Grab der Sonne, Das
- Regie:
- Oshima, Nagisa
- Jahr:
- 1960
- Genre:
- Drama
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Taiyô no hakaba
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30.05.2010 | 23:32Jahrzehnte lang wurde das japanische Kino von einem Großteil des westlichen Publikums vor allem auf seine Samurai-Filme, wie etwa die von Altmeister Akira Kurosawa („Die Sieben Samurai“, 1954), reduziert. Dabei existierte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine verhältnismäßig große Filmlandschaft in Japan, die schon in ihren Anfängen durch enorme Vielfalt auffiel und viele frühe Klassiker mit sich brachte. Doch erst in den letzten Jahren, dank Globalisierung, Internet und DVDs, ist der japanische Film und seine vielen, vor allem frühen, Vertreter, auch einem westlichen Publikum geläufig geworden und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Auch das Werk von Regielegende Nagisa Ôshima vor seinen großen Filmen wie „Im Reich der Sinne“ (1976) oder „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (1983) hält allmählich Einzug in das kollektive Bewusstsein des nicht-asiatischen Publikums. Zu einem von Ôshimas herausragendsten Beiträgen aus seiner Anfangszeit dürfte sich ohne weiteres „Das Grab der Sonne“ zählen, ein Film, welcher wie kaum ein anderer Film seiner Zeit, die Ausweglosigkeit der Nachkriegsgeneration widerspiegelt.
In der Mitte der 1950er Jahre erfolgt für das von den Schäden des Zweiten Weltkrieges geschundene Nachkriegs-Japan allmählich der wirtschaftliche Aufschwung, welcher das Land schnell zu einem der wirtschaftlich mächtigsten und hochtechnologisiertesten Nationen der Welt machen wird. In Kamagasaki, einem Armenviertel in Osaka, ist von einer Verbesserung der Lebensumstände jedoch nichts zu spüren, vielmehr bestimmen Armut, Kriminalität und Gewalt das Bild des heruntergekommenen Slums. Dies hat den Effekt, das vor allem die junge Generation versucht mit allen Mitteln der Armut zu entfliehen. Die Prostituierte Hanako (Kayoko Honoo) etwa betreibt mit ihrer Gang einen illegalen Bluthandel, der ihr gutes Geld einbringt. Als ein alter Kaisertreuer Extremist (Eitarô Ozawa) davon Wind bekommt, versucht er mit allen Mitteln das Geschäft von Hanako an sich zu reißen. Aus diesem Grund wendet sich das noch junge Mädchen an Shin (Masahiko Tsugawa), ebenfalls Anführer einer aus halbstarken Jungen bestehenden Gang, der jedoch vor allem, ebenso wie Hanako auch, seine eigenen Interessen im Sinn hat...
„Das Grab der Sonne“ ist ein wütender Schrei und eine schonungslose Abrechnung mit dem alten Japan zugleich. Ôshima, der zu den wichtigsten Vertretern des japanischen Nachkriegskinos zählt, erzählt die Geschichte einer Generation, die nicht weiß wohin siehe gehen soll, gar überhaupt weiß wer sie ist. Auf der einen Seite stehen die alten, dem Kaiserreich noch immer treuen Extremisten, wie der Agitator, welcher versucht Hanako aus ihrem Geschäft zu treiben. Immer wieder hört man den alten Rassisten Reden schwingen über die glorreiche Zeit vor der Niederlage, immer wieder tritt er seine Paranoia über einen angeblich bevorstehenden Angriff der Kommunisten breit und verirrt sich im Wahn, das sich das einst so mächtige Reich wieder aus seiner Asche erheben muss. Auf der anderen Seite steht das sich weiterentwickelnde Japan der großen Metropolen. Die Niederlage wird dort, notgedrungen, akzeptiert und man versucht das beste aus der Situation zu schlagen, eine Demokratie wird aufgebaut und man arbeitet mit dem einst so verhassten Westen zusammen – trotzdem: eine Aufarbeitung mit der Vergangenheit findet kaum statt. Inmitten diesem Wirrwar steht eine Generation, die zu Kriegszeiten noch zu Jung war um zu verstehen was geschieht und nun, das sie verstehen kann, mit der eigenen Identifikation zu kämpfen hat.
Ôshimas Werk rechnet somit ab. Mit dem alten Japan, das auf seinem Konservatismus beharrt, ebenso wie mit dem neuen Japan, das sich uneinsichtig zeigt, die Schrecken der Vergangenheit aufzuarbeiten. Insofern strotzt „Das Grab der Sonne“ von einem allseits präsenten Zorn gegen die zeitgenössische Gesellschaft, welcher immer wieder in Bildern unkontrollierbarer und nicht zu erklärender Gewalt ausartet. Vergewaltigungen – einfach so -, Demütigungen – einfach so, Morde – einfach so. Ôshimas faszinierend fotografierter Film fängt die gesamte Breitseite einer vollkommen zerrütten Gesellschaft ein, die dabei ist sich weiter zugrunde zu richten und denen, die am wenigsten Schuld an der desolaten Situation tragen, sprich der Jugend, mit in den Abgrund zu ziehen. Insofern ist „Das Grab der Sonne“ ein düsterer, sicherlich auch sehr unangenehmer Film, der ein vollkommen anderes Bild von dem Land zeichnet, das so romantisch als das Land der aufgehenden Sonne erklärt wird. Ein erschütterndes, schwer zu verkraftendes Bild.
Es ist aber nicht nur die enorme Kraft der Inszenierung, mit welcher der Film um sich schlägt, sondern auch die schiere Energie, die von den Darstellern ausgeht, welche „Das Grab der Sonne“ zu einem sehr intensiven Filmerlebnis machen. Kayoko Honoo spielt die intrigante Hanako mit solch einer Überzeugung, das man sie eigentlich nicht mögen kann, gleichzeitig verlangt die Hauptdarstellerin ihrer Figur einen kaum zu widerstehenden Charme ab, der sich fast hypnotisierend auf den Zuschauer auswirkt. Isao Sasaki als Takeshi, der gerade in die Gang von Shin eingetreten ist, ist derweil das genaue Gegenteil. Gewissenhaft stellt er immer wieder das Verhalten der anderen in Frage, ist schockiert, wenn er sieht wozu seine Mitstreiter fähig sind. Eitarô Ozawa („Godzilla - Die Rückkehr des Monsters“, „Die Prinzessin Yang“) als paranoider Extremist birgt ebenfalls eine ungemeine Ausstrahlungskraft, die in seinem Falle jedoch schockiert.
„Das Grab der Sonne“ ist ein äußerst intensiver und verstörender Film, welcher bereits etliche Elemente aufweist, die Nagisa Ôshimas große Klassiker einmal ausmachen werden. Erstaunlich ist vor allem die Tatsache, das der Film, trotz seines Alters von fünfzig Jahren, noch immer unglaublich frisch und unverbraucht wirkt, wüsste man es nicht genau, könnte man ebenso gut annehmen, er sei erst dreißig Jahre später entstanden.
Daten zum Film:
Taiyo no hakaba (Japan 1960)
Laufzeit: ca. 84 Minuten
FSK: Ab 16 Jahren
Regie: Nagisa Ôshima
Darsteller: Masahiko Tsugawa (Shin), Kayoko Honoo (Hanako), Isao Sasaki (Takeshi), Fumio Watanabe (Yosehei), Kamatari Fujiwara (Batasuke), Eitarô Ozawa (Agitator)...
8/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte