ID:A - Identität Anonym
- Regie:
- Christian E. Christiansen
- Jahr:
- 2011
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Dänemark
- Originaltitel:
- ID:A
1 Review(s)
09.11.2012 | 15:21Jason Bourne, wo bist du?
Als sie im eiskalten Wasser des Flusses in Südfrankreich zu sich kommt, weiß Ida nichts mehr über sich. Totaler Gedächtnisverlust! Woher stammt die frische Narbe auf ihrem Bauch? Woher hat sie den Seesack voller Geld und die Pistole und vor allem: Wer sind die beiden Männer, die sie verfolgen? Ist sie etwa in das Attentat verwickelt, das in der Nähe passiert ist? Ida geht auf die Suche nach sich selbst.
Die Spur führt nach Dänemark. Dort findet sie einen berühmten Sänger, der ihr Ehemann ist. Doch hinter der kultivierten, luxuriösen Fassade stimmt etwas nicht. Langsam tastet sie sich an den blutigen Cocktail aus Terror und Angst heran, der sie schließlich quer durch Europa gehetzt hat ... (Cinefacts.de)
Filminfos
O-Titel: ID:A (DK 2011)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: 20.11.2012 [Kauf-Blu-Ray], 5.11.2012 [Leih-Blu-Ray]
EAN-Nummer: 7613059402645
FSK: ab 16
Länge: ca. 104 Min.
Regisseur: Christian E. Christiansen
Drehbuch: Tine Krull Petersen nach dem Roman "På knivens aeg" von Anne Chaplin Hansen (2000)
Musik: Guy Zerafa
Darsteller: Jens Spottag (Privatdetektiv HP), Flemming Enevold (Just), Maria Tuva Novotny (Ida), Carsten Bjornlund (Martin), John Buijsman (Rob), Arnaud Binard (Pierre), Marie Louise Wille (Mariette), Finn Nielsen ("Rosie") u.a.
Handlung
Sie erwacht am Grunde einer Wildbachschlucht, ohne Namen oder Gedächtnis. In dem Seesack am Ufer liegen jedoch Millionen an Euro, eine Pistole - und eine Porträitzeichnung. Diese Inhalte entdeckt sie in der kleinen südfranzösischen Pension, in der sie sich einquartiert. Die Besitzerin ist misstrauisch, denn die Fremde, die garantiert keine Französin ist, schaut nicht gerade präsentabel aus - Blut läuft ihr aus einer Stirnwunde. Dafür ist Pierre, der Sohn der Besitzerin, umso mehr von der Fremden angetan und hilft ihr. Sie entdeckt beunruhigt eine frische große Narbe auf ihrem Bauch.
Nach einem Einkaufsbummel sieht "Alina Amiel" richtig schick aus und sie zahlt im Voraus. Doch die Idylle ist nicht von Dauer: In den Fernsehnachrichten ist von drei erschossenen Männern auf einem Gut in der Nähe die Rede, und wenig später fragen zwei finstere Gestalten, die bestimmt auch nicht aus Belle France stammen, nach einem jungen Mann, der aussehen soll wie Alina, als sie eincheckte. Zum Glück hat sie mittlerweile mit dem Gesuchten keinerlei Ähnlichkeit mehr. Vorsichtshalber färbt sie sich jedoch die Haare schwarz und kürzt sie. Im Reisebüro entdeckt sie anhand der Broschüren, dass sie Dänisch so gut versteht, als wäre es ihre Muttersprache.
Als sie allein mit dem Bus nach Kopenhagen reist, hört sie eine bekannte Stimme aus einem MP3-Player: Es ist der Ariensänger Just Ore. Warum kommt er ihr nur so bekannt vor? In der Oper entdeckt sie ihre wahre Identität: Sie ist Ida Aumont Ore, Justs Gattin, und wird seit einigen Tagen vermisst. Nicht zuletzt natürlich von ihrem Gatten, der sich zunächst liebevoll um sie kümmert.
Als aber die Verfolger, die in Frankreich nach dem jungen Mann fragten, sie auch in Dänemark beschatten (sie haben das Überwachungsvideo der Pension geprüft), setzt sie einen Privatdetektiv darauf an. Er findet Beunruhigendes heraus: Just Ore und Martin Aumont, ihr Bruder, waren vor Jahren in einer kommunistischen Protestgruppe namens KFAG engagiert, die 1979 sogar Bomben legte. Angeblich stieg Just Ore vor Jahren aus, doch wo Martin ist, kann ihre Schwester Mariette nicht sagen. Ida entdeckt, dass es Martin war, den sie selbst gezeichnet hat und dessen Porträt sie im Seesack fand. War sie mit ihm zusammen? Aber was hatten sie zusammen vor? Was ist aus ihm geworden?
Unversehens wendet sich Idas Situation, als Just die Visitenkarte von Pierre, dem netten Hotelbesitzer aus Frankreich, bei ihr findet. Liegt es nur an seiner rasenden Eifersucht oder steckt mehr dahinter, dass er komplett ausrastet und beginnt, Ida zu prügeln und zu erwürgen?
Mein Eindruck
In diesem Moment äußerster Todesangst erinnert sich Idas Gedächtnis wieder an das, was ihr widerfahren ist. Eine lange Rückblende, die fast den halben Film ausmacht, beginnt, uns in Idas Vergangenheit zurückzuführen. Aber was für eine Vergangenheit, lautet die Frage, und von welcher Relevanz sollte sie überhaupt sein - für die Geschichte und für das Bezugssystem des Zuschauers.
Bäumchen wechsel dich
Wie es der Titel "Identität Anonym" bereits nahelegt, geht es um die vergessene, vielleicht sogar verdrängte Identität einer Frau. Der - hoffentlich nur vorübergehende - Verlust der eigenen Identität erweist sich als Einbuße wie auch als Chance. Erstaunlich fällt es Ida Aumont Ore, ihre wahre Identität abzulegen und sich selbst neu zu erfinden. Es geht los mit Kleidern, mit dem Aussehen, mit dem Namen sowieso. Frauen sind Meisterinnen der Mimikry und Tarnung.
Aber all dies sind Äußerlichkeiten, wie jeder Jason-Bourne-Fan weiß. Ein neuer Pass, ein neues Ticket - ein Klacks für den Profi-Agenten. Kniffliger ist da schon der Wechsel des eigenen Geschlechts. Mit dieser Transsexualität spielt der Film leichtfüßig und wie nebenbei, denn die Buchvorlage wurde von einer Frau geschrieben (siehe "Filminfos"). Wie heißt es doch so schön von Rosie, dem Transvestiten, der Ida am Kopenhagener Bahnhof hilft? "Wir Mädels müssen zusammenhalten." In Martins Obhut mutiert Ida zum Jungen, und so einen suchen ihre Verfolger von der KFAG.
Gender vs. Sex
So erweist sich auch das an Äußerlichkeiten festgemachte Geschlecht einer Person nur als Notbehelf, um in einer Gesellschaft, die sich an "Look & Feel" einer Person orientiert, das Leben leichter zu machen. Diesem sozial geprägten Begriff des "gender" steht der biologisch definierte Begriff des "sex" gegenüber.
Was im Deutschen nur mit "Geschlecht" übersetzt werden kann, sind in Wahrheit zwei verschiedene Dinge, und der Film macht dies sinnfällig. Unübersehbar ist Idas Narbe auf dem Bauch: Hier wurde ihr im Krankenhaus der Fötus herausoperiert, denn sonst wäre sie verblutet. "Ein Unfall" entschuldigt sie sich, doch der wahre Grund liegt nahe, wenn man an den prügelnden Just Ore denkt. Es ist diese verlorene Schwangerschaft, die Ida als weiblich definiert - und nur Eingeweihte dürfen davon wissen.
Tempo
Alle diese Aspekte kommen in den ersten zwei Dritteln des Films mehr oder wenig unterschwellig zum Ausdruck, wenn man seinen Blick dafür schärft. In diesem Teil des Films versucht Ida, den Rätseln ihres versunkenen Vorlebens auf den Grund zu gehen und herauszufinden, warum sie immer noch verfolgt wird. Das ist zwar stringent, aber doch relativ gemächlich und mit psychologischem Feingefühl inszeniert. Allerdings lässt das Jason-Bourne-Gefühl des unablässigen Katz-und-Maus-Spiels noch auf sich warten.
Diese Erwartung wird erst so richtig eingelöst, als die lange Rückblende in ihre heiße Phase tritt. Martin Aumont, muss Ida erkennen, ist nicht weiter als ein lumpiger Bankräuber. Und anstatt die Beute der KFAG zu übergeben, will er sie einem Gutmenschen überlassen, der nicht nur viele Hilfsprojekte betreut, sondern auch noch sein Geliebter ist. Das kann ja nur schief gehen, denn solche Ausreissversuche nehmen ideologische Gruppen immer tierisch ernst. Doch wer steckt hinter der KFAG und so radikal, dass er sogar Martins Freund Jim foltert? (Diese Folterszene ist wohl der Grund, warum der Film erst ab 16 Jahren freigegeben ist.)
Nach dem Ende der Rückblende weiß Ida endlich, wer sie ist. Aber das nützt ihr wenig, wenn Justs Hände um ihren Hals gelegt sind. Es müssen noch zwei weiteren Faktoren hinzukommen, um sie zu retten. Ein rasanter Showdown mitsamt Stürzen und Shootouts verdeutlicht symbolisch, wie tief das Denkmal des bürgerlichen Erfolgsmenschen Just Ore gefallen und wie hohl die Fassade der Bürgerlichkeit ist.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: Widescreen (2.35:1)
Tonformate: DTS HD Master Audio 5.1 in Deutsch, DTS HD Master Audio 5.1 in Dänisch
Sprachen: D, Dänisch
Untertitel: D
Extras:
- O-Trailer
- Dt. Trailer
- Trailershow
Hinweis: Auf Cinefacts.de ist von weiteren Extras die Rede: Making of, Deleted Scenes und Interviews. Diese finden sich jedoch nicht auf dem Endprodukt.
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität des Bildes ist bestens, was sich besonders in den sehr dunklen Szenen im Wald oder unbeleuchteten Zimmern bzw. schummrigen Tiefgaragen zeigt. Hier hat Kameramann Jan Hansen gute Arbeit geleistet.
EXTRAS
1) Originaltrailer (1:50)
Der Zusammenschnitt steigert das Tempo langsam bis zum Finale, vom Rätsel bis zur Action. Mit dänischem O-Ton aus dem Off.
2) Deutscher Trailer (1:50)
Das gleiche in Grün, aber mit deutschem Kommentar.
3) Trailershow
a) Priest of Evil (Dänemark)
b) Swerve (AUS)
c) Starbuck
d) Agent Hamilton (SWE, Mikael Persbrand)
e) When the Lights Went Out (Exorzismus)
f) Black Sheep (Zombieschafe in Neuseeland)
g) Soldiers of Fortune (Action)
h) Guns and Girls (Krimikomödie mit Chr. Slater)
i) Rampart (siehe meinen Bericht)
j) A Lonely Place to Die (Thriller in Scottland)
k) Texas Killing Fields (siehe meinen Bericht)
Unterm Strich
Als Persönlichkeitsdrama funktioniert der Film besser denn als Actionthriller. Zu lange braucht die Geschichte, bis sie in schnelleres Fahrwasser gelangt. Es ist zwar ein hehres Anliegen, die zentrale Figur zu erklären, doch dann muss die Schauspielerin auch ihr Dilemma entsprechend ausdrücken, damit wir an ihrem Schicksal anteilnehmen.
Das gelingt Tuva Novotny leider nicht. Sie spielt nach der Maxime "Weniger ist mehr" und erweckt dadurch in immer mehr Szenen den Eindruck einer passiv Ertragenden statt einer aktiv Gestaltenden. Unausweichlich gerät sie in die Lage, das ultimative Opfer zu werden. Das ist das genaue Gegenteil eines Jason Bourne, der nach der Maxime "Angriff ist die beste Verteidigung" vorgeht.
Idas genaues Gegenteil ist ihr Bruder Martin Aumont, geradezu manisch gespielt von Carsten Bjornlund, einem blonden Riesen, der auch zu intensiven Gefühlen fähig ist. Sein Auftritt beim Shoot in der Tiefgarage ist ebenso fabelhaft wie die gesamte Inszenierung dieser rasanten Szene. Typisch für die Ida-Darstellerin: Sie ist bloß noch am Kreischen. Kann man ihr aber eigentlich nicht verdenken. Denn frisch gebackene Mütter sind nicht gerade als taffe Topagentinnen bekannt (Ausnahmen bestätigen die Regel, aber mir will gerade keine Ausnahme einfallen).
Die Blu-ray
Da die Blu-ray nur mit bester Technik punkten kann, es ihr aber völlig an nützlichen Extras wie etwa einem Making-of gebricht, ziehe ich einen Wertungspunkt ab. Der Filmfan kann sich also genauso gut die DVD zulegen. Und er sollte auf jeden Fall darauf achten, ob das oben erwähnte Bonusmaterial ("Extras") eventuell doch auf der DVD zu finden ist. Auf der Blu-ray war es jedenfalls nicht zu finden.
Michael Matzer (c) 2012ff
- Redakteur:
- Michael Matzer