie an, denn ebenso klug wie konsequent haben Vestiel und sein großartiger Kameramann Thierry Pouget aus der Beschränkung eine Herausforderung gemacht. Sie arbeiten mit stilisierten, stark verfremdeten Kulissen, die den Zuschauer rat- und orientierungslos zurücklassen: Wann und wo spielt "Eden Log“? Sorgfältig haben Vestiel und Bordage jeglichen Hinweis getilgt: "Eden Log“ ist ‚echte‘ Science Fiction, d. h. die Kreation einer anderen (zukünftigen? parallelen?) Welt, die ihre Wurzeln in der aktuellen Gegenwart haben kann aber nicht muss.
Was geht da vor sich?
Ein weiterer Faktor, der "Eden Log“ einmalig macht, ist der kreative Einsatz von Licht und Schatten; eigentlich sollte man hier von „Nicht-Licht“ und Schatten sprechen, denn immer wieder ist es gerade die Dunkelheit, die sich nicht nur über Tolbiac, sondern auch symbolisch über die Handlung legt. Die moderne Filmtechnik gestattet den Einsatz minimaler Lichtquellen, ohne das Bild in einem tintigen Brei verschwimmen zu lassen: In den Schatten bewegen sich dunkle Gestalten, die mehr zu ahnen als zu sehen sind. "Eden Log“ ist durchaus ein Farbfilm, doch Vestiel ließ die Bilder ‚entfärben‘. Übrig blieb ein absichtsvoll diffuses, blaugraustichiges, tristes Licht, das dort wirkungsvoll von kräftigen Farbflächen durchbrochen wird, wo der Regisseur ohne Worte auf etwas Wichtiges hinweisen möchte.
Jedes Bild und jeder Effekt, aber auch jeder Ton wurde von Vestiel präzise geplant. Er hatte seine eigene Vision vor dem inneren Auge, und er verwirklichte sie, ohne deshalb den Zuschauern seine Sichtweise aufzuzwingen. Das lässt diesen ihre Freiheit, ist aber nicht ohne Risiko, weil Vestiel sehr weit, vielleicht zu weit geht: Nicht einmal er kann (oder will) diverse Handlungselemente deuten; er lässt sie ab- und im Ungewissen auslaufen. „Eden Log“ betrachtet er als autarke Schöpfung, der sogar er, ihr geistiger Vater, nicht alle Geheimnisse entreißen kann.
Es stellt sich die Frage, ob und wie weit ihm das Publikum bereit ist zu folgen. "Eden Log“ ist ungewöhnliche Filmkost – sie wird nicht vorgekaut serviert. Dieser Film lässt sich nicht im Halbschlaf verfolgen, die Auflösung muss man sich verdienen. Wer zwischendurch nicht aufpasst, hat verloren, und selbst wer aufmerksam ist, bleibt von Frustration nicht verschont. Hier gibt es einfach nicht für alles eine Erklärung.
Der Finaltwist ist nicht so genial wie es die hoch artifizielle Machart des Films suggeriert. Ausgerechnet derjenige, der das Gute will, bringt oftmals das Verderben: Dies lässt sich sowohl als Moral als auch als Binsenweisheit interpretieren. Tolbiacs Erkenntnis der eigenen Identität wird jedoch raffiniert vorbereitet; ein zweites Anschauen belegt, wie geschickt entsprechende Hinweise ins Drehbuch integriert wurden.
Der Schöpfungsmythos als Cyberpunk-SF
Vestiel selbst gibt in seinem Audiokommentar (auf den es weiter unten noch einzugehen gilt) verschiedene Hinweise, die seine persönliche Sicht von "Eden Log“ darstellen. Er spricht von religiösen Obsessionen und geistigen Bildern, die er mit seinem Film beschwören und bannen wollte. Schon der Filmtitel spielt auf die Bibel und hier auf das Buch Genesis und die Schöpfungsgeschichte an. Tolbiac wird zu Adam, der nackt und geistig ‚rein‘ im Garten Eden erwacht und beginnt, sich mit seiner Umwelt kritisch auseinanderzusetzen. Das Paradies ist in diesem Fall zur Hölle verkommen, was zu neuen Interpretationen reizt. Adam bekommt (zeitweise) seine Eva, auch die Schlange lässt sich identifizieren. In das mythenreiche Spiel mischen sich die Reiter der Apokalypse, die verdeutlichen, dass der Mensch selbst verantwortlich für seinen Untergang ist.
Das Wissen um diesen eschatologischen Unterbau ist nicht zwingend erforderlich, wie Vestiel ausdrücklich betont. In der Tat lässt sich "Eden Log“ als ‚normaler‘ SF-Film goutieren. Aus Tarkovskys "Stalker“ (1979) wird dabei plötzlich "Resident Evil“, aus psychologischer Tiefe und ökologischer Mahnung gutmenschelnd moralisierender Schwurbel. Vor allem das Ende ist Kunst oder Kitsch – dazwischen gibt es keine Alternative.
Vestiels Rechnung geht daher nur unbedingt auf. Nicht jeder Zuschauer wird ihm – vorsichtig ausgedrückt – in die Tiefen seiner privaten Gedankenwelt folgen wollen. Selbst wenn man ihm gewogen ist, wirkt mancher Vestielsche Geistesblitz recht prätentiös; man könnte dieses Urteil auch auf den Gesamtfilm anwenden. Viel zu intensiv betreibt der Meister Nabelschau. Möglichen Einwänden des Zuschauers durch ein „Friss oder lass es“ zu kontern, wie es Vestiel im Audiokommentar andeutet, ist eher kokett als produktiv.
Womöglich hätte Vestiel Filmkunst und Unterhaltung ein wenig stärker in Einklang bringen sollen. "Eden Log“ reizt, weil Optik und Geschichte erfrischend anders sind als in den Fließband-Movies, mit denen der SF-Fan ansonsten abgespeist und gelangweilt wird. "Eden Log“ langweilt und ärgert aber ebenfalls, weil Regisseur und Drehbuchautor diesen Film vor allem für sich selbst gedreht haben – ein Privatvergnügen, das sich auch dem offenen i. S. von unternehmungslustigen Zuschauer nicht wirklich erschließt.
Schauspielerische Herausforderung(en)
"Eden Log“ ist über weite Strecken eine Ein-Mann-Show. Die Kamera lässt Hauptdarsteller Clovis Cornillac kaum jemals aus dem ‚Auge‘. Der gehört nicht grundlos zu den am härtesten arbeitenden Darstellern seiner Generation: Ohne Cornillac würde „Eden Log“ nicht ‚funktionieren‘, eine Tatsache, die auch Franck Vestiel mehrfach betont. Wo Spezialeffekte rar sind, spielt sich Handlung immer wieder in den Gesichtszügen von Tolbiac wider. Die liegen im Halbdunkel und sind mit Dreck verschmiert, was Cornillac nicht daran hindert, seinen Part mit Leben zu füllen.
Vimala Pons übernimmt als namenlose Botanikerin eine schwierige Rolle, die im Grunde überflüssig ist. Adam darf freilich nicht ohne Eva bleiben, auch wenn diese ihrem männlichen ‚Ebenbild‘ meist hinterher trottet und irrationales Verhalten an den Tag legt. Ihr Verschwinden bleibt – wenig überraschend – ein weiteres ungelöstes Rätsel.
Daten
Originaltitel: Eden Log (Frankreich 2007)
Regie: Franck Vestiel
Drehbuch: Pierre Bordage/Franck Vestiel
Kamera: Thierry Pouget
Schnitt: Nicolas Sarkissian
Musik: Alex Cortés/Willie Cortés
Darsteller: Clovis Cornillac (Tolbiac), Vimala Pons (Botanikerin), Arben Bajraktaraj (Architekt), Zohar Wexler, Sifan Shao (Techniker), Abdelkader Dahou, Tony Amoni, Antonin Bastian, Joachim Staff, Benjamin Baroche, Zakariya Gouram (Wächter), Antony Rea, Antoine Helou (Mutanten), Gabriella Wright, Asha Sumputh, Nadia-Layla Bettache, Lavinia Birladeanu, Mariella Tiemann, Nadia Fina, Alexandra Ansidei, Liou Chou u. a.
Label: Tiberius Film (www.tiberiusfilm.de)
Vertrieb: Sunfilm Entertainment (www.sunfilm.de)
Erscheinungsdatum: 10.10.2008 (Leih-DVD) bzw. 14.11.2008 (Kauf-DVD u. Blu-Ray)
EAN: 4041658272285 (Leih-DVD) bzw. 4041658252287 (2-Disc-Special Edition) bzw. 4041658292283 (Blu-Ray)
Bildformat: 16 : 9 (1,85 : 1 anamorph)
Audio: DTS 5.1 (Deutsch), Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Französisch)
Untertitel: Deutsch
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 98 min.
FSK: 16
DVD-Features
Mit Features wird auf der Einzel-DVD gegeizt. Zum Trailer (in zwei Sprachen) gesellt sich aber ein Audiokommentar des Regisseurs Franck Vestiel, der das Anhören lohnt (obwohl es eher ein Nachlesen ist – Vestiel spricht französisch, seine Worte werden untertitelt). Dieser Kommentar ist alles andere als verkaufsfördernd. Vestiel gibt bekannt, er sei gegen seinen Willen dazu ‚überredet‘ worden. Schon jetzt wird deutlich, dass der Regisseur ein zurückhaltender bis scheuer Mensch ist und als Künstler in leicht abgehobenen Sphären schwebt. Immer wieder fordert er seine Zuhörer auf, sich selbst ein Bild zu machen (oder es zu unterlassen). Mehrfach mag er über Szenen und ihren Sinn oder wenigstens ihre Entstehung partout nicht sprechen und macht daraus auch keinen Hehl.
Andererseits hat Vestiel selbstverständlich Interessantes über seinen Film zu sagen. Er tut das außerdem in einem sehr ruhigen und angenehmen Ton. Positiv zu vermerken ist seine Konzentration auf das Wesentliche. Bierselige Anekdoten oder Klatschgeschichten entfallen. Stattdessen erzählt Vestiel offen von Schwierigkeiten, die er mit Kollegen hinter der Kamera oder mit den Schauspielern hatte. Er macht primär sich selbst dafür verantwortlich, weil er sich so intensiv mit seinem "Eden-Log“-Universum auseinandergesetzt habe.
Vestiel klärt aber auch diverse Fragen. So erfährt der Zuschauer, dass die bemerkenswerten Kulissen in einem Steinbruch errichtet wurden. Spätere Szenen im Oberflächenbereich entstanden in den Untergeschossen verschiedener Fabriken, deren Hallen und Kavernen durch eine einfallsreiche Beleuchtung genial verfremdet wurden.
Ins Detail gehen Regisseur, Darsteller und der Produzent in ausführlichen Interviews, die exklusiv der „Special Edition“ von "Eden Log“ aufgebrannt wurde. Hinzu kommen ein sehr gutes, d. h. informatives „Making of“ sowie elf „Teaser“ in verschiedenen Sprachen.
Diese auf Doppel-DVD und Blu-Ray gebrannten Features findet man in anderer Aufteilung auch auf der Website zu "Eden Log“, die sicherlich zu den aufwändigsten und schönsten ihrer Art gehört; der französischen Sprache sollte man indes mächtig sein: http://www.bacfilms.com/site/edenlog
- Redakteur:
- Michael Drewniok