Halunken, Die
- Regie:
- Dario Argento
- Jahr:
- 1973
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Italien
- Originaltitel:
- Le cinque giornate / The Five Days of Milan
1 Review(s)
02.10.2008 | 08:54Schwarze Historien-Politkomödie
Im März 1848 bricht in Mailand ein Aufstand aus, der die österreichischen Truppen zum Rückzug zwingt. Während der fünf Tage des Aufstands geraten der Gelegenheitsdieb Cainazzo (Adriano Celentano) und sein Freund Romolo zwischen die Fronten und erleben die wildesten Abenteuer. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit den beiden. (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Le cinque giornate / The Five Days of Milan (Italien 1973)
Dt. Vertrieb: e-m-s (24. April 2008)
FSK: ab 16
Länge: ca. 116 min
Regisseur: Dario Argento
Drehbuch: Nanni Balestrini, Enzo Ungari, Luigi Cozzi
Musik: Giorgio Gaslini
Darsteller: Guglielmo Bardella, Enzo Cerusico, Germano Altomanni, Glauco Onorato, Carla Tato, Adriano Celentano, Loredana Martinez, Sergio Graziani, Luisa De Santis, Salvatore Baccaro, Loredana Benacca, Marilu Tolo
Handlung
Der Dieb Cainazzo (Celentano) schmort wie viele andere im Knast von Mailand, das im März 1848 noch von den Österreichern beherrscht wird. Bis plötzlich am 18.3. eine Kanonenkugel die Mauer des Kerkers aufbricht und Cainazzo in die Freiheit entlässt. Doch was für eine Art Freiheit ist das? Sogenannte "Freiheitskämpfer" ziehen mit der Trikolore durch die Straßen, was allerdings reichlich orientierungslos aussieht.
Cainazzo sucht seinen Freund und Standesgenossen Zampino, aber seine Diebesfreunde teilen ihm mit, dass Zampino sich jetzt selbst "Freiheit" nenne und die Revolution anführe. Na toll. Man braucht sich bloß wie Cainazzo die richtige Fahne zu schnappen und schon laufen einem alle hinterdrein. Sollen das vielleicht richtige Revolutionäre sein, die einem beim Pinkeln zusehen, bloß weil man eine Fahne dabeihat?
Während der Revolutionsrat noch auf Unterstützung aus Turin vom König von Savoyen wartet, feuern die Österreicher weiter auf die Stadt. Als eine Backstube vor Cainazzos Augen getroffen wird, bleibt nur der junge Bäcker am Leben. Er nennt sich Romolo Macelli und Cainazzo seinen "Bruder", weil er um ein Haar überlebt hat. Na prächtig. Der Kleine folgt Cainazzo auf Schritt und Tritt, als wäre er ein anhänglicher Hund.
Eine Straße weiter baut die revolutionsbegeisterte Gräfin Tortiglioni eine Barrikade auf. Doch bevor sie fürs Möbelschleppen eingeteilt werden können, nehmen Cainazzo und Romolo Reißaus - direkt in die Arme einer Hochschwangeren, der die Fruchtblase geplatzt ist. Die sofortige Geburtshilfe erweist sich für die beiden ungleichen "Brüder" als schwere Prüfung ihrer eh kaum vorhandenen Intelligenz. Gleich nach der erfolgreichen Entbindung können sie zurück zur Barrikade, die nun auch ordnungsgemäß von den Österreichern bestürmt und beschossen wird. Wieder eilt die Freiheit in Gestalt Zampinos geisterhaft vorüber. Und die knackige Gräfin Tortiglioni bietet sich den siegreichen Revolutionären gleich selbst an.
Wenig später sehen sich Cainazzo und Romolo von einem Baron namens Presumpto rekrutiert und durch die Gassen eilen. Der Kampf auf dem Rathausplatz ist zum Glück nur kurz, denn die Österreicher im Rathaus ergeben sich. Was für ein Triumph - und so unblutig, freut sich Cainazzo. Da finden die Freiheitskämpfer jedoch gehängte Genossen im Rathaus, woraufhin sich die Wut auf die Österreicher Bahn bricht. Es endet in einem Massaker an den wehrlosen Gefangenen. Das Blutbad wiederum führt zum rücksichtslosen Gegenschlag unter General Radetzky persönlich, der auf dem Rathausplatz kaum ein Kind am Leben lässt, geschweige denn Männer und Frauen.
Cainazzo weint, doch unterdessen wird sein Freund Romolo wegen Konterrevolution verhaftet und soll standrechtlich erschossen werden. Allerdings wartet auch schon auf Cainazzo das Erschießungskommando, er weiß es nur noch nicht. Doch dort, im Hauptquartier der Österreicher, wartet die größte Überraschung auf ihn.
Mein Eindruck
Vom 18. bis 24. März 1848 erhob sich in Mailand das Volk und zwang die Österreicher unter Radetzky zum Abmarsch. Doch schon im August kehrte Radetzky zurück und machte der kleinen Revolution den Garaus. Erst zehn Jahre später erlangte Mailand die Freiheit.
Argentos Kombination aus Historienfilm und schwarzer Politkomödie ist sein persönlicher, satirischer Kommentar auf die 68er-Generation, die sich so revolutionär gab, aber letzten Endes ihre Ideale verriet. Was die Österreicher im Film darstellen, das sind während der wilden 68er die sogenannten Bürgerlichen, gegen die es anzukämpfen galt.
Anhand des irrationalen Verhaltens Cainazzos, des geistig etwas minderbemittelten, aber dann doch recht vernünftigen und herzensguten Antihelden, zeigt der Film auf, was alles nicht mit den Exponenten der sogenannten Revolution stimmt. Cainazzo erscheint ihnen so harmlos, dass sie ihn in der Regel nicht beachten, wenn sie ihre Machenschaften austüfteln. Sogar Gräfinnen, die sich selbst feilbieten, verschmäht er und überlässt reiche, liebeshungrige Witwen lieber seinem Freund, dem jungen Bäcker Romolo (obwohl der Milanese Cainazzo wirklich ein Vorurteil gegen Römer hegt).
Was Cainazzo ständig sucht, ist die Freiheit, doch dieses Phantom rast stets an ihm vorüber, während alle Pseudo-Revoluzzer ihr Schäfchen ins Trockene bringen und alte Rechnungen begleichen. Schließlich findet Cainazzo zwar Zampino, den Freund, der sich Freiheit nennt. Doch Zampino hat sich an die Österreicher verkauft und entscheidet dort über Leben und Tod von Revoluzzern. Am Ende soll Cainazzo vor dem Volk seine Heldentaten bei dem Aufstand erzählen, auf dass man ihn hochleben lassen kann. Doch er brüllt nur empört: "Sie haben uns alle beschissen!" Betreten schauen sich die Geistlichen und Bourgeoisie-Vertreter in ihren Zylindern an. Das wollten sie eigentlich nicht hören.
~ Schauwerte ~
Die Revoluzzer bereichern sich gerne. Reihenweise verschwinden Gemälde und andere Preziosen. Man könnte es auch "gerechte Umverteilung des Besitzes" nennen, nur dass es eigentlich wie ordinärer Raub aussieht. Die Revoluzzer vögeln auch gerne, und das fällt im Grunde in die gleiche Kategorie. Nur hat die weibliche Beute diesmal einen höheren sozialen Status.
Blanke Busen findet man zwar in diesem Film allenthalben, aber wenn sie in einer Beinahevergewaltigung gezeigt werden, vergeht einem die Lust am Hinsehen. Erotik ist nie Selbstzweck in diesem Film, sondern stets entweder ein Zeichen von Würde (die junge Witwe) oder von zweckgerichtetem Einsatz (die Gräfin). Dass bei der Gebärenden von Erotik keine Rede sein kann, versteht sich von selbst.
Ein Baron in einem menschenleeren Palazzo legt Cainazzo und Romolo auf zynische Weise die klaren Fakten über den Aufstand dar und beraubt sie (fast) aller Illusionen über die Errungenschaften und Ziele dieses Aufstandes. Selbst dessen Helden werden von verschiedenen Parteien reklamiert. Der Anfang vom Ende der "Einheitsfront". Die Musik dafür ist der Oper entlehnt, aber mit einem Synthesizer gespielt, um den modernen Bezug herzustellen.
Cainazzos und Argentos uneingeschränkte Sympathie gilt jedoch dem einfach Volk, das lediglich Opfer ist. Die grandioseste Szene dafür ist das Massaker der Österreicher auf dem Rathausplatz. Bei diesen Anlässen erklingt stets eine bekannte elegische Orchestermusik, deren Titel mir aber nicht einfallen will. Die Elegie kontrastiert mit dem bekannten Radetzky-Marsch.
Einen höchst bemerkenswerten Darstellungskniff hat sich Argento für den Abzug der Österreicher einfallen lassen. Als ob er andeuten will, dass die Österreicher erstens unwillig abziehen und zweitens wiederkommen könnten, stellt er bestimmte Szenen erst als Standfoto dar und lässt dieses dann zum Leben erwachen. Das geht fast fünf Minuten lang so. Musikalisch begleitet wird diese Sequenz von einem Summchor. Man hat dadurch fast den Eindruck einer Traumsequenz und als ob dieser Abzug nicht real wäre (was sich dann ja auch als zutreffend herausstellte).
Humor gibt es zwar schon im Film, sonst wäre er keine Polit-Comedy, aber der Humor ist ziemlich schwarz und führt oft zu einer entlarvenden Darstellung von Cainazzos Gegenüber. Das ist in der Szene, als er sich unter einem Banketttisch versteckt, deutlich zu bemerken. Er belauscht die Geistlichen und Bürgerlichen bei ihren Mauscheleien, die ihren Egozentrismus entlarven. Von Sympathie mit dem Aufstand keine Spur.
Die DVD
Technische Infos:
Bildformate: Widescreen (2.35:1 - anamorph)
Tonformate: Dolby Digital 1.0 in Deutsch, Dolby Digital 1.0 in Italienisch
Sprachen: Deutsch, Italienisch
Untertitel: Deutsch
Extras:
- Trailer
- Produktionsnotizen
- Filmografie
- Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität des Bildes ist erstaunlich gut angesichts der Tatsache, dass der Film nicht digital überarbeitet wurde. Die Tonqualität ist hingegen recht bescheiden, denn sie liegt nur in Mono-Klang vor. Mit Remastering hätte man vielleicht DD-2.0-Stereoton erzielen können.
1.) 2 Trailer
Der erste Trailer enthält kurze Szenen, die von Synthesizer-Musik begleitet werden (3:26 min). Der zweite Trailer besteht aus Standfotos, die von der Wilhelm-Tell-Ouvertüre begleitet werden (man denke an ihre Verwendung in Kubricks "Uhrwerk Orange", nur langsamer). Dieser Trailer mit 2:12 Minuten Länge viel kürzer.
2.) Produktionsnotizen
Die Produktionsnotizen umfassen einerseits nähere Details zur Historie, zu Argento und zu den Mitwirkenden, andererseits unternimmt der Autor Thomas Wagner eine Beurteilung und Würdigung, sowohl innerhalb Argentos Oeuvre als auch innerhalb der Filmgeschichte. Leider rollt der Text so schnell ab, dass man die langen Zeilen nicht schnell genug lesen kann. Ich musste deshalb immer wieder an den Anfang zurückgehen und neu anfangen.
3.) Filmografie Dario Argentos
Eine ellenlange Liste informiert über die Filmografie Dario Argentos zwischen 1967 und 2007.
4.) Trailershow
Gezeigt werden folgende Trailer: "Petroleum-Miezen"; "Der große Coup" (ein harter Don-Siegel-Actionstreifen); "Die Schöne und das Biest"; "Die Schlangengrube und das Pendel"; "Blutige Seide"; "Der Dämon und die Jungfrau".
Unterm Strich
Viele Filmfreunde dürfte diese bissige Historiensatire nur wegen des großen Namens des Regisseurs interessieren. Doch während Argento vor allem wegen seiner Horrorthriller bekannt ist, stellt "Die Halunken" eine große Ausnahme dar. Der Essay unter "Produktionsnotizen" erklärt, wie es dazu kam. Argento rechnete mit der gescheiterten "Revolution" der 68er ab, weil sie die Ideale der Anarchisten und Reformer, zu denen er sich zählt, verriet.
Ob ausgerechnet der Schlagersänger Adriano Celentano der rechte Darsteller für diese satirische Posse war, sei dahingestellt. Dass man aber kurzweilig und abwechslungsreich unterhalten wird, ist keine Frage. Weil es aber an Spannung fehlt, ist es dem Zuschauer relativ gleichgültig, ob der Film nun ein Ende findet oder nicht. Das ist wirklich schade, aber wie in jeder Komödie droht am Ende der Tod. Und ob der Held dem grimmen Schnitter von der Schippe hüpft, soll hier nicht verraten werden.
- Redakteur:
- Michael Matzer