Gehetzte der Sierra Madre, Der
- Regie:
- Sergio Sollima
- Jahr:
- 1966
- Genre:
- Western
- Land:
- Italien / Spanien
- Originaltitel:
- La Resa dei conti
1 Review(s)
04.10.2008 | 07:38Jäger und Gejagte: Duelle und Showdowns am laufenden Band
Der gerechtigkeitsliebende Kopfgeldjäger Jonathan Corbett (Lee Van Cleef) liefert sich mit dem Mexikaner Cuchillo Sanchez (Tomas Milian) eine erbitterte Jagd durch die Berge der Sierra Madre. Der Flüchtige wird beschuldigt, ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet zu haben. Doch je länger das Versteckspiel währt, desto größer werden die Zweifel des Verfolgers an der Schuld des Mexikaners ... (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: La Resa dei conti (Italien / Spanien 1966)
Dt. Vertrieb: Koch Media (4. April 2008)
FSK: ab 12
Länge: ca. 105 min
Regisseur: Sergio Sollima
Drehbuch: Sergio Donati, Sergio Sollima
Musik: Riz Ortolani
Darsteller: Lee Van Cleef, Luisa Rivelli, Walter Barnes, Tom Felleghy, Roberto Camardiel, Maria Granada, Lanfranco Ceccarelli, Gerard Herter, Fernando Sancho, Nieves Navarro, Tomas Milian, Benito Stefanelli
Handlung
Prolog.
Drei Männer kommen aus Texas in die Berge, um den Kopfgeldjäger Gulik aufzusuchen. Sie sind vor dessen Berufskollegen Corbett geflohen, sagen sie dem Mann am Lagerfeuer. Den Mann, der an einem Strick von einem Baum baumelt, bemerken sie etwas zu spät. Jonathan Corbett (Lee Van Cleef) stellt erst sich selbst vor und dann Gulik: den Gehängten. Pro Mann gibt er ihnen je eine Patrone für ihre leeren Revolver, um gegen ihn in fairem Zweikampf anzutreten. Leider hält sich keiner der drei an das Fairplay. Einer nach dem anderen enden sie mit einer Kugel im Leib.
Haupthandlung.
Hochzeitsparty auf dem Anwesen von Brockstone (Walter Barnes). Corbett hat Pläne, sich als Senator aufstellen zu lassen, denn schließlich hat er Texas von allen gesuchten Halunken befreit. Der Unternehmer soll ihm den Wahlkampf finanzieren. Dieser erhofft sich seinerseits ein Gegengeschäft: Sobald er Senator ist, soll Corbett in Washington Brockstons Plan einer Eisenbahn durch Texas nach Mexiko unterstützen.
Doch die Pläne müssen aufgeschoben werden, als die Gebrüder McCoy mit der Nachricht hereinplatzen, dass ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet worden sei. Der Schuldige sei Cuchillo Sanchez, ein mexikanischer Herumtreiber, der bestimmt über die Grenze wolle. Weil der Sheriff besoffen ist und abwinkt, bittet Brockston um Freiwillige. Corbett erklärt sich bereit, die Verfolgung aufzunehmen, und der Sheriff macht ihn zum Deputy. So hat alles seine Richtigkeit bei dieser Menschenjagd.
Doch Sanchez (Tomas Milian) ist ein Fuchs. Kaum reitet Corbett ins Dorf der Mexikaner, trickst er ihn aus und klaut ihm sein Pferd. Kurz darauf erfährt er, dass sich Sanchez einem Mormonentreck angeschlossen haben könnte. Dem ist auch tatsächlich so. Auch diesmal stellt er Sanchez, den er für einen Mörder halten muss. Doch unter den Mormonen können schon junge Frauen schießen, und Sarah, die Sanchez glaubt, Corbett sei ein Räuber, verpasst Corbett eine Kugel.
Mehrmals begegnen sich die beiden in den Bergen der Sierra Madre. In einem Kloster hat Corbett von einem der Mönche gesagt bekommen, dass sich das Opfer eines Revolvermannes nicht immer vor dem Lauf einer Waffe befinde, sondern dahinter. Und als er Sanchez erneut im Knast jenseits der Grenze trifft, beteuert dieser zwar wie erwartet seine Unschuld, doch er deutet an, dass er nur der Sündenbock ist. Corbett solle mal für zwei Minuten nachdenken und herausfinden, was diese ganze Jagd eigentlich soll - und wem sie letzten Endes dient.
Als Brockston bei einem mexikanischen Großgrundbesitzer logiert, um Landrechte zu kaufen, hört sich deshalb Corbett ganz genau um. Was er da so erfährt, gefällt ihm überhaupt nicht. Er erkennt, warum und wozu er benutzt worden ist. Er beschließt, den Spieß umzudrehen. Doch das Risiko ist hoch. Denn auch Brockstone hat einen Killer ...
Mein Eindruck
Ich kann nur in meinen eigenen Worten formulieren, was Wolfgang Luley im Essay zur DVD präzise auf den Punkt bringt. Mir hat der Film ausnehmend gut gefallen, denn er ist nicht nur enorm spannend und strotzt vor Duellen. Er ist auch wider Erwarten ziemlich humorvoll, allerdings ist es ein grimmiger, schwarzer Humor, der in aller Regel durch Sanchez alias Tomas Milian vermittelt wird.
Die Botschaften, die der Film transportiert, sind wesentlich ernster. Man sollte bedenken, dass dieser im Jahr 1966 veröffentlichte Film ein engagierter Beitrag zur engagierten Gesellschaftskritik vor dem Revolutionsjahr 1968 war. Dementsprechend fiel der Film der Zensur zum Opfer. Und erst jetzt liegt die 30 Minuten längere, ungeschnittene Originalfassung vor.
~ Jäger und Gejagter ~
Corbett, der Senator in spe, scheint ein zivilisierter und intelligenter Killer zu sein. Sein Wild, der arme Mexikaner Sanchez, ist offenbar nicht mehr viel mehr als ein Tier. In rassistischen Bemerkungen wird ihm das Menschsein mehrfach abgesprochen, aber niemals von Corbett selbst. Im Verlauf der Jagd jedoch entwickeln beide Respekt vor dem anderen, doch von Freundschaft kann keine Rede sein. Erst als Corbetts Leben auf dem Spiel steht, solidarisieren sie sich, was Corbett belohnt.
~ Kapitalismus ~
Denn beide sind Opfer des Kapitalisten Brockstone, der mit Spekulationen ein Vermögen angehäuft hat und nun mit einer Texas-Bahn noch mehr Moneten anhäufen will. Dafür ist ihm jedes Mittel recht. Er verschachert seine Tochter Kate an seinen Geschäftspartner Miller, dessen Sohn Chet hinter Minderjährigen her ist. Kate ist dementsprechend frustriert von ihrer Ehe, aber ihrem Vater ist das egal. Er behandelt sie wie eine Investition, wie eine Ware.
Jeder Obermotz braucht einen Handlanger für die Drecksarbeit, die niemand sehen darf. Um ein Verbrechen seines Schwiegersohns zu vertuschen, engagiert Brockstone Corbett, um die Exekution eines Sündenbocks legal aussehen zu lassen. Er selbst behält seinen Leibwächter stets bei sich. Dieser Baron von Schulenburg stammt in der deutschen Synchronisation aus Österreich, trägt aber ein Monokel wie die Preußen und spielt für sein Leben gern Beethovens Klavierstück "Für Elise". (Es klingt sogar in seiner letzten Duellszene an.) Kein Wunder, dass ihn die italienische Literatur stets als "deutschen Killer" bezeichnet. Er hat ja Spaß am Töten, wohingegen Corbett noch so etwas wie ein Gewissen besitzt. Von Schulenburg ist die Verkörperung von Sollimas Kinoidol Erich von Stroheim (Sollima im Interview).
~ Sexualität ~
Neben Rassismus, Ungleichheit der Besitzverhältnisse und Kapitalismus prangert der Film aber auch eine Sexualität an, die auf Gewalt gegen und Verachtung der Frau beruht. Kate Brockstone wird an einen Pädophilen verschachert und bei Aufmüpfigkeit zurechtgestutzt. Der Pädophile seinerseits benutzt Minderjährige lediglich für seine Befriedigung. Cuchillo Sanchez' Frau Rosita muss im Bordell ihr Brot verdienen, da ihr Mann ja nichts verdient - nicht einmal als Bauer, was sein Stand ist. Sie ist rechtlos und wird ausgebeutet, doch als Corbett von ihr Informationen über ihren Mann verlangt, erweist sie sich solidarisch mit Sanchez. Ihr Gegenstück auf der amerikanischen Seite ist ebenso rechtlos - Corbett lässt sie sitzen, als er bei ihr einen Sheriffstern findet, den Sanchez hinterlassen hat (noch eine Gemeinsamkeit der beiden).
Die einzige Ausnahme in diesem Bild scheint die Rancher-Witwe zu sein, die von ihren Revolverhelden und Cowboys nur die Signora - Herrin - genannt wird. Doch sie ist ebenfalls auf Macht bedacht. Corbett nennt sie "die Bienenkönigin". Regelmäßig verführt sie die Neuankömmlinge, erst Sanchez, bei dem es ihr gelingt, dann vergeblich bei Corbett. Als Corbett mit den von Sanchez aufgestachelten Cowboys fertig ist, steht die Signora als das da, was sie in Wahrheit ist: einsam, verlassen, mittel- und schutzlos. Auch sie wird ein Opfer weiterer Gewalt werden, so viel ist sicher.
~ Staatsterrorismus ~
Man sieht also, dass Sollima in der ungekürzten Fassung ein volles Programm abspulen konnte und zahlreiche wunde Punkte in seiner eigenen Gesellschaft treffen konnte. Sogar den Aspekt des Staatsterrorismus spart er nicht aus: Brockstones angeheuerte Killer suchen überall in Mexiko nach Sanchez und dessen Frau. Sie verbreiten Furcht und Schrecken unter der Bevölkerung, Rosita foltern sie sogar, bis Sanchez sie rettet. El Capitan (Fernando Sancho), der mexikanische Gesetzeshüter, hat die Parole der drei weisen Affen ausgegeben: nichts sehen, nicht hören, nichts sagen. Denn wer wie Don Serrano, Brockstones Geschäftspartner, das Geld hat, der hat auch die Macht.
~ Die Musik ~
Ennio Morricone hat sich mit diesem Score fast selbst übertroffen. Die Musik ist abwechslungs- und einfallsreich. Mal heulen die Trompeten, dann wieder erzeugen die tiefen Flöten und Trommeln eine Dschungelatmosphäre. Genial ist das Einbauen von Beethovens "Elise"-Stück in den dramatischen Todesgesang zu Corbetts Showdown mit dem Killer von Schulenberg. In der Parodie eines Stierkampfs erklingt die Parodie einer Corrida-Trompete. Sollima verlangte Leitmotive für Figuren und Szenen - Morricone gab sie ihm reichlich.
Und der Titelsong klingt in Italienisch noch besser als in Englisch: "Du wirst niemals die Freiheit finden", singt die Sängerin voller Inbrunst. Doch genau dies passiert im Film, und Sanchez reitet Seit' an Seit' mit Corbett zur amerikanischen Grenze, wo sich ihre Wege trennen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: Widescreen (2.35:1 - anamorph)
Tonformate: Deutsch in DD 2.0, Italienisch in DD 2.0
Sprachen: Deutsch, Italienisch
Untertitel: Deutsch
Extras:
1. Featurette mit Regisseur Sergio Sollima (32:01)
2. Diverse Original-Kinotrailer
3. Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
4. Drehort-Fotos
Mein Eindruck: die DVD
Das Bild ist digital überarbeitet worden und dementsprechend einwandfrei. Besonders die Räume der zwei Haziendas sowie das Bordell sind entsprechend farbenprächtig. Der deutsche Ton wurde ebenfalls überarbeitet und von Mono- auf Stereo-Niveau gehoben. Die deutsche Synchronisation klingt jetzt nicht so knattrig. Aber da sowieso wenig gesprochen wird, ist die Qualität der Musik von Morricone wichtiger. Ich fand deren Sound einwandfrei.
1.) Featurette mit Regisseur Sergio Sollima (32:01)
Das Hauptstück unter dem Bonusmaterial ist sicherlich das Interview, das Sergio Sollima im Alleingang gibt - eine gute halbe Stunde lang (der Mann ist schwerhörig). Er erzählt, wie er zum Kino und wie es kam, dass so viele Italo-Western in Spanien gedreht wurden; die italienischen Produzenten hielten einfach den Vorschlag Sollimas und Leones, italienische Western zu drehen, für absurd. Doch als Leone mit "Für eine Handvoll Dollar" 1964 weltweit einen Riesenerfolg hatte, stieg Alberto Grimaldi ein und finanzierte auch Sollimas Filme: erst drei Agentenstreifen, dann den Western "Der Gehetzte der Sierra Madre" (La resa die conti). Die Gründe für dessen Erfolg habe ich oben schon erwähnt.
Nachdem sich Sollima über die Qualitäten seiner Darsteller ausgelassen hat, erzählt er noch eine Anekdote über die Pferde. Sie spielten eine nicht unwichtige Rolle. Und als das Pferd Lee Van Cleefs wegen "Erregtheit" nicht mit der Kamera aufgenommen werden konnte, war Not am Mann und Zeit. Als es sich wieder beruhigt hatte, ersparte es dem Produzenten Millionen von Lire. Und die Abendaufnahmen des davonreitenden Van Cleef gehören zu den schönsten des gesamten Films.
2.) Essay von Wolfgang Luley
Dieser Essay bringt alle meine eigenen Überlegungen und Beobachtungen auf den Punkt, so dass ich nichts davon hier wiederholen möchte. Luleys berechtigtes Fazit: "Der Gehetzte" ist einer der zehn besten Italo-Western und stellt Sollima auf eine Stufe mit Leone und Corbucci. Dem ist nichts hinzuzufügen. (Infos über die Mitwirkenden sind alle im Interview mit Sollima enthalten.)
3.) Diverse Original-Kinotrailer
Der deutsche Originaltrailer (3:31) bietet Musik und einen aufpeitschenden Kommentar. Der italienische hingegen bietet zwar die gleichen Bilder und Musik, doch keinen Kommentar - das wirkt sehr dröge. Der US-Trailer (2:07) hat als Titel "The Big Gundown", bietet eine andere Bildsequenz und als Kommentar lediglich Bildunterschriften mit PR-Botschaften. Unter allen Trailern schneidet der deutsche am besten ab. Die Bildqualität ist nicht überarbeitet, und der Verleih weist extra darauf hin.
4.) Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
Die Galerie (9:19 min) umfasst internationale Poster, ebensolche Aushangfotos. Überraschung: In Frankreich lief der Film unter dem völlig unmotivierten Titel "Colorado". Zudem ist ein skandinavisches Filmheft zu sehen. Auf dem letzten Plakat ist Sollimas Autogramm verewigt - eine besondere Ehre.
5.) Drehort-Fotos
Eine interessante Idee für jeden Sammler ist der Vergleich der im Film gezeigten Drehorte mit der heutigen Wirklichkeit. Erstaunlicherweise ist keine der Locations überbaut oder beseitigt worden, und die gezeigte Liste der Drehorte umfasst sogar die kleine Villa, die im letzten Drittel zu sehen ist. Die meisten der gebirgigen Orte liegen weit von Almeria entfernt und scheint vor der Bauwut der Spanier bislang sicher zu sein.
Unterm Strich
Mit Fug und Recht gehört dieser Ausnahme-Western zu den Top Ten unter den Italo-Western. Abgesehen von den oben angeführten Aspekten der Gesellschaftskritik sorgt die genial entworfene Figur des Sanchez mit überraschenden Szenen und Ideen auf, die vom Regisseur stammen. Milian setzt sie kongenial um, obwohl er eigentlich der James-Dean-Typ war.
Der Millionärssohn Lee Van Cleef (aus der Diamantendynastie Van Cleef & Arpels) hat ein Charaktergesicht wie für den Film geschaffen und kann als Einziger diesem wirbelnden und zwielichtigen Charakter Paroli bieten. Corbett zieht zwar immer wieder den Kürzeren, doch schließlich scheint ihm der Sieg nicht mehr wichtiger zu sein als das Überleben. Es ist diese Entwicklung der beiden zentralen Charaktere, die mich von den Qualitäten des Films am meisten überzeugt hat. Spannung und Action sind aber auch sehr willkommen, und davon gibt es nicht zu wenig.
Das Bonusmaterial ist für jeden Sammler ein Leckerbissen. Der gewitzte Sollima plaudert herrlich aus dem Nähkästchen, und der Essay bringt alle Aussagen dieses Regisseurs und seines Streifens auf den Punkt. Die Bildergalerie sowie gleich drei Trailer runden das Angebot ab.
Fazit: ein Volltreffer.
- Redakteur:
- Michael Matzer